Covid-19-Patienten auf der Intensivstation
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RKI-Daten zur Corona-Pandemie Neuer Indikator - neue Schwächen  

Stand: 04.08.2021 14:44 Uhr

Die neue Inzidenz der Krankenhausaufnahmen von Covid-19-Patienten ist noch mangelhaft: Der vom RKI veröffentlichte Wert unterschätzt nach SWR-Recherchen die Klinikaufnahmen.

Von Johannes Schmid-Johannsen, SWR

Seit Mitte Juli veröffentlicht das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Lagebericht täglich die "7-Tage-Inzidenz Hospitalisierte gesamt". Der neue Indikator soll frühzeitig einen Anstieg von Covid-19-Erkrankungen nach einer Coronavirus-Infektion anzeigen. Möglich wurde das durch die Hospitalisierungsverordnung. Sie verpflichtet Krankenhäuser seit dem 13. Juli 2021, den Aufnahmezeitpunkt auf der Normal- und Intensivstation und weitere Daten für Covid-19-Patienten bei den Gesundheitsämtern zu melden.

Johannes Schmid-Johannsen

Aussagekraft noch begrenzt 

Doch die neue Inzidenz startet mangelhaft: Der bislang veröffentlichte Wert unterschätzt die Klinikaufnahmen. Nach SWR-Recherchen fallen viele Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, aus der Statistik. Denn zur Berechnung der Inzidenz für die vergangenen sieben Tage wird nicht der Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme bei jedem gemeldeten Fall herangezogen, sondern das Meldedatum des positiven Testergebnisses. Das RKI bestätigte dem SWR dazu: "Derzeit nutzen wir für die Berechnung der Sieben-Tage-Inzidenz der hospitalisierten Covid-19-Fälle noch das Meldedatum."

In einer Schalte der Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern habe es Kritik an der Berechnung gegeben, wie der SWR aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Und auch das RKI räumt ein, dass derzeit diskutiert werde, "inwieweit zukünftig alternativ oder zusätzlich das Hospitalisierungsdatum berücksichtigt werden kann." 

Erneut Meldeverzug  

Mit Hospitalisierungsdatum ist der Tag gemeint, an dem der Patient im Krankenhaus aufgenommen wird. Da die Aufnahme kurzfristig ans Gesundheitsamt gemeldet werden muss, wäre dieses Datum präziser als das Meldedatum, um die Neuaufnahmen verlässlich zu berechnen. Das Problem verstärkt sich aber in der Meldekette: In der Regel vergehen einige Tage nach dem positiven Testergebnis, bis Infizierte so schwere Symptome entwickeln, dass sie ins Krankenhaus müssen.

Das RKI schätzte in den eigenen Veröffentlichungen, dass es bei gut der Hälfte der Covid-19-Patienten länger als vier Tage dauert von Symptombeginn bis zur Krankenhauseinweisung. Andere Studien gehen von vier bis zehn Tagen aus. Wenn man Verzögerungen bei den Meldungen einbezieht, könnten damit ein Viertel bis die Hälfte der Fälle aus der aktuellen Berechnung herausfallen. 

Überstürzte Einführung und Meldung per Fax 

Warum das RKI die erste Berechnung quasi als Schnellschuss veröffentlicht, bleibt offen. Druck aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) soll es nicht gewesen sein: "Das BMG hat das RKI nicht angewiesen bzw. Einfluss darauf genommen, die Kennzahl 'Sieben-Tage-Inzidenz Hospitalisierung' zu veröffentlichen", erklärt das Ministerium auf SWR-Anfrage.

Allerdings hatte das Gesundheitsministerium die Meldepflicht zur Hospitalisierung ohne Vorlauf eingeführt: Die Verordnung trat nur einen Tag nach Verkündigung am 13. Juli 2021 in Kraft. Die Krankenhäuser hatten keine Vorbereitungszeit und der Meldeablauf erinnert an die Anfangszeit der Pandemie: Für jeden Patienten ist ein zweiseitiges Formular auf Papier auszufüllen und die Meldung kann aktuell nur per Fax ans Gesundheitsamt geschickt werden.

