Teilnehmer einer russischen Unterstützerdemonstration tragen ein Transparent, auf dem steht "Wahrheit und Meinungsvielfalt anstatt Propaganda".
Hintergrund

Krieg in der Ukraine Die häufigsten Verschwörungsmythen

Stand: 17.05.2022 16:13 Uhr

Den russische Aggression gegen die Ukraine begleiten Behauptungen, Verschwörungsmythen und Desinformation, die als Rechtfertigung dienen. Die bekanntesten Aussagen - und Fakten dazu.

Gemeinsam ist allen Aussagen, dass sie seit Jahren von der russischen Regierung, Russlands Staatsmedien und Auslandssendern verbreitet werden - ob als aggressiv formulierte Vorwürfe oder als vermeintliche Fakten.

"Die Ukraine ist kein souveräner Staat."

Die Ukraine erklärte am 24. August 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion - eine Entscheidung, die am 1. Dezember 1991 durch ein landesweites Referendum bestätigt wurde. Alle Regionen der Ukraine stimmten für die Unabhängigkeit, auch das Gebiet Donezk mit 85 Prozent sowie die überwiegend von ethnischen Russen bewohnte Krim mit 54 Prozent. Tags darauf erkannten die ersten Staaten, unter ihnen Russland, die Ukraine als souveränen Staat an. Die Sowjetunion hörte am 26. Dezember 1991 offiziell auf, als Staat zu existieren.

Die Ukraine ist daher ein souveräner Staat. Völkerrechtlich bedeutet das, dass sie sowohl innerhalb ihres Staatsgebiets als auch in den internationalen Beziehungen über sich selbst bestimmen kann. Eine "Registrierung der Grenzen" bei den Vereinten Nationen (UN) ist dafür - anders, als in Bezug auf die Ukraine kolportiert wird - keine Voraussetzung. Dort ist die Ukraine sogar Gründungsmitglied.

"Die Krim gehört zu Russland, nicht zur Ukraine ..."

Zur Gründungszeit der Sowjetunion war die Krim eine Autonome Sowjetsozialistische Republik. Während des stalinistischen Terrors und des Zweiten Weltkriegs wurde der tatarische Teil der Bevölkerung systematisch entrechtet und deportiert - die dadurch hergestellte demographische Veränderung auf der Krim lieferte die Grundlage, auf der 1945 der Oberste Sowjet der UdSSR und die Führung der Teilrepublik Russische SSR die Halbinsel zu einem Verwaltungsbezirk der Russischen SSR herabstuften. 1954 wurde die Krim per Dekret der Ukrainischen SSR zugeschlagen - ein Vorgang, der häufig als eine "Schenkung" Nikita Chruschtschows kolportiert wird.

2014 besetzten russische Kämpfer ohne Abzeichen militärische Stützpunkte sowie das Lokalparlament auf der Krim und erzwangen durch eine "Sondersitzung" einen Regierungswechsel und ein Referendum über den Status der Halbinsel. Als es am 16. März stattfand, hatten die staatlichen Strukturen der Ukraine die Kontrolle über die Krim verloren: die Halbinsel war militärisch besetzt, statt ukrainischen und internationalen Medien waren dort nur noch staatliche russische Nachrichtenprogramme zu empfangen. Internationale Wahlbeobachter gehen daher davon aus, dass die Abstimmung nicht frei stattgefunden hat. Binnen weniger Tage wurde die Krim von der Russischen Föderation annektiert, die sie seitdem als ihr Staatsgebiet ansieht. Die meisten Staaten und Staatengemeinschaften stufen die Annexion als völkerrechtswidrig ein und haben sie verurteilt, unter anderem in einer UN-Resolution.

"Die NATO hat Russland versprochen, sich niemals nach Osten zu erweitern."

Russlands Präsident Wladimir Putin behauptet seit Jahren, westliche Partner hätten Moskau entsprechende Zusicherungen gemacht. Gegenstand dieser Behauptung sind häufig Gespräche im Februar 1990 zwischen Michail Gorbatschow und dem damaligen US-Außenminister James Baker. Der Inhalt dieser Gespräche ist in einem Memorandum festgehalten, das aber nicht den Rechtsstatus eines Vertrags oder einer verbindlichen Vereinbarung besitzt. Eine enthaltene mündliche Aussage zur US-Militärpräsenz in Westdeutschland, dass "sich die gegenwärtige Militärhoheit der NATO nicht ein Zoll in östlicher Richtung ausdehnen wird", bezog sich auf das Gebiet der damaligen DDR - wie Gorbatschow selbst in einem ZDF-Interview bestätigte. Auch mit entsprechenden Aussagen des damaligen NATO-Generalsekretärs Manfred Wörner war das Gebiet der DDR gemeint. 

An eine NATO-Mitgliedschaft von Staaten des damals noch bestehenden Warschauer Pakts, zu dem die DDR gehörte, war 1990 nicht zu denken. Nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Pakts wurde sogar über eine Mitgliedschaft Russlands in der NATO diskutiert. Auch Putin sprach nach seiner Wahl zum Präsidenten 2001 noch von Verhandlungen zur Aufnahme in die NATO. Es blieb jedoch bei der 1997 beschlossenen NATO-Russland-Grundakte als Basis der gemeinsamen Beziehungen. Nach dem Prinzip der freien Bündniswahl, auf das die NATO sich beruft, können souveräne Staaten sich selbst um die Aufnahme in ein Militärbündnis bemühen. Die ersten Beitrittsgespräche mit Staaten Ost- und Nordeuropas begannen in den 1990er-Jahren.

"Die NATO/die USA ist am Krieg in der Ukraine schuld."

Der Nordatlantikpakt mit seinen derzeit 30 Mitgliedsstaaten hat Russland weder militärisch angegriffen noch mit einer Aggression gedroht - anders als die russische Führung gegenüber der NATO. Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat und erfüllte aus NATO-Sicht vor Beginn ihres Verteidigungskrieges nicht einmal die Kriterien für ein NATO-Beitrittsverfahren, das der Ukraine und Georgien beim NATO-Gipfel 2008 generell in Aussicht gestellt worden war.

Zur Einordnung des Narrativs, die NATO habe Russland seit den 1990er-Jahren "eingekreist", hilft ein Blick auf die Landkarte: Russland ist der größte Flächenstaat der Erde, seine Landgrenzen sind 20.000 Kilometer lang. Die gemeinsame Grenze mit NATO-Staaten umfasst insgesamt knapp 1200 Kilometer - verteilt auf Estland, Lettland und Litauen, die arktische Grenze zu Norwegen und die Grenze der Exklave Kaliningrad. Sollte Finnland der NATO beitreten - wobei es sich erklärtermaßen um eine Reaktion auf Russlands Ukraine-Überfall handelt - ließe dies die gemeinsame Grenze um 1340 Kilometer anwachsen. Die neun anderen Staaten, an die Russland grenzt, sind keine NATO-Mitglieder. Unter ihnen sind die Nuklearmächte China und Nordkorea.

"In der Ukraine sind Faschisten/Nationalsozialisten an der Macht."

Während der Massenproteste im Winter 2013/2014, die in der Ukraine "Revolution der Würde" genannt werden und einen Regierungswechsel auslösten, bildeten prominente Köpfe als Sprecher der verschiedenen Protest-Fraktionen den "Maidan-Rat". Zu diesem Gremium, das unter anderem eine Vereinbarung mit dem vorherigen Machthaber Wiktor Janukowytsch unterzeichnete, gehörte neben dem heutigen Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und dem späteren Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk auch Oleh Tjahnybok von der nationalistischen Partei "Swoboda" an, der durch ethnonationalistische und antisemitische Positionen aufgefallen war. Auch einige Bürgerwehren, die sich nach brutaler Polizeigewalt und Entführungen von Protestteilnehmern durch den staatlichen Sicherheitsapprat formiert hatten, speisten sich teils aus nationalistisch bis rechtsextrem denkenden und gewaltbereiten Kräften, etwa der Gruppierung "Rechter Sektor", die teils von den diplomatisch agierenden Fraktionen der Euromaidan-Bewegung nicht eingehegt werden konnten.

Die russische Staatspropaganda überhöhte den Einfluss rechter Bewegungen in der Ukraine und stellte die Übergangsregierung wie auch alle nachfolgenden Regierungen der Ukraine als "Faschisten" oder "Nazis" dar. Bei den Parlamentswahlen 2014 und 2019 kam jedoch etwa die "Swoboda"-Partei um Tjahnybok auf weniger als fünf Prozent; gleiches gilt für den "Rechten Sektor". Auch bei den Präsidentschaftswahlen fanden rechte Kandidaten bislang keine überproportionale Aufmerksamkeit.

Ursprünglich von Rechtsnationalisten gebildete Freiwilligeneinheiten, etwa das Asow-Bataillon, unterstützten zu Beginn des Krieges in der Ukraine 2014 die militärisch noch schwachen Streitkräfte und wurden teils dem Innenministerium unterstellt. Zumindest das oft als Beleg für eine angebliche Naziherrschaft in der Ukraine angeführte Asow-Regiment hat sich von den rechtsextremen Inhalten inzwischen gelöst. Im Asow-Stahlwerk von Mariupol verschanzte Kämpfer des Regiments kritisierten häufig und unverhohlen die ukrainische Regierung und klagten, von ihr im Stich gelassen worden zu sein - an der Macht sind sie also mitnichten.

"Donezk und Luhansk haben sich selbst zu Volksrepubliken erklärt, Russland hat auf die dortigen Machthaber keinen Einfluss."

Unruhen im Osten der Ukraine, die nach der Maidan-Revolution 2014 ausbrachen, gingen nicht auf eine breite Autonomiebewegung innerhalb der Gesellschaft zurück, sondern auf die Schwäche der Kiewer Übergangsregierung, von Russland gesteuerte Rädelsführer und lokale Eliten zurück, die von Verbindungen nach Russland persönlich profitierten. Die selbsterklärten Separatistengebiete, die Teile der Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk umfassen, konnten nur durch russische Militärhilfe der ukrainischen "Anti-Terror-Operation" zur Wiederherstellung territorialer Integrität standhalten.

Jahrelangen Bekundungen der russischen Führung, auf die Machthaber im Donbass keinen Einfluss zu haben, stehen viele Beweise entgegen: Etwa dort stationiertes russisches Militärgerät, gefundene Pässe russischer Kämpfer, ein sprachlicher Lapsus von Außenminister Sergej Lawrow ("Ich habe viel Kritik gelesen und gehört daran, dass wir uns in den Kampf im Donbass und in Syrien involviert haben", sagte er 2017) sowie ein Urteil eines russischen Gerichts Ende 2021 in Rostow am Don, wonach es bei der Versorgung russischer Einheiten im Donbass mit Lebensmitteln zu Korruption gekommen war. Am 21. Februar erkannte die russische Führung die selbsternannten "Volksrepubliken" völkerrechtswidrig als unabhängig an.

"Russen droht in der Ukraine der Tod - der Kreml hat einen Genozid verhindert."

Vor Russlands Anerkennung der selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk behaupteten russische Staatsmedien, die ukrainische Regierung verübe dort einen Völkermord (Genozid) an russischen Menschen. Den Tatsachen halten diese Behauptungen jedoch in mehrerer Hinsicht nicht stand.

Zum einen prägte der Kreml in den vergangenen Jahren ein stark politisiertes Verständnis von Russentum, das nicht auf Staatsbürgerschaft beschränkt ist: Als "russisch" werden vom Kreml etwa auch Russlanddeutsche und russische Muttersprachler aus anderen Staaten vereinnahmt - unabhängig davon, wie diese ihre eigene Identität verorten. In diesen Kontext ist auch der Putin-Text "Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern" vom Sommer 2021 einzuordnen, der aus Historiker-Expertise keinen Bestand hat.

In der Ukraine, insbesondere im Süden und Osten des Landes, leben viele Menschen, deren Muttersprache Russisch ist. Sie sind ukrainische Staatsbürger und begreifen sich selbst als Ukrainer. Dass viele Bewohner der Separatistengebiete inzwischen russische Staatsbürger sind, liegt daran, dass Russland dort seit einigen Jahren durch vereinfachte Schnellverfahren Pässe an die Menschen ausgibt - für diese ist es die einzige Möglichkeit auf ein international gültiges Ausweisdokument, denn die von parastaatlichen Strukturen ausgegebenen Pässe der sogenannten "Volksrepublik Donezk" und "Volksrepublik Luhansk" werden weltweit nicht anerkannt. Russland wirft der Ukraine mithin vor, sie begehe Völkermord in einem Gebiet, über das Kiew seit Jahren keine Kontrolle hat - dabei bleibt offen, wie dies bewerkstelligt werde.

Zum anderen ist der politische Vorwurf eines Genozids nicht deckungsgleich mit dem völkerrechtlichen Begriff: Juristisch fallen darunter (etwa laut UN-Völkermordkonvention) Handlungen, die darauf abzielen, eine nationale, ethnische, religiöse Gruppe zu zerstören - etwa durch Tötungen, erzwungene Geburtenkontrolle oder die schwere körperliche oder mentale Schädigung an den Zugehörigen der betroffenen Gruppe. Theoretisch kann der Tatbestand also auch erfüllt sein, wenn nicht oder nicht in großer Zahl Menschen ermordet werden. Der Kreml hat seine Genozid-Vorwürfe gegen die ukrainische Regierung jedoch nie konkretisiert oder Belege für Taten präsentiert. Eine angebliche Unterdrückung der russischen Sprache im Land, die der Kreml aus Gesetzen zur Förderung des Ukrainischen als Verkehrssprache ableitet, oder eine etwaige negative Einstellung in der Bevölkerung gegenüber dem Nachbarstaat allein sind noch keine Völkermord-Merkmale. Weder die OSZE noch die Vereinten Nationen sehen derzeit Hinweise auf einen Genozid an Russen in der Ukraine.

"Russland geht bei seinen Kampfhandlungen in der Ukraine mit Präzision vor, Zivilisten und zivile Infrastruktur sind davon nicht betroffen."

Schon wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine häuften sich Berichte über Angriffe auf zivile Ziele: Ein Raketeneinschlag in einem Kindergarten in Stanyzja Luhanska, ein beschossener Bus voller Zivilisten bei Sumy, die Bombardierung des Charkiwer Stadtzentrums. In von Russland zunächst okkupierten und später verwüstet zurückgelassenen Städten wie Butscha und Irpin sind Verbrechen an der Zivilbevölkerung in so großem Ausmaß dokumentiert, dass internationale Organisationen und etliche Staaten von Kriegsverbrechen sprechen. Immer wieder werden - etwa im Umland Mariupols und Kiews - Massengräber entdeckt, die in den vergangenen Wochen entstanden sein müssen; zu den Opfern des russischen Vorgehens zählen Überlebende des Holocaust und des Zweiten Weltkrieges. Staatliche und private Forensiker klären derzeit in Ermittlungen, ob es sich bei den jeweiligen einzelnen Fällen um Kollateralschäden oder vorsätzliche Kriegsverbrechen handelt.

Einige Völkerrechtsexperten gehen angesichts der Gräueltaten in den Städten um Kiew sowie das Vorgehen der russischen Streitkräfte in Mariupol davon aus, dass die Kriterien für einen Völkermord an den Ukrainern erfüllt sein könnten. Die Feststellung dieses Tatbestands obliegt dem Internationalen Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag.

"Die Ukraine ist selbst schuld, dass es keinen Frieden mit Russland gibt."

Russland hat am 24. Februar eine Invasion der Ukraine begonnen, die erklärtermaßen auf die Beseitigung der ukrainischen Regierung und der Staatlichkeit des Landes in seiner heutigen Form abzielt. Die Ukraine setzt sich mit ihren Streitkräften, die durch Waffenlieferungen und Expertise aus NATO-Staaten unterstützt werden, militärisch zur Wehr.

Schon vor dem Angriffskrieg, der etwa im Römischen Statut völkerrechtlich geächtet ist, ergingen sich russische Staatsmedien in Erwägungen über eine mögliche Aufteilung der Ukraine in einzelne, Russland eingemeindete oder pseudo-unabhängige kremlhörige Landesteile hin. Immer wieder drohen russische Politiker mit einem Nuklearschlag und machen deutlich, dass sie mit ihren Drohungen nicht mehr zwischen der Ukraine, der NATO, der EU oder anderen Akteuren unterscheiden. Die Aggression durch verbale Drohungen, Missachtung diplomatischer Konventionen und völkerrechtswidrige Militäraktionen liegt also auf russischer Seite.

"Die Ukraine war kurz davor, sich Atomwaffen zu besorgen."

Für diese Behauptung hat Russland keine stichhaltigen Belege vorgelegt. Die Ukraine verpflichtete sich 1994 im Memorandum von Budapest zur Abgabe der auf ihrem Territorium stationierten Atomwaffen - im Gegenzug für Sicherheitsgarantien. Dieses Abkommen brach Russland 2014 mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine. 

Die USA, andere Staaten und insbesondere die Bundesrepublik verweigerten der Ukraine lange Zeit den Wunsch nach Waffenlieferungen. Erst unter US-Präsident Donald Trump erhielt die Ukraine die ersten Panzerabwehrraketen vom Typ "Javelin". Diese Politik änderte sich erst mit der Aggression Russlands gegen die Ukraine. Aber auch seitdem wurden nur bestimmte Waffentypen an die Ukraine geliefert, die maßgeblich der Verteidigung dienen.