Wirtschaftsnobelpreis für Richard Thaler

Nobelpreis für Verhaltensökonom Thaler Der Mann für "praktische Lebenshilfe"

Stand: 09.10.2017 17:08 Uhr

Nicht nur Kopf, sondern auch Bauch: So treffen die Menschen in Wahrheit wirtschaftliche Entscheidungen, zeigt der US-Verhaltensökonom Richard H. Thaler mit seiner Forschung. Dafür wurde der 72-Jährige nun mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.

Von Steffen Clement, HR

Der Gewinner sei ein "Brückenbauer zwischen Ökonomie und Psychologie", so Clemens Fuest vom Münchner ifo-Institut gegenüber tagesschau.de. Auch Volkswirt Thomas Mayer vom Kölner Flossbach von Storch Institut lobt: "Der Preisträger macht uns klar, dass wir eher 'Homer Simpson' mit viel Bauchgefühl sind als der stetig rationale "homo oeconomicus', wie es viele wirtschaftswissenschaftliche Modelle noch immer unterstellen."

Was das konkret bedeutet, zeigt der Nobelpreisträger am Aktienmarkt: Das Auf und Ab an der Börse kann bei ausschließlich rationaler Betrachtung jedem Anleger egal sein, wenn langfristig die Kurse steigen. Mit seinen Experimenten hat der Preisträger aber nachgewiesen, dass der Ärger der Anleger über zwischenzeitliche Kursverluste viel größer ist, als die Freude über zwischenzeitliche Kursgewinne. Dadurch steigen die Anleger zu früh aus oder eben gar nicht erst ein.  

   

Vom Taxifahrer lernen

Ein anderes Beispiel für Verhaltensökonomie im Alltag ist der Taxifahrer, der nach der einfachen Faustformel fährt: Wenn ein bestimmter Tagesumsatz erreicht ist, geht er nach Hause. Viel effektiver wäre es aber, wenn er an guten Tagen länger fährt, an schlechten Tagen mit wenig Einnahmen früher abbricht. Der Taxifahrer müsste also mehr Informationen berücksichtigen als in seiner Grundregel. "Die Arbeit von Richard H. Thaler bietet praktische Lebenshilfe", folgert Fuest.

Die Forschungsarbeit setzt sich bewusst ab von mathematischen Standardmodellen in der traditionellen Ökonomie. "Dieses andere Verständnis ist aber unglaublich wichtig, denn noch immer werden gravierende Entscheidungen beispielsweise in der Geldpolitik getroffen, die eben auf lebensfernen Annahmen beruhen."

Hier kann ein neuer Geist in die Wirtschaftswissenschaften einziehen wie schon lange in der Medizin. Vom Modell eines "Kreislaufs der Säfte" blieb nichts mehr übrig, als Forscher anfingen, den menschlichen Körper zu sezieren. "Gewissermaßen schneidet Richard H. Thaler die Marktteilnehmer auf und blickt in ihr Inneres", so Mayer.

Die Macht des Irrationalen

Aus der Akzeptanz des beschränkt rationalen Verhaltens hat der ausgezeichnete Forscher dann das Konzept des "Nudging" (Stupsen) entwickelt. Beim Thema der privaten Altersvorsorge wird das deutlich: Obwohl ein frühzeitiges Sparen fürs Rentenalter rational wäre, lassen es viele bleiben. Der Staat kann nun entsprechende Angebote zum freiwilligen Gehaltsverzicht machen, um die Vorsorge zu fördern.

Ähnlich in der Kantine: Ist das Salatangebot am Anfang und stehen die Süßigkeiten im hinteren Bereich, wird die Ernährung der Gäste besser, obwohl das Angebot in der Auswahl nicht eingeschränkt wird. In all diesen Fällen wird mit einem Trick ein erwünschtes Verhalten erreicht, was viele allein rational nicht erreichen würden.

Siegesserie der US-Ökonomen geht weiter

Mit der Auszeichnung setzt sich die Siegesserie von US-Ökonomen fort. Richard H. Thaler lehrt derzeit an der Universität Chicago, die schon viele Preisträger hervorgebracht hat. Zur Begründung sagte der Vorsitzende des Preiskomitees Per Stromberg: "Richard Thaler ist ein Pionier, wenn es darum geht, Erkenntnisse aus der Psychologie in die ökonomische Analyse einzubauen. Für vier Jahrzehnte hat er sowohl Theorien und Modelle wie auch Experimente, Tests und Umfragen verwendet, um zu analysieren, wie spezifische Aspekte der Psychologie systematisch wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen."  

Übrigens: Streng genommen ist der Wirtschaftsnobelpreis gar kein "richtiger" Nobelpreis. Denn der Stifter Alfred Nobel hatte diese Kategorie gar nicht vorgesehen. In die Bresche gesprungen ist 1969 die Schwedische Reichsbank aus Anlass ihres 300. Geburtstages. Seitdem wird auch in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften jedes Jahr ein Preisträger gekürt.

Der Gewinner kann sich - ganz so wie die "echten" Nobelpreisgewinner - über 940.000 Euro Preisgeld freuen. In Anspielung auf seine eigene Forschung kündigte Thaler im Scherz an: Er werde versuchen, das Geld so "unvernünftig wie möglich auszugeben."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 09. Oktober 2017 die tagesschau um 17:00 Uhr und tagesschau24 um 12:00 Uhr.