Ein Mann mit Schutzmaske läuft an einem geschlossenem Laden vorbei. | dpa
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Corona-Krise Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt

Stand: 30.03.2020 13:42 Uhr

Seit Ende 2016 fliegt Deutschland nahezu monatlich Afghanen nach Kabul aus. Nun sind die Abschiebungen wegen der Corona-Lage vorerst ausgesetzt worden.

Von Gabor Halasz, NDR

Im April sollte der nächste Flieger Richtung Kabul mit ausreisepflichtigen Afghanen an Bord starten. Doch dazu kommt es nicht. Die Rückführungen sind bis auf Weiteres gestoppt. Das bestätigte das Bundesinnenministerium dem NDR. Die Regierung in Kabul habe Deutschland gebeten, die Abschiebungen vorerst auszusetzen. Grund dafür ist die sich verschärfende Corona-Krise.

Gabor Halasz

Das Bundesinnenministerium spricht von einer dynamischen Lage. Zahlreiche Staaten verweigerten bereits die Einreise oder beschränkten sie. "Soweit Rückführungen vor diesem Hintergrund noch möglich sind, wird die Bundespolizei diese begleiten."

Der Bund organisiert seit 2016 die Sammelabschiebungen nach Afghanistan und chartert Flugzeuge. Die Bundesländer melden dafür ausreisepflichtige Personen an. Auch mehrere Landesministerien bestätigten dem NDR den vorläufigen Stopp.

Brandenburg erklärt: "Derzeit sind keine konkreten Abschiebungen nach Afghanistan geplant." In Zukunft werde angepasst an die Lage entschieden. Auch Sachsen bestätigt, dass derzeit viele Abschiebungen nicht stattfinden, "weil zum Beispiel Zielländer keine Rückführungen akzeptieren oder es keine Flugverbindungen gibt".

Aus Bayern heißt es, dass es wichtig wäre, auch in Zukunft straffällige Ausländer abzuschieben. Für Rückführungen nach Afghanistan sei aber der Bund zuständig. Das Saarländische Innenministerium teilt mit: "Es liegt weiterhin im öffentlichen Interesse, vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige, insbesondere Straftäter. Gefährder und Identitätstäuscher, abzuschieben." Doch im Moment dürfte wegen der "faktischen Gegebenheiten die Thematik wohl eher in den Hintergrund rücken".

Coronavirus, Sars-CoV-2 und Covid-19

Coronavirus ist die geläufigste Bezeichnung für das neuartige Virus aus China. Dessen offizieller Name, den die WHO festgelegt hat, lautet Sars-CoV-2. Die aus dem Virus resultierende Lungenkrankheit heißt Covid-19.

Viele Rückkehrer aus dem Nachbarland Iran

Für Afghanistan meldet die Johns Hopkins Universität Stand Vormittag 120 bestätigte Corona-Fälle, darunter vier Todesopfer. Die Dunkelziffer dürfte aber weit höher liegen. Sorgen bereitet vor allem die Nachbarschaft zum Iran. Von dort kehren wegen der Corona-Krise täglich afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Seit Samstag gilt eine dreiwöchige Ausgangssperre.

Die Sozialwissenschaftlerin Friederike Stahlmann ist gerade von einer Reise aus Kabul zurückgekehrt. Sie berichtet: "Eine unkontrollierte Verbreitung des Corona-Virus in Afghanistan scheint nicht vermeidbar zu sein - auch weil die Bevölkerung zur ganz überwiegenden Mehrheit nicht die Möglichkeit hat, Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen." Es mangele an Tests. Die Bereitschaft, sich testen zu lassen, sei kaum gegeben. Oft werde versucht, die Krankheit zu verheimlichen. Es bestehe die Sorge aufgrund des "Seuchen-Stigmas", Arbeit, Obdach und soziale Unterstützung zu verlieren. Das werde bereits jetzt deutlich, Rückkehrer würden "primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht".

Dazu komme, dass ein großer Teil der Bevölkerungen an Vorerkrankungen leidet und die meisten schon aus finanziellen Gründen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hätten.

Stahlmann berichtet aus Gesprächen mit Ärzten: "Selbst für den Fall, dass nur vereinzelte RückkehrerInnen aus dem Iran erkranken würden, sei das bei weitem nicht ausreichend, geschweige denn, wenn sich das Virus ungebremst unter den weit mehr als 30 Millionen Menschen im Land verbreitet. Bisher geht das Gesundheitsministerium von 700.000 Betroffenen aus, die in Krankenhäusern behandelt werden müssten." Ein weiteres Problem sei, dass auch vor Corona die Ärzte schon in 36 Stunden-Schichten arbeiten würden und völlig überlastet seien.