Thomas Haldenwang
exklusiv

BfV-Präsident Haldenwang "Schweigende Mehrheit muss aufwachen"

Stand: 11.01.2024 06:12 Uhr

Verfassungsschutzpräsident Haldenwang ruft im Kontraste-Interview die "schweigende Mehrheit" der Gesellschaft auf, für die Demokratie einzustehen. Gefahren durch Rechtsextremismus und Antisemitismus würden bislang nicht ausreichend wahrgenommen.

Von Georg Heil, Susett Kleine und Lisa Wandt, rbb

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sieht die Demokratie in Deutschland als stärker bedroht an, als es von der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen werde. Dies zeige sich an einer Gleichgültigkeit "gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien". Es zeige sich aber auch im Umgang mit Antisemitismus, so Haldenwang im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste.

Die Mitte der Gesellschaft in Deutschland scheine ihm sehr bequem geworden zu sein, erklärte Haldenwang. "Man hat sich sehr in seinem komfortablen Privatleben eingerichtet und man nimmt nicht hinreichend wahr, wie ernsthaft die Bedrohungen für unsere Demokratie inzwischen geworden sind."

Sicherheitsbehörden könnten nur bedingt gegen die Gefahren für die Demokratie vorgehen. Er wünsche sich daher, "dass die Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit in diesem Land, dass die wach wird und auch endlich klar Position bezieht gegen Extremismus in Deutschland".

"Schande für Deutschland"

Der Antisemitismus hat nach Ansicht des BfV-Präsidenten sowohl in Quantität als auch in Qualität eine neue Dimension erreicht. "Es ist eine Schande, es ist beschämend, wie in dem Land, von dem der Holocaust ausgegangen ist, wie offen inzwischen Antisemitismus gezeigt wird", so Haldenwang zu Kontraste.

Im gesamten Jahr 2022 habe man in Deutschland 2.600 antisemitische Straftaten registriert, von denen 82 Prozent von Rechtsextremisten verübt worden seien. In den vergangenen drei Monaten, seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, seien bereits deutlich mehr als 1.200 antisemitische Straftaten in Deutschland zu verzeichnen.

Der 7. Oktober sei somit auch eine Zäsur für Deutschland, so Haldenwang. "Dass auf Deutschlands Straßen wieder Davidsterne an Häuser gemalt werden, dass Synagogen mit Brandsätzen attackiert werden, das ist eine völlig neue Qualität, die wir auch in der Vergangenheit so nicht wahrgenommen haben."

Größte Gefahr gehe von Rechtsextremen aus

Die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland sei in der Vergangenheit eindeutig von Rechtsextremisten ausgegangen, so der BfV-Präsident. Die Anschläge vom 7. Oktober hätten jedoch auch den Antisemitismus linksextremer Gruppierungen, auf den der Verfassungsschutz schon länger regelmäßig aufmerksam gemacht habe, sowie die Judenfeindlichkeit islamistischer Gruppierungen deutlich sichtbarer gemacht.

Aber auch von türkischen extremistischen Gruppen in Deutschland, sowohl aus dem links-, als auch aus dem rechtsextremen Spektrum, werde in Deutschland Antisemitismus propagiert, so Haldenwang.

Gefahr für Juden kommt auch aus dem Ausland

Eine Gefahr für Juden in Deutschland sieht Haldenwang auch aus dem Ausland. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Anschläge auf jüdische Einrichtungen im Ruhrgebiet vom November 2022. Hier sei inzwischen eindeutig belegt, dass der iranische Staat hinter den Aktionen stehe. Der Iran habe auch aktuell ein Interesse daran, in Deutschland Emotionen zu wecken und antisemitische Haltungen zu unterstützen.

"Es gibt aber eben entsprechende Äußerungen, durchaus auch aus der Türkei heraus. Und vor dem Hintergrund, dass wir natürlich hier in Deutschland eine sehr große türkische Diaspora haben und möglicherweise Teile dieser Diaspora empfänglich sind für solche Zurufe von außerhalb, muss uns das auch besorgen", so Haldenwang.  

Das Interview mit dem BfV-Präsidenten Thomas Haldenwang wurde anlässlich der Kontraste-Dokumentation "Judenhass - unser Leben nach dem 7. Oktober" geführt. Die Dokumentation ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen und wird am 11. Januar um 21:45 Uhr im Ersten ausgestrahlt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Magazin „Kontraste“ im Ersten am 11. Januar 2024 um 21:45 Uhr.