
Russischer Angriff auf Ukraine Die Stunde der Spione
Der BND soll für die Bundesregierung relevante Informationen zum russischen Angriff auf die Ukraine beschaffen: vor allem über die Pläne und Absichten des russischen Präsidenten - und über dessen Gesundheitszustand. Von Florian Flade.
Der BND soll für die Bundesregierung relevante Informationen zum russischen Angriff auf die Ukraine beschaffen: vor allem über die Pläne und Absichten des russischen Präsidenten - und über dessen Gesundheitszustand.
Wie weit wird Wladimir Putin gehen? Geht es ihm um den Osten der Ukraine oder um das gesamte Land? Welche Sanktionen wären sinnvoll? Und wie könnte eine Lösung der aktuellen Krise aussehen? All diese Fragen treiben die Bundesregierung um.
Antworten darauf soll auch der Bundesnachrichtendienst (BND) liefern. Die Krisen- und Kriegsgebiete der Welt im Blick zu behalten, ist eine Kernaufgabe des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Russland und sein Präsident - selbst ein ehemaliger Spion - stehen zudem als Aufklärungsziele seit jeher weit oben auf der Prioritätenliste der Dienste. In den Zeiten der Krise schlägt nun auch die Stunde der Spione.
Selten, so heißt es im BND, sei die Nachfrage nach den Berichten und Analysen aus dem Dienst so hoch gewesen wie derzeit. Das Bundeskanzleramt, aber auch das Auswärtige Amt und das Bundesverteidigungsministerium wollen zeitnah über die neuesten Entwicklungen unterrichtet werden. Die Russland-Experten des BND arbeiten daher schon seit Wochen unter Hochdruck, auch über die Weihnachtsfeiertage und Silvester.
BND-Informationen lagen wohl richtig
Sie tragen Informationen über Russlands Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze, über Militärmanöver in Belarus und über die Entscheidungsprozesse im Kreml zusammen, analysieren Satellitenbilder und abgehörte Kommunikation. Es wurden neue Arbeitsgruppen gebildet und Lagebilder stetig aktualisiert.
Und diesmal soll der BND mit seinen Einschätzungen durchaus richtig gelegen haben. Noch im Dezember hieß es, man gehe nicht davon aus, dass Putin bereits im Januar in die Ukraine einmarschieren werde. Es werde wohl noch einige Wochen dauern, außerdem wolle man sich im Kreml durch die Drohkulisse weitere Optionen offenhalten. An seinem übergeordneten strategischen Ziel, die Ukraine noch weiter zu destabilisieren und zumindest die östlichen Landesteile unter seine Kontrolle zu bringen, halte der Machthaber in Moskau jedoch fest, so prognostizierte der BND.
Eine Frage, die auch die deutschen Spione darüber hinaus schon seit geraumer Zeit beschäftigt: Wie zurechnungsfähig und rational handelt der russische Präsident? Welche Berater haben noch Einfluss auf Putin? Und wie ist sein Gesundheitszustand? Davon könnte abhängen, welche Entscheidungen Putin trifft und wie er von seinem Kurs abzubringen ist.
BND nach Afghanistan massiv in der Kritik
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im vergangenen Jahr war der BND massiv in die Kritik geraten: Die Spione hätten den schnellen Siegeszug der Islamisten, den Kollaps der afghanischen Regierung und schließlich den Fall von Kabul nicht vorhergesehen und die Dynamik der Lage ganz erheblich unterschätzt. Seitdem findet im Dienst eine Innenrevision statt, denn der BND will seine Prognosefähigkeit verbessern. Dafür blieb allerdings nicht viel Zeit, denn der Konflikt um die Ukraine forderte schnell die volle Aufmerksamkeit.
BND hat nach eigenen Angaben gute Quellen
Dabei ist Russland zwar ein altbekanntes Aufklärungsziel, allerdings gilt das Land für ausländische Geheimdienste weiterhin als sogenanntes "hard target", ein hartes Ziel, in dem Spionage alles andere als einfach ist. Die "Zugangslage" sei jedoch immer noch gut, so sagen deutsche Sicherheitsbeamte, in einigen Teilen sogar sehr gut.
Der BND habe Quellen, die teilweise vor Jahrzehnten angeworben worden waren, lange gepflegt. Davon profitiere der Dienst bis heute. So mancher Informant habe inzwischen im russischen Apparat Karriere gemacht. Hinzu kämen noch die anderen Informationsquellen, wie überwachte Kommunikation oder die Auswertung von sozialen Netzwerken, die an Bedeutung gewonnen hätten.
Warnungen der Dienste trafen ein
Die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste hatten in den vergangenen Wochen immer wieder eindringlich gewarnt: Dass Putin trotz aller diplomatischen Anstrengungen weiterhin einen Angriffskrieg auf die Ukraine vorbereite, dass mit gefälschten Videos ein vermeintlicher Kriegsgrund geschaffen werden solle, dass sogenannte "Angriffe unter falscher Flagge" geplant seien, um eine ukrainische Provokation vorzutäuschen.
Es war eine ungewöhnliche Informationsoffensive. Vor allem die US-Dienste machten ihre Erkenntnisse zur drohenden Eskalation des Konflikts zeitnah öffentlich, obwohl damit durchaus auch Quellen gefährdet werden können. Die Hoffnung war offenbar, den Kreml damit einschüchtern oder sogar noch von einem Krieg abhalten zu können.
CIA-Chef war viel unterwegs
CIA-Chef William Burns begab sich außerdem auf Reisen, um den Konflikt zu entschärfen und Verbündete zu warnen. Ende vergangenen Jahres flog Burns nach Moskau, dann Mitte Januar ging es zunächst in die Ukraine, wo er mit Präsident Selenskyi über die Gefahr einer russischer Militäroffensive sprach. Anschließend reiste der Geheimdienst-Chef für einen Kurztrip nach Berlin. Im Kanzleramt traf er sich mit Bundeskanzler Scholz, dem BND-Präsidenten Bruno Kahl und weiteren ranghohen Sicherheitsbeamten.
Burns, der selbst einst Botschafter in Moskau war, unterrichtete die deutsche Seite über die amerikanischen Erkenntnisse der Lage. Und seine Warnung soll dabei unmissverständlich gewesen sein: Wladimir Putin plane einen Angriff auf die Ukraine, der das Land zu großen Teilen unter seine Kontrolle bringen solle. Die Vorbereitungen dafür seien im Prinzip abgeschlossen. Putin sei kaum noch zugänglich für mäßigende Stimmen und Ratschläge. Sein Umfeld bestehe weitestgehend aus loyalen Gefolgsleuten, niemand kritisiere die Pläne des Präsidenten.
Gerüchte über Putins Gesundheitszustand
Schon länger kursieren auch in der westlichen Geheimdienst-Community die Gerüchte über den Gesundheitszustand und die psychische Verfassung des russischen Präsidenten. Von möglicher schwerer Erkrankung, möglicherweise Krebs, ist dabei die Rede. Tatsächliche Belege dafür aber soll es keine geben, auch weil sich Putin immer mehr nach außen abschotte, heißt es aus den Sicherheitskreisen.
Als Putin selbst noch ein Spion war, war der BND sehr nah dran an dem jungen KGB-Major. Putin war damals, in den 1980er Jahren, in Dresden stationiert. In einer Außenstelle des KGB in der Angelikastraße 4. Der BND hatte damals eine Quelle in dieser Geheimdienst-Niederlassung, eine Dolmetscherin. Die Frau lieferte dem BND wertvolle Informationen über die russischen Spione, auch über den späteren Präsidenten Russlands. Zeitweise soll sie sogar mit Putins damaliger Ehefrau befreundet gewesen sein.