Blick auf die Stadt Zossen
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Steueroase Zossen Das Geschäft mit den Briefkastenfirmen

Stand: 20.05.2021 18:12 Uhr

Das brandenburgische Zossen gilt wegen seiner niedrigen Gewerbesteuer als Steueroase. Wie Panorama-Recherchen erstmals belegen, sind viele Firmen dort offenbar nur zum Schein tätig, was den Verdacht der Steuerhinterziehung nahe legt.

Von  Von Annette Kammerer und Caroline Walter, NDR

Auf den ersten Blick ist es nur ein heruntergekommenes Haus mit einem großen Briefkasten. Um die Ecke grasen Kühe. Tatsächlich aber sollen dort, am Rand der Kleinstadt Zossen, mehr als 200 Firmen arbeiten - Briefkastenfirmen mit System, wie verdeckte Panorama-Recherchen nun zum ersten Mal zeigen. Ein fragwürdiges Geschäft, während das zuständige Finanzamt scheinbar nicht so genau hinschaut.

Steueroasen mitten in Deutschland

Zossen gilt als eine Steueroase für Firmen. In der Nachbarmetropole Berlin werden mehr als 14 Prozent an Gewerbesteuern auf den Gewinn fällig. Im Brandenburgischen Zossen sind es dagegen nur gut neun Prozent. Bis Anfang dieses Jahres galt hier sogar nur der gesetzliche Mindestsatz von sieben Prozent. Dabei ist Zossen nicht allein: Ähnlich niedrige Gewerbesteuersätze haben in Deutschland Grünwald bei München, Monheim bei Düsseldorf oder Lützen bei Leipzig. Und es werden immer mehr.  

Recherchen zeigen, dass die Steuertricks möglicherweise nicht immer legal sind. Ein Panorama-Team gab sich als Unternehmen aus, das in Zossen Steuern sparen wollte: Wie einfach ist es in der Kleinstadt, eine Firma nur auf dem Papier zu betreiben? Eine Briefkastenfirma zu gründen?

Verwaiste Bürogebäude, volle Briefkästen

Im Internet werben gleich mehrere Anbieter für Büroplätze mit besonderen Dienstleistungen. Schon ab 99 Euro im Monat kann eine Firma einen Büroplatz in Zossen mieten, sich die Post weiterschicken und das Telefon umleiten lassen. Das erzählt einer der Büroanbieter. Er sei immer allein in dem zweistöckigen Bürogebäude. Die Firmen säßen in Berlin oder anderswo: "Die Hälfte der Firmen wissen wahrscheinlich noch nicht einmal, wo Zossen liegt."

Henning Tappe

Experte Tappe sieht in dem Vorgehen der Firmen einen möglichen Verstoß gegen Steuergesetze.

Tatsächlich aber müssen Gewerbesteuern dort gezahlt werden, wo entweder Arbeitnehmer arbeiten, Autos vom Band rollen oder wenigstens Entscheidungen getroffen werden. Ein bloßer Briefkasten reiche nicht aus, wie Henning Tappe von der Universität Trier erklärt. "Wenn ich behaupte, ich hätte in Zossen eine Firmenadresse, ich würde dort tatsächlich geschäftlich tätig sein, bin es aber nicht, und gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben mache, dann kann das Steuerhinterziehung sein", so Steuerrechtler Tappe.

Nur laxe Kontrollen?

Beide Büroanbieter behaupten Panorama gegenüber, dass das zuständige Finanzamt so gut wie nie vorbeikomme und prüfe. Einmal sei die Sachbearbeiterin doch da gewesen, habe aber gescherzt: "Lassen Sie mich raten, die zwei Firmen sind gerade gegangen?" Der Büroanbieter, so erzählt er selbst, habe erwidert: "Nein, heute waren es drei!"

Mehrere Briefkästen hängen in einem Hausflur eines Hauses in Zossen.

Hier kommt nur die Post: Firmenbriefkästen in Zossen.

Ob eine Firma hier tatsächlich arbeite, erfrage das Finanzamt einmalig mit einem kurzen Fragebogen. Sollten doch einmal Dokumente notwendig sein, die belegen, dass Firmen hier auch arbeiteten, beruhigt einer der Büroanbieter, hätte er genügend Quittungen vom Bäcker und der Tankstelle um die Ecke. Aber das zuständige Finanzamt wisse natürlich, was hier los sei, meint der Anbieter: "Die sind ja nicht blöd."

Finanzämter als Teil des Problems

Das Finanzamt Luckenwalde verweist Panorama gegenüber auf das ihm überstehende Finanzministerium. Mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert, erklärte Lutz Rensing vom Finanzministerium Brandenburg: "Es ist eine Sache, dass es Briefkastenfirmen gibt. Die andere Sache ist, wie das Finanzamt damit umgeht. Und hier haben wie uns die Entscheidungsabläufe angesehen und sind zum Ergebnis gekommen, dass da fehlerfrei gearbeitet wird."

Christoph Trautvetter

Christoph Trautvetter beklagt ein mangelhaftes Kontrollinteresse der Finazämter.

Doch warum fand Panorama dann trotzdem hunderte menschenleere Firmensitze in der Kleinstadt? Die laxe Kontrolle sei ein strukturelles Problem, meint Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit: "Die lokal zuständigen Finanzämter haben oft überhaupt kein Interesse daran, gegen dieses Modell vorzugehen." Denn würden sie richtig prüfen, würden Zossen - und damit auch Brandenburg - vermutlich Gewerbesteuereinnahmen verloren gehen.

Steueroasen kein rein ausländisches Problem

Die Bürgermeisterin von Zossen, Wiebke Schwarzweller, weist den Vorwurf zurück, ihre Stadt sei eine "Gewerbesteueroase" und betreibe "unfairen Wettbewerb". Das Thema sei "durchaus kompliziert", so ihr Pressesprecher, und Zossen habe den Gewerbesteuersatz bereits erhöht. Außerdem handle die Stadt "im Rahmen der Gesetze", so die Bürgermeisterin.

Axel Troost, Gewerbesteuerexperte der Linkspartei, fordert schon seit langem eine Reform des Gewerbesteuergesetzes: "Weltweit bekämpft Deutschland Steueroasen, aber bei uns passiert genau das gleiche, aber das kümmert den Finanzminister nicht. Das ist untragbar."

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sieht auf Panorama-Anfrage dagegen keinen Handlungsbedarf bei der Gewerbesteuer. Mit ihr könnten Kommunen im Wettbewerb Standortnachteile ausgleichen.

Annette Kammerer, NDR, 21.05.2021 15:44 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Panorama im Ersten am 20. Mai 2021 um 21:45 Uhr.