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Lobbyismus-Bericht Zögerliches Vorgehen gegen Tabakindustrie

Stand: 17.11.2020 16:05 Uhr

Vor 15 Jahren trat das WHO-Abkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums in Kraft. Ein Bericht verschiedener Organisationen, der tagesschau.de vorab vorlag, stellt Deutschland bei der Umsetzung ein schlechtes Zeugnis aus.

Insgesamt 182 Staaten haben sich im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation WHO dazu verpflichtet, den Tabakkonsum zu bekämpfen und einzuschränken. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) "Global Center for Good Governance in Tobacco Control" bewertet regelmäßig, wie weit die einzelnen Länder in dieser Frage vorangekommen sind. In Deutschland beteiligten sich an der Erstellung des "Index zur Einflussnahme der Tabakindustrie" unter anderem das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie sowie Organisationen wie Unfairtobacco, die sich für Nichtraucherschutz und gegen den Einfluss der Tabakindustrie engagieren.

Laut WHO sterben jedes Jahr etwa 125.000 Menschen in Deutschland vorzeitig an den Folgen des Tabakkonsums. Ungefähr ein Viertel der über-15-Jährigen konsumiert regelmäßig Tabakprodukte, Männer etwas öfter als Frauen. Die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgekosten werden vom DKFZ auf jährlich rund 97 Milliarden Euro beziffert. Dem stünden Tabaksteuer-Einnahmen von lediglich 14 Milliarden Euro gegenüber.

Deutschland belegt hinteren Platz im Ranking

In der NGO-Rangliste schneiden unter den europäischen Ländern Frankreich (Platz 2), Großbritannien (Platz 4) und die Niederlande (Platz 8) wesentlich besser ab als Deutschland - auf Platz 23 von insgesamt 34 untersuchten Staaten. Nur Spanien und Rumänien schneiden genauso schlecht bzw. noch schlechter ab. Auf der Tabakkontroll-Skala der europäischen Krebshilfe-Organisationen aus dem vergangenen Jahr belegte Deutschland sogar den letzten Platz.

Die Organisationen beklagen insbesondere, dass Deutschland seit 2010 praktisch keine neuen Maßnahmen gegen Tabakkonsum umgesetzt habe. Obwohl Sponsoring und andere Zuwendungen an Staaten und Politik laut Artikel 5.3 des WHO-Abkommens vermieden werden sollten, bemängeln die Verfasser, dass Tabakunternehmen auf "Aktivitäten im Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) setzen, um ihr Ansehen zu verbessern und Zugang zu politischen Entscheidungsträgern und Medien zu erhalten".

Kulturfinanzierung durch Stiftungen

So fördert zum Beispiel die Körber-Stiftung bundesweit Wissenschaft, Bildung und Kultur, aber auch Altenhilfe und Wohlfahrtswesen. Die Stiftung generiert ihre Finanzmittel aus der Körber-Gruppe, deren Besitzer sie ist. Zur Körber-Gruppe wiederum gehört Hauni, der weltweit führende Hersteller von Zigarettenmaschinen, der eigenen Angaben zufolge "zwei Drittel aller Filterzigaretten und Tabakprodukte weltweit" produziert.

Allein in Hamburg förderte die Stiftung 2018 und 2019 Kultur- und Bildungseinrichtungen mit mehr als 500.000 Euro. Die Hamburger Kulturbehörde antwortete auf Anfrage von tagesschau.de, dabei handle "es sich nicht um Lobbyarbeit, sondern um ein seit vielen Jahrzehnten sehr verdienstvolles Engagement".

Ein weiteres Beispiel ist der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, der sich an Kinder und Jugendliche richtet und insgesamt ein Preisgeld von mehr als 250.000 Euro ausschüttet. Ein Sprecher des Bundespräsidialamts teilte dazu auf Anfrage von tagesschau.de mit, die Körber-Stiftung widme sich "gesellschaftlichen Fragestellungen" und betreibe "keine Projekte, die die Debatte um Tabakkonsum beeinflussen oder dessen negative Folgen negieren". Es gäbe "keine inhaltlichen Zusammenhänge zwischen der Stiftung und den Geschäftsfeldern der Körber AG", zudem gehöre die Hauni AG "nach der Definition des Rahmenübereinkommens der WHO" gar "nicht zur Tabakindustrie".

"Kein Teil der Tabakindustrie"

Auch die Körber-Stiftung selbst teilt auf Anfrage von tagesschau.de mit, es sei "falsch", dass der Index die Körber AG als Teil der Tabakindustrie sehe. "Als Zulieferer ist der Körber-Konzern laut Definition der WHO nicht Teil der Tabakindustrie", heißt es in der Stellungnahme. "Sponsoring- und/oder CSR-Aktivitäten für den Körber-Konzern" seien als unternehmenstragende Stiftung darüber hinaus ausgeschlossen. "Die strikte Trennung von gemeinnütziger Stiftungsarbeit" und unternehmerischen Interessen sei und bleibe die oberste Maxime der Stiftung.

Für die NGOs ist diese Argumentation offenbar nicht überzeugend. Sie bezeichnen die Körber-Stiftung als einen "der größten CSR-Akteure der Tabakindustrie in Deutschland" und verweisen darauf, dass es in den Richtlinien zum Abkommen heiße, dieses umfasse "alle Organisationen oder Einzelpersonen, die an der Förderung der Interessen der Tabakindustrie arbeiten". Die Körber AG, die sich selbst als "Partner der Tabakindustrie" bezeichne, gehöre demzufolge zu diesem Kreis. Zudem nehme der Maschinenhersteller Hauni als Industrie-Vertreter an Anhörungen zur EU-Tabakproduktrichtlinie teil. Die Firma sei ein einflussreicher Player im globalen Tabakmarkt.

Welchen Einfluss übt die Industrie aus?

Da Spenden der Tabakindustrie an politische Parteien in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern nach wie vor erlaubt sind, erhielten CDU, CSU und SPD sowie die FDP laut dem Bericht 2018 und 2019 Spenden in Höhe von mindestens 200.000 Euro. Doch dies sei "nur die Spitze des Eisbergs", da es sich nur um die Beträge handle, die als Parteispenden offengelegt werden müssten. Das Sponsoring für Parteitage und Veranstaltungen bleibe dagegen außen vor, sei in der Summe aber mutmaßlich noch bedeutender.

Dass es der Tabakindustrie unter anderem gelungen sei, die Einführung eines Außenwerbeverbots, das laut WHO-Abkommen bis 2010 umgesetzt sein sollte, bis mindestens 2022 hinauszuzögern, spreche für den Erfolg der Lobbyarbeit. Auch geplante, regelmäßige Anhebungen der Tabaksteuer, die insbesondere Jugendliche vom Einstieg in die Nikotinsucht abhalten sollen, seien nicht vollzogen worden. Für Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum "nimmt die Industrie in Deutschland recht stark Einfluss auf politische Entscheidungen zur Eindämmung des Tabakkonsums", wie sich an diesen Beispielen und an "ebenfalls über Jahre hinweg verzögerten Nichtraucherschutzgesetzen" zeige.

Der Bericht führt dies nicht zuletzt auf die zahlreichen Zugänge der Industrie zu Spitzenpolitikern zurück, zu denen das Sponsoring von Parteitagen, Sommerfesten, Neujahrsempfängen ebenso zähle wie Stiftungsaktivitäten. Dort hätten hochrangige Industrievertreter im Rahmen von VIP-Lounges und ähnlichen Einrichtungen Entscheidungsträger informell treffen können. Zudem gebe es auch noch eine Reihe von offiziellen Begegnungen auf Minister- und Staatssekretär-Ebene, die aber erst durch eine Kleine Anfrage der Linkspartei öffentlich geworden seien. Für die Verfasser des Berichts alles Lobbytreffen, die das WHO-Abkommen eigentlich verhindern soll.