Der Eingang des BKA
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Deutsche Sicherheitslage Wenn der Ukraine-Krieg zu uns kommt

Stand: 15.03.2022 11:58 Uhr

Deutsche Behörden fürchten, dass sich der Krieg gegen die Ukraine auf die hiesige Sicherheitslage auswirken könnte. Im Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz beobachtet man die Lage daher besonders genau.

Auf dem Lagepapier des Bundeskriminalamtes (BKA) prangt die deutsche neben der ukrainischen Flagge. Die Informationssammelstelle, die den Bericht erstellt hat, wurde vor rund zwei Wochen in der Staatsschutz-Abteilung des BKA eingerichtet. Sie trägt den Namen "Kiew" und soll alle relevanten Erkenntnisse zusammentragen, die den Krieg in der Ukraine und dessen möglichen Auswirkungen auf die innere Sicherheit in Deutschland betreffen.

Behörden in Alarmbereitschaft

Im BKA will man vorbereitet sein, falls der Konflikt auch hierzulande zu Gewalt führt. Etwa zu Ausschreitungen am Rande von Demonstrationen gegen die russische Invasion, oder zu Anfeindungen und Angriffen auf russische oder ukrainische Geschäfte, Restaurants und vor allem Menschen.

Bislang zählt das BKA rund 500 Straftaten und Delikte in diesem Zusammenhang, darunter vor allem Beleidigungen und Bedrohungen, insbesondere geäußert im Internet. Aber auch Sachbeschädigungen wurden registriert, zuletzt etwa ein Brandanschlag auf die Sporthalle der deutsch-russischen Lomonossow-Schule im Berliner Ortsteil Marzahn in der vergangenen Woche.

Ausreisen zum Kampf ins Kriegsgebiet

Ein besonderes Augenmerk werfen die Sicherheitsbehörden auch auf Ausreisen ins Kriegsgebiet. Dabei hat sich folgende Linie herausgebildet: Ausreisen, um sich der russischen Seite anzuschließen, sollen prinzipiell unterbunden werden. Wer sich hingegen ukrainischen Streitkräften anschließen will, soll reisen dürfen. Gestoppt werden sollen hingegen in allen Fällen Personen, die den Behörden als Extremisten bekannt sind. 

In den vergangenen Jahren bereits waren einige Rechtsextremisten aus Deutschland in die Ukraine gereist, um sich dort Kampfeinheiten anzuschließen, wie dem ultra-nationalistischen Azow-Regiment, in dem zahlreiche ausländische Freiwillige dienen.

Aktuell, so heißt es im Lagebild des BKA, gebe es noch keine systematische Rekrutierung von Kämpfern in der rechtsextremistischen Szene. Allerdings gebe es durchaus Aktivitäten, vor allem in sozialen Netzwerken, die auf mögliche Unterstützungshandlungen durch deutsche Neonazis hindeuteten, wie geplante Hilfskonvois.

Mehr als 30 Extremisten, bei denen es Hinweise gibt, dass sie sich möglicherweise ins Kriegsgebiet begeben könnten, wurden der Bundespolizei von den Verfassungsschutz- und Polizeibehörden gemeldet. Deren Ausreisen sollen unterbunden werden.

Sicherheitsbehörden behalten Extremisten im Blick

Im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) befasst man sich derzeit ebenfalls intensiv mit dem Ukraine-Krieg. Der Inlandsnachrichtendienst hat dazu die Sonderauswertung "Momentum" gestartet, um Erkenntnisse über verstärkte Spionage-Aktivitäten, Cyberangriffe, Desinformations-Kampagnen und Reisebewegungen von Extremisten zusammenzutragen. Allerdings sollen es bislang nur einige wenige deutsche Rechtsextremisten in die Ukraine geschafft haben, einige sollen zudem bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. 

"Dem BfV liegen vereinzelte Hinweise - im niedrigen einstelligen Bereich - auf erfolgte Ausreisen von Extremisten aus Deutschland in die Ukraine vor", so teilt eine Sprecherin des Verfassungsschutzes mit. "Die Sicherheitsbehörden behalten entsprechende Werbungsversuche und mögliche Ausreiseabsichten aufmerksam im Blick."

In zwei Fällen hat die Bundespolizei in den vergangenen Wochen Ausreisen verhindert: Ein mehrfach vorbestrafter, militanter Tierschützer wollte sich mutmaßlich auf Seiten der Ukraine an den Kämpfen beteiligen. Außerdem wurde ein Deutsch-Russe gestoppt, der russische Reservisten-Unterlagen bei sich geführt haben soll und wohl über Moskau in die Ukraine reisen wollte, um sich den russischen Streitkräften anzuschließen. Beide Personen sollen militärisches Equipment im Gepäck gehabt haben.

Ausreisen durften hingegen sieben Ukrainer, die zunächst an der französisch-deutschen Grenze aufgegriffen worden waren. Einige der Personen hatten Einberufungsbescheide der ukrainischen Armee bei sich. Die Bundespolizei fragte schließlich bei den polnischen Behörden an, ob diese Gruppe nach Polen weiterreisen dürfe. Dort hatte man keine Einwände, die Ukrainer durften reisen.

Erhöhte Gefährdungslage

Im Bereich der Cyberabwehr besteht seit einigen Wochen bereits erhöhte Alarmbereitschