Feuerwehrleute löschen Glutnester in einem Waldgebiet in Brandenburg bei einem Waldbrand.

Lehren aus dem Waldbrandjahr Zu nah am Wald gebaut?

Stand: 22.09.2022 12:54 Uhr

Waldbrände haben in diesem Jahr in Deutschland immense Schäden verursacht. Mehrere Ortschaften mussten evakuiert werden. Müssen Siedlungen in Waldnähe neu gedacht werden?

Von Roberto Jurkschat und Torsten Mandalka, rbb

Das Jahr 2022 war ein verheerendes Waldbrandjahr für Europa und auch für die Bundesrepublik. Dem EU-Waldbrandinformationssystem EFFIS zufolge beschädigten Feuer bis Mitte September insgesamt 758.333 Hektar Wald, in den 15 Jahren zuvor war durchschnittlich ein Drittel dieser Fläche betroffen. Für Deutschland beträgt diese Quote mit knapp 4300 Hektar Waldbrandschadensfläche sogar mehr als das Dreizehnfache.

Besonders schwer haben Waldbrände in diesem Jahr in Brandenburg gewütet. Das Potsdamer Umweltministerium registrierte mit 501 Waldbränden ein Zehn-Jahres-Hoch. Der entstandene Schaden für private Waldbesitzer und den Landesforst belaufe sich auf mindestens elf Millionen Euro, Kosten für die Wiederaufforstung sind darin nicht enthalten.

300 Meter von den Häusern entfernt

Vivien Kaiser aus der Brandenburger Ortschaft Frohnsdorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark erinnert sich genau an den Tag, als die Hubschrauber über ihrem Haus donnernd auf eine riesige Rauchsäule zugeflogen sind. Polizeiwagen rollten durch die Straßen des 400-Einwohner-Ortes, über Lautsprecher wurden alle Anwohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. "Wir haben am Abend vorher schon die Koffer gepackt, um die wichtigsten Dokumente und Wertsachen zu schützen", sagt die 26-Jährige im Gespräch mit rbb24-Recherche.

Zwei Tage nach dem Ausbruch des Waldbrandes bei Frohnsdorf am 17. Juni hatte das Großaufgebot von Feuerwehrkräften die Kontrolle über das Feuer im munitionsbelasteten Kiefernwald verloren. Wind schob die Flammen über den ausgetrockneten Waldboden immer weiter auf die Siedlung zu.

Kaiser ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im Ort, nach der Evakuierung fuhr sie zur Wache, "um zu retten, was zu retten ist", wie sie sagt. "Meinen Mann und unser Kind sind zu meiner Schwiegermutter gefahren. Wir wussten nicht, wie es hier aussehen wird, wenn alle wiederkommen."

"Am Ende hatten wir Glück, dass der Wind sich gedreht hat. Sonst hätten wir den Ort vielleicht nicht halten können", sagt Jens Heinze, Kreisbrandmeister in Potsdam-Mittelmark.

Ohne Sicherheitsabstand

Neu ist in diesem Jahr, wie viele der Feuer in Brandenburg Siedlungen bedroht haben, die in unmittelbarer Waldnähe liegen. 2022 wurden in dem Bundesland mindestens sieben Ortschaften sowie Teile der Stadt Beelitz evakuiert. Eine Sprecherin des Brandenburger Innenministeriums teilte auf Anfrage mit, Evakuierungen würden zwar nicht statistisch erfasst. Allerdings seien aus den vergangenen Jahren sonst nur noch drei Evakuierungen bekannt, die infolge des ersten großen Waldbrandes bei Treuenbrietzen im Jahr 2018 angeordnet wurden.

Kreisbrandmeister Heinze bereitet die Sicherheit von Waldsiedlungen mit Blick auf die kommenden Jahre Sorgen. "Das Problem bei uns in Brandenburg ist, dass viele einzelne Häuser und Siedlungen ohne Sicherheitsabstand im Wald stehen", sagt Heinze. "Dass man mitten in diesen Gefahrenbereich hinein auch jetzt noch weitere Wohnsiedlungen baut, ist für mich nicht nachvollziehbar. Aus meiner Sicht ist die Frage nicht ob, sondern wann die ersten Häuser verbrennen."

Neubaugebiet im Kiefernwald

In einzelnen Bundesländern, wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg müssen zwischen Wald und Häusern in der Regel 30 Meter unbebaut bleiben.

In Brandenburg, wo das Waldbrandrisiko aufgrund der großen Kiefernbestände und der Trockenheit der vergangenen Jahre besonders hoch ist, gibt es solche Auflagen nicht. Neues Bauland wird derzeit weiterhin direkt in Kiefernwäldern ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan der Ortschaft Borkwalde (Potsdam-Mittelmark) etwa hat die Kommunalverwaltung den "Erhalt des Waldsiedlungscharakters" als Ziel definiert. In den 1990er-Jahren entstand in dem Ort eine Schwedenhaus-Siedlung mit Holzfassaden, selbst heute entstehen Neubauten direkt am Waldrand.

Schutzstreifen um Ortschaften geplant

Nach den großen Bränden im vergangenen Sommer hat Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel (Grüne) angekündigt, Wohnsiedlungen mit einem neuen Waldgesetz besser vor Bränden zu schützen. Unter anderem sollen 200 bis 300 Meter breite Schutzstreifen rings um Siedlungen angelegt werden. In den Bereichen sollen schwerer entzündbare Laubbäume und Sträucher die Waldbrandgefahr senken.

Johann Georg Goldammer, Leiter des Instituts für Feuerökologie am Freiburger Max-Planck-Institut ist der Ansicht, dass das Land bei der Waldbrandprävention noch stärker auf wissenschaftliche Expertise setzen sollte. "Büsche und andere Bodenpflanzen können in Siedlungsnähe ein zusätzliches Risiko darstellen, vor allem, wenn sie nach langen Dürrezeiten im Sommer ausgetrocknet sind", sagt Goldammer im Gespräch mit rbb24-Recherche. "In den Schutzkorridoren sollten das Unterholz und die Bodenvegetation eigentlich entfernt und regelmäßig kurzgehalten werden." Wichtig sei, dass dem Wald alles "brennbare Material" entzogen werde.

Dieser Auffassung ist auch die Berliner Waldbrandexpertin Juliane Baumann, die sich nach den Erfahrungen der vergangenen Waldbrandjahre dafür ausspricht, Kompetenzen in Sachen Waldbrandbekämpfung- und -prävention auf Landesebene stärker zu bündeln. "Mein Vorschlag wäre ein Landeskompetenzzentrum für Waldbrände zu schaffen, das unabhängig vom Landesbetrieb Forst ist, aber mit den interdisziplinären Akteuren aus dem Bereichen Forst, Katastrophenschutz und Feuerwehr", sagt Baumann.

Grundsätzlich solle Prävention ganzheitlicher gedacht werden. "Neben dem Waldumbau ist es auch wichtig, dass Siedlungen selbst so gestaltet werden, dass sie weniger anfällig für Brände sind. Holzfassaden sind da eher ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte."

Brandenburger Innenministerium sieht sich gut aufgestellt

Das Brandenburger Innenministerium verweist gegenüber rbb24-Recherche auf die bereits existierende Arbeitsgruppe, in der Mitarbeiter des Katastrophenschutzes, des Landesforstbetriebs und der Polizei zusammenkommen. Diese Gruppe werde "anlassbezogen" um weitere Mitglieder ergänzt, ein "darüber hinaus gehender Bedarf" etwa nach einem Kompetenzzentrum bestehe derzeit nicht.

Bis wann die Landesregierung ein neues Waldgesetz beschlossen hat und Wälder rings um Ortschaften sicher umgestaltet werden können, ist derzeit noch unklar.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 26. Oktober 2022 um 14:36 Uhr.