Experte: Besser als keine Daten zur Krankheitslast 

Der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum zeigt durchaus ein gewisses Verständnis für die schnelle Veröffentlichung: "Solange das RKI keine besseren Daten zur Krankheitslast hat, ist es besser diese zu verwenden, als sich allein auf die Labordiagnoseinzidenz zu beziehen, was allemal unbefriedigender ist."

Ähnlich begründet das Bundesgesundheitsministerium die Veröffentlichung auf Basis der unvollständigen Berechnung: "Aufgrund der dynamischen Entwicklung ist das RKI bestrebt, der Öffentlichkeit Daten möglichst schnell zur Verfügung zu stellen. Die Analysen und deren Validität werden kontinuierlich analysiert, überprüft und wo nötig angepasst."  

Vergleichbarkeit der Zeitreihe  

Die Kliniken geben mittlerweile in den meisten Fällen im Meldeformular auch das Hospitalisierungsdatum an. Aktuelle Analysen haben laut Bundesgesundheitsministerium ergeben, dass zum Großteil der Fälle ein entsprechendes Datum vorhanden ist. Auch aus den Landesgesundheitsbehörden kommt die Rückmeldung: Man veröffentliche die Zahlen, sobald sie valide seien. Die Anpassung der Berechnungsmethode könnte also in den kommenden Tagen oder Wochen anstehen.

Letztlich ändert das RKI damit im laufenden Betrieb die Berechnungsmethode. Die aktuellen Werte wären dann mit den neu berechneten Werten in derselben Zeitreihe nur eingeschränkt vergleichbar. 

Inzidenz zur Hospitalisierung bald auf Landkreisebene 

Offenbar arbeitet man im Hintergrund auch an einer Verbesserung der Datenqualität der Meldungen. Zeigte sich das RKI zunächst zurückhaltend und wollte eine Veröffentlichung für alle Landkreise nicht bestätigten, schreibt das Gesundheitsministerium auf SWR-Anfrage nun doch: "Die Veröffentlichung auf Ebene der Landkreise ist im wöchentlichen Rhythmus geplant und wird derzeit vorbereitet."

Damit gäbe es im Herbst neben der täglichen Sieben-Tage-Inzidenz für die gemeldeten positiv Getesteten auch eine wöchentliche Sieben-Tage-Inzidenz zu den Krankenhausaufnahmen. Damit wäre die Grundlage geschaffen, politische Maßnahmen nicht mehr nur an die Inzidenz der laborbestätigten Fälle zu koppeln, sondern auch an der Krankheitslast auszurichten. 

Stückwerk bei den Indikatoren 

Experten wie Krause fordern seit Monaten von der Bundesregierung ein Konzept aus mehreren Faktoren. Er schlägt vor, fünf Indikatoren gemeinsam zu betrachten: bestehend aus Inzidenz der Todesfälle, Inzidenz der intensivstationären Neuaufnahmen, Inzidenz der Krankenhauseinweisungen, Zahl der wegen Covid-19 in Arbeitsunfähigkeit befindlichen Menschen und Inzidenz der SARS-CoV-2 Labormeldungen.

Für das Monitoring könnte dann aus den fünf Faktoren ein Gesamtscore berechnet werden, unterteilt in fünf Gruppen: Alter, Landkreis des Wohnortes, Impfstatus, Beruf, Zugehörigkeit zu einer potenziellen Risikogruppe.

Frühwarnsystem wichtig 

Weil gut die Hälfte der Bevölkerung und die meisten älteren Menschen in Deutschland vollständig geimpft sind, erwarten Experten eigentlich, dass die Krankenhäuser bei einer vierten Welle nicht mehr so stark belastet werden. Sicher ist das aber nicht. Denn Deutschland ist ein überaltertes Land und die Impfquote zu niedrig, um Ausbrüche im Zaum zu halten. Der neue Indikator zur Hospitalisierung soll deshalb als Frühwarnsystem dienen.

Bislang gab es nur das DIVI-Intensivregister beim RKI, in dem aber nur die Zahlen der Intensivbettenbelegung zusammengetragen werden. Im neuen Meldesystem für die Hospitalisierung an die Gesundheitsämter werden nun alle Krankenhausaufnahmen und beispielsweise auch der Impfstatus der Patienten erfasst. 

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell Radio am 09. Juli 2021 um 15:00 Uhr.