Zwei Schachteln des Corona-Medikaments Paxlovid
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Corona-Medikament Paxlovid Bundesweit Ermittlungsverfahren gegen Apotheker

Stand: 15.01.2024 06:03 Uhr

Das Bundesgesundheitsministerium hat nach Informationen von WDR, NDR und SZ Anzeigen gegen Apotheker erstattet. Sie stehen im Verdacht, das staatlich bezahlte Corona-Medikament Paxlovid illegal weiterverkauft zu haben.

Von Markus Grill, WDR/NDR

Die Bundesregierung hatte im Februar 2022 eine Million Packungen des Corona-Medikaments Paxlovid beim US-Pharmariesen Pfizer eingekauft und Apotheken kostenlos für die Versorgung betroffener Patienten zur Verfügung gestellt.

Anfang 2023 stellte das Bundesgesundheitsministerium dann fest, dass einzelne Apotheken in Deutschland enorm große Mengen Paxlovid bestellt hatten - zum Teil offenbar mehr als 1.000 Packungen. Die Beamten in Karl Lauterbachs Ministerium waren überzeugt, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. So viele Patientinnen und Patienten, die Paxlovid wollen, konnte es in einer einzelnen Apotheke gar nicht geben.

Markus Grill, ARD Berlin, zu Ermittlungsverfahren gegen Apotheken im Fall eines Corona-Medikaments

tagesschau24, 15.01.2024 10:00 Uhr

Das deckt sich mit der Erfahrung des Apothekers Max Wilke. Er ist in Berlin leitender Apotheker für vier Apotheken unterschiedlicher Größe und hat dadurch einen guten Überblick darüber, welche Medikamente wie häufig nachgefragt werden. "Wir haben je nach Standort unserer Apotheken zwischen fünf und 30 Packungen abgegeben, im ganzen Jahr 2022."

Auch 2023 waren es ähnlich viele Packungen. Paxlovid kann älteren Menschen helfen, wenn sie es unmittelbar nach der Corona-Infektion einnehmen. Dass eine einzelne Apotheke mehr als 1.000 Packungen benötigte, hält Wilke für sehr unglaubwürdig.

Durchsuchungen in Apotheken

Der Justiziar des Gesundheitsministeriums formulierte Anzeigen gegen mehrere Apotheken mit Großbestellungen. Der Verdacht: Sie könnten die Medikamente illegal weiterverkauft haben. Nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" schickte das Ministerium bundesweit an mehr als 25 Staatsanwaltschaften Strafanzeigen gegen Apotheker. In den meisten dieser Fälle laufen die Ermittlungsverfahren derzeit noch. 

In Bayern hat die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Korruption im Gesundheitswesen vor drei Wochen mit Hilfe von rund 60 Polizisten verschiedene Apotheken in Oberbayern, Mittelfranken, Oberfranken und in der Oberpfalz durchsucht. Die Beschuldigten sollen "Paxlovid unter Missachtung der Vorgaben des BMG verkauft und dadurch unterschlagen haben", wie Oberstaatsanwalt Matthias Held auf Anfrage von WDR, NDR und SZ mitteilt. 

In Berlin hat die Staatsanwaltschaft insgesamt sechs Apotheken durchsucht. Eine soll 1.400 Packungen Paxlovid bestellt haben, eine andere mehr als 1.800 Packungen. Aus Ermittlerkreisen ist zu hören, dass man noch keine Spur habe, wo die Medikamente am Ende gelandet seien. Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft schätzt den möglichen Schaden in der Hauptstadt auf drei Millionen Euro. Mit Anklagen wird in den Berliner Fällen noch im ersten Quartal dieses Jahres gerechnet. 

In Frankfurt am Main soll eine Apotheke in der Innenstadt fast 10.000 Packungen Paxlovid bestellt haben. Die Ermittlungen in Frankfurt dauern noch an, "ein Verfahrensabschluss ist noch nicht in Sicht", wie die dortige Staatsanwaltschaft mitteilt. 

Anklagen wegen Untreueverdachts

Auch in Hamburg ermittelt die Staatsanwaltschaft in Sachen Paxlovid gegen zwei Inhaber von Apotheken "wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz", wie die Behörde mitteilt. Während in den meisten Fällen die Ermittlungen noch andauern, haben die Staatsanwaltschaften in Darmstadt und Hannover die Verfahren mangels Tatverdacht eingestellt, die Staatsanwaltschaft Verden will dies ebenfalls machen.

In Baden-Baden dagegen hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen schon abgeschlossen und wenige Tage vor Weihnachten Anklage gegen einen Apotheker erhoben. Der Vorwurf in diesem Fall lautet Untreue in Tateinheit mit unerlaubtem Großhandelstreiben. Der Apotheker soll insgesamt 1.393 Packungen Paxlovid "an nicht ermittelbare Personen im Ausland" verkauft haben, wie der zuständige Staatsanwalt auf Anfrage mitteilt. 

Bundesgesundheitsministerium erstattet Anzeige gegen Apotheken im Falle des Corona-Medikaments Paxlovid

A. Henze / M. Grill, ARD Berlin, tagesschau, 15.01.2024 12:00 Uhr

Die Ermittlungen sind schwierig. Zu klären, ob die staatlich bezahlten Medikamente illegal weiterverkauft oder nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums einfach weggeworfen wurden, wie einzelne Apotheker behaupten, ist kaum möglich. "Es gibt keine Vorschrift, dass die Apotheker die Paxlovid-Packungen besonders entsorgen oder das dokumentieren müssten", sagt ein Ermittler.

650 Euro pro Packung?

Der Preis, den Deutschland pro Packung Paxlovid an Pfizer bezahlt hat, war bisher ein gut gehütetes Geheimnis. Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" haben nun ergeben, dass der Bund rund 650 Euro pro Packung bezahlt haben soll, also insgesamt rund 650 Millionen Euro. Weder der Pharmariese noch das Gesundheitsministerium wollen den Preis kommentieren und berufen sich auf Geheimhaltungsklauseln.

Das Ministerium teilt auf Anfrage lediglich mit, dass 560.000 Therapieeinheiten vom Großhandel an Apotheken ausgeliefert worden seien. Wie viele Packungen tatsächlich bei Patientinnen und Patienten angekommen sind, wisse man aus datentechnischen Gründen nicht.

Einen Hinweis darauf geben nach Recherchen von WDR, NDR und SZ allerdings die Zahlen des Bundesamts für Soziale Sicherung BAS. Denn für jede verordnete Packung können Großhandel, Apotheker und Ärzte eine Gebühr von insgesamt knapp 60 Euro abrechnen, die das BAS erstattet.

Bis Ende 2023 hat das Bundesamt dafür mehr als 18 Millionen Euro bezahlt. Daraus lässt sich abschätzen, dass etwa 300.000 Packungen abgegeben worden sein könnten. Das Gesundheitsministerium kommentiert die Schätzung nicht. Das BAS antwortet, dass aus seiner Sicht eine "genaue Schätzung" nicht möglich ist.

Krankenkassen übernehmen Bezahlung

Von Montag dieser Woche an startet der US-Pharmakonzern Pfizer mit dem Direktvertrieb von Paxlovid in Deutschland. Das heißt, dass künftig nicht mehr die Bundesregierung das Medikament bezahlt, sondern die Krankenkassen - die dafür nun aber deutlich mehr ausgeben müssen. Nach Angaben des AOK-Bundesverbands kostet das Medikament künftig im Apothekenverkauf 1.149,19 Euro pro Packung.

Nach Angaben von Pfizer-Sprecherin Carolin Crocket "spiegelt der Preis das Ergebnis der Erstattungsbetragsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband wider" und "basiert auf dem beträchtlichen Zusatznutzen", den auch Ärzte- und Kassenvertreter im so genannten "Gemeinsamen Bundesausschuss" anerkannt hätten. Zudem, so Pfizer gegenüber WDR, NDR und SZ, hänge der vereinbarte Preis immer auch "von den Bedingungen auf dem jeweiligen Markt ab".

Paxlovid soll die Wahrscheinlichkeit senken, dass man wegen Covid ins Krankenhaus muss. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Paxlovid-Tabletten geschluckt, nachdem er sich mit Corona infiziert hat, ebenso Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Jana Heck, WDR, tagesschau, 15.01.2024 06:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Januar 2024 um 07:00 Uhr.