Karl Lauterbach
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Elektronische Patientenakte Lauterbach will Gesundheitsdaten besser digitalisieren

Stand: 30.08.2023 06:13 Uhr

Bei der Kabinettsklausur in Meseberg geht es heute unter anderem um zwei Gesetzentwürfe aus dem Gesundheitsministerium. Wie will Minister Lauterbach die elektronische Patientenakte fördern? Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Technisch könnten sich schon jetzt alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) anlegen lassen. Bislang macht das aber kaum jemand. Rund 750.000 digitale Akten gibt es nach Angaben der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik) bislang. Das ist weniger als ein Prozent der Patienten.

Die elektronische Patientenakte ist in Deutschland also noch keine Erfolgsgeschichte, obwohl seit vielen Jahren an ihr gearbeitet wird. Bereits im Jahr 2003 hatte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eine elektronische Patientenakte auf den Weg gebracht.

Seit 2021 müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine ePA anbieten. Viele wissen nichts davon, anderen ist die Registrierung und Anwendung zu aufwendig. Außerdem wird kritisiert, dass sie bisher zu wenig kann. Ärzte sprechen von einem Sammelsurium an PDF-Dateien ohne Struktur.

Elektronische Patientenakten sollen Erleichterung für Ärzte und Patienten bringen

Nadine Bader, ARD Berlin, tagesschau, 30.08.2023 20:00 Uhr

Wie bekommt man eine elektronische Patientenakte?

Patientinnen und Patienten müssen sich selbst kümmern, dass die ePA freigeschaltet wird. Zum Beispiel mit der elektronischen Gesundheitskarte und einem PIN. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, diesen PIN zu bekommen, etwa über die Kundenberatung der Krankenkassen oder per PostIdent-Verfahren.

Über eine App der Krankenkasse kann die ePA dann genutzt werden. Es lassen sich bisher aber längst nicht alle medizinischen Daten dort speichern und abrufen. Wenn die Daten noch nicht digitalisiert sind, heißt das allerdings: einscannen und selbst hochladen. Wie viele Versicherte die ePA zur Zeit wirklich aktiv nutzen, ist unklar.

Was will Lauterbach erreichen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verspricht eine "Aufholjagd" bei der Digitalisierung. Hierzu hat der SPD-Politiker zwei Gesetzentwürfe vorgelegt. Zum einen geht es darin um die elektronische Patientenakte. Ab 2025 sollen alle Patientinnen und Patienten automatisch eine digitale Akte bekommen - es sei denn, sie widersprechen aktiv. Dieses Verfahren wird "Opt-Out" genannt. Verantwortlich hierfür sind die Krankenkassen.

Lauterbach verfolgt damit das Ziel, dass im übernächsten Jahr 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine ePA nutzen sollen. Auch die privaten Krankenkassen können ihren Versicherten eine Patientenakte anbieten, allerdings sind sie nicht verpflichtet.

Zum anderen will Lauterbach erreichen, dass Wissenschaftler und Pharmaunternehmen pseudonymisierte Gesundheitsdaten besser für ihre Forschung nutzen können. Das ist im zweiten Gesetzentwurf geregelt, dem sogenannten Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Dadurch sollen die Bedingungen für die Forschung verbessert werden, wovon am Ende alle Patientinnen und Patienten profitieren sollen.

Das Sammeln und Auswerten von Daten soll leichter werden. Dafür soll auch auf Datenbanken zugegriffen werden, die es schon gibt, wie etwa das Krebsregister, Daten der Krankenkassen und Krankenhäuser. In Zukunft könnten auch die Daten aus der elektronischen Patientenakte einfließen.

Unternehmen oder Forschungseinrichtungen müssen einen Antrag stellen, um die Daten einsehen und nutzen zu können. Eine Kommission soll darüber entscheiden, ob sie hierfür eine Genehmigung bekommen. Ausschlaggebend für die Entscheidung soll sein, ob die Daten für gemeinwohlorientierte Forschungszwecke genutzt werden. Auch hier sollen die Versicherten die Möglichkeit haben, einer Nutzung ihrer Daten zu widersprechen.

Inwiefern würden Patienten profitieren?

Röntgenbilder, Laborwerte, OP-Berichte, Diagnosen oder eine Übersicht, welche Medikamente eingenommen werden - all das soll digital in der Patientenakte gespeichert werden. Der Vorteil: Mediziner hätten schnell einen Überblick, welche Erkrankungen eine Patientin oder ein Patient hat und welche Untersuchungen schon durchgeführt wurden.

So können nicht nur doppelte Untersuchungen vermieden, sondern sogar Leben gerettet werden. Zum Beispiel, weil vermieden wird, dass unterschiedliche Medikamente verabreicht werden, die sich nicht miteinander vertragen. Und auch im Notfall bekommen Rettungskräfte schnell Informationen zu Allergien, chronischen Krankheiten oder der Blutgruppe der Patienten. Bisher liegen viele dieser Informationen verteilt in verschiedenen Arztpraxen und Krankenhäusern.

Auch die Krankenkassen versprechen sich einen Schub für die Digitalisierung. Nach Jahren der Stagnation und des Durchwurschtelns könnten die beiden Digitalgesetze deutliche Fortschritte bringen, sagt die AOK-Vorsitzende Carola Reimann. Die elektronische Patientenakte könnte so zur "Massenanwendung" werden.

Langfristig könnten Patienten auch davon profitieren, wenn Wissenschaftler und Pharmaunternehmen Daten besser für die Forschung nutzen können. Zum Beispiel, wenn dadurch neue Therapien oder Medikamente entwickelt werden. Das Gesetz eröffne neue Perspektiven für eine bessere und systematische Auswertung der vorhandenen Gesundheitsdaten, sagt Reimann.

Welche Bedenken gibt es?

Patientenschützer haben ganz grundsätzliche Bedenken. Sie kritisieren an der "Opt-Out-Lösung", dass man künftig nicht mehr aktiv zustimmen muss, um eine elektronische Patientenakte zu nutzen. Wenn sich jemand gar nicht äußert, wird in Zukunft automatisch eine digitale Akte angelegt.

Außerdem ist fraglich, inwiefern Patienten beeinflussen können, was Ärzte in der Akte sehen können. Anders ist das, wenn Versicherte die Akte aktiv nutzen. Sie sollen sehr genau bestimmen können, welche Mediziner welche Dokumente einsehen dürfen.

Aus Sicht des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber bleiben trotzdem zu viele Fragen unklar. Etwa, wie Patientinnen und Patienten ihre Daten sperren können und ob auch psychotherapeutische Behandlungen in die digitale Akte einfließen sollen. Der Gesetzentwurf lässt das offen. Bei sensiblen Daten müssen Ärzte aber darauf hinweisen, dass man einer Speicherung widersprechen kann. Genannt werden hierbei sexuell übertragbare Infektionen, psychische Erkrankungen und Schwangerschaftsabbrüche.

Außerdem gibt es Streit darüber, wer die zahlreichen älteren medizinischen Dokumente in die Akte übermitteln soll. Für Patienten könnte es relevant sein, dass ältere Dokumente nachträglich in der digitalen Akte landen. Sie sollen deshalb den Anspruch bekommen, dass ihre Krankenversicherung das für sie übernimmt. Innerhalb von zwei Jahren sollen die Kassen zwei mal zehn Dokumente einscannen.

Die Krankenkassen halten davon wenig. Aus ihrer Sicht sollte es grundsätzlich in der Hand der Patientinnen und Patienten sowie der behandelnden Ärztinnen und Ärzte liegen, die Akte mit Daten zu befüllen, sagt die AOK-Vorsitzende Reimann. Auch andere Krankenkassen äußern Bedenken mit Blick auf den Datenschutz.

Lauterbachs Gesetzespläne sehen auch vor, dass Krankenkassen ihnen vorliegende Daten auswerten und ihre Versicherten kontaktieren dürfen, wenn das dem "Gesundheitsschutz" dient. Es geht dabei nicht um die Behandlungsdaten aus der elektronischen Patientenakte, sondern die personenbezogenen Daten der Versicherten wie zum Beispiel das Alter. In Israel wird das bereits praktiziert. Zum Beispiel, als die Kassen zu Corona-Zeiten diejenigen angeschrieben haben, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe gehörten.

Ärztevertreter sehen das kritisch. Sibylle Steiner von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) geht davon aus, dass Krankenkassen sich nicht automatisch am Patientennutzen orientieren würden. Daten könnten demnach etwa zu Marketingzwecken und zur Versichertenwerbung genutzt werden, sagt sie.

Wie realistisch sind Lauterbachs Ziele?

Viele Fachleute halten die "Opt-Out-Variante" grundsätzlich für eine gute Lösung. Auch die Mehrheit der Deutschen spricht sich laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung dafür aus. Allerdings sind die Datenschutzbedenken in Deutschland in der Regel hoch. Sie müssen ausgeräumt werden, damit auch wirklich 80 Prozent die ePA nutzen. Ob das wirklich schon Anfang 2025 klappen wird, bezweifelt der GKV-Spitzenverband. Denn das Gesetz muss erst noch vom Bundestag beschlossen werden. Danach bleibt allen Beteiligten zu wenig Zeit, um alles gut auf den Weg zu bringen, so der Verband.

Entscheidend wird auch sein, wie die Umsetzung konkret aussieht. Zum einen muss die entsprechende Technik ohne Probleme funktionieren, zum anderen muss die Akte verbraucherfreundlich für alle sein. Auch wenn die Akte automatisch eingerichtet wird, bleibt wohl das komplizierte Anmeldeverfahren. Das könnte einige auch in Zukunft abschrecken, die Akte wirklich zu nutzen. Ein echter Erfolg wird die ePA aber nur, wenn sowohl Mediziner als auch Patientinnen und Patienten sie nutzen und sie deutlich mehr Funktionen hat als bisher.

Für Praxen und Krankenhäuser darf dafür kein großer zusätzlicher Aufwand entstehen. Für sie muss die Akte schnell und einfach mit Röntgenbildern, OP-Berichten oder Medikamentenplänen zu befüllen sein. "Die ePA darf nicht zum Zeitfresser in der Arztpraxis werden", fordert der Vorstandsvorsitzende der Techniker-Krankenkasse, Jens Baas. Für ihn sind hier die Softwarehersteller gefragt. Sie müssten dafür sorgen, dass sich die Akte nahtlos in Praxisabläufe einfügen kann.

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 30.08.2023 06:21 Uhr