Ein Arzt schaut auf die elektronische Patientenakte (ePA) eines Patienten. (Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene)
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Datenschutz Europaweiter Zugriff auf deutsche Patientendaten?

Stand: 24.01.2024 16:23 Uhr

Bislang können Patienten in Deutschland der Einrichtung einer elektronischen Patientenakte widersprechen. Eine neue EU-Verordnung könnte dieses Recht SWR-Recherchen zufolge aushebeln. Datenschützer warnen.

Von Marcel Kolvenbach, SWR

Bisher nutzen weniger als ein Prozent aller gesetzlich Versicherten eine elektronische Patienten-Akte (ePA), die seit 2021 auf Wunsch freiwillig eingerichtet werden kann. Ab 2025 soll die Einrichtung der ePA für alle gesetzlich Versicherten in Deutschland automatisch durch die Krankenkassen erfolgen. Patienten sollen dann jedoch jederzeit die Möglichkeit haben, dem zu widersprechen, Löschungen zu beantragen oder Zugriffsrechte zu beschränken. Bei besonders sensiblen Informationen wie psychischen Erkrankungen, HIV-Infektionen oder Schwangerschaftsabbrüchen, sollen Ärztinnen und Ärzte explizit auf das Widerspruchsrecht hinweisen.

Ob die Regelungen im deutschen Digitalgesetz in Zukunft auch auf EU-Ebene Bestand haben werden, darum wird gerade in Brüssel gerungen. Die EU-Verordnung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) soll die europaweite Verfügbarkeit von Informationen über sämtliche ärztliche Behandlungen eines Bürgers regeln - erstmals auch für privat Versicherte.

Der Zugriff auf die Daten soll Patienten und behandelnden Ärzten dienen - etwa bei einem medizinischen Notfall im Ausland. EU-weit kann dann sofort auf Gesundheitsdaten wie Patientenzusammenfassungen, elektronische Rezepte, Laborergebnisse und Entlassungsberichte zugegriffen werden. Die Daten sollen aber auch für die Forschung und die kommerzielle Nutzung verfügbar gemacht werden.

Am 6. Dezember 2023 haben sich die Mitgliedstaaten der EU im Rat auf eine gemeinsame Position zum von der EU-Kommission vorgelegten Verordnungsvorschlag über einen Europäischen Gesundheitsdatenrauem geeinigt.

"Erklärung ohne jede Rechtsverbindlichkeit"

In der Protokollerklärung, die dem SWR jetzt exklusiv vorliegt, hat Deutschland dem Entwurf des EU-Rates und den Verhandlungen - dem "Trilog" - zwischen der Ratspräsidentschaft, dem Europäischen Parlament (EP) und der EU-Kommission zugestimmt. Darin heißt es unter anderem: "Deutschland unterstützt die Einigung zum finalen Kompromisstext zur Verordnung zur Schaffung eines europäischen Raums für Gesundheitsdaten." Gleichzeitig wird auf die Besonderheiten der deutschen Regelung verwiesen, so heißt es unter anderem: "Im Falle eines Widerspruchs des Patienten gegen Zugriffe auf seine ePA durch bestimmte Leistungserbringer ist auch im Notfall kein Zugriff möglich." Dies zu regeln, sei demnach den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen.

Für den EU-Abgeordneten Patrick Breyer (Piratenpartei) gefährdet die Haltung der Bundesregierung das deutsche Widerspruchsrecht (Opt-out-Möglichkeit) gegen eine elektronische Patientenakte. Gegenüber dem SWR sagt er: "Mit ihrer Erklärung, der jede Rechtsverbindlichkeit fehlt, versucht die Bundesregierung, die Öffentlichkeit und vielleicht auch sich selbst darüber zu täuschen. Die Erklärung ist eine gewagte und nicht rechtssichere Interpretation der Verordnung."

"Eine Zwangselektronische Patientenakte mit europaweiter Zugriffsmöglichkeit würde unverantwortliche Risiken des Diebstahls, Hacks oder Verlustes persönlichster Behandlungsdaten nach sich ziehen und Patienten jeder Kontrolle über die Sammlung ihrer Krankheiten und Störungen berauben”, warnt Breyer.

Regierung sieht keine Probleme

Vom SWR mit der Kritik konfrontiert, erklärt eine Sprecherin: "Aus Sicht der Bundesregierung lassen sich die Regelungen des Digitalgesetzes zu den in der Protokollerklärung adressierten Aspekten, insbesondere zu den Widerspruchsrechten im Zusammenhang mit der ePA, mit den im Ratstext vorgesehenen Regelungen ohne Weiteres in Einklang bringen, zumal letztere an verschiedenen Stellen eine Regelung durch nationales Recht erlaubt." Die Sorge vor einer ePA ohne eine sogenannte Opt-out-Möglichkeit sei daher unbegründet.

"Was die Widerspruchsrechte im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte (ePA) anbelangt, setzt sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit dem EP für die Beibehaltung des Ratstextes ein."

Änderungsanträge im Parlament

Die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes nahmen am 13. Dezember mit großer Mehrheit den Entwurf an. Kritik gab es vom Mitverhandlungsführer Breyer, der der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz im Innenausschuss des EU-Parlaments angehört. Breyer warnt vor einem Ende des Arztgeheimnisses sowie vor den Gefahren von Hackerangriffen auf sensible Gesundheitsdaten der Patienten. Er brachte gemeinsam mit Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken einen Änderungsantrag ein, der das deutsche Widerspruchsrechts absichern soll. Eine Mehrheit im EU-Parlament stimmte dem zu.

Offener Ausgang des Trilogs

Ziel des Trilogs ist es, die Verhandlungen noch in der aktuellen Legislatur des Europäischen Parlaments, die im Mai 2024 endet, abzuschließen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Vorstellungen der EU-Mitgliedsstaaten zum Umgang mit den Patientendaten ist es noch völlig offen, ob sich die Position, von der die deutsche Regierung in ihrer Protokollerklärung ausgeht, am Ende auch wirklich durchsetzen kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 14. Dezember 2023 um 11:00 Uhr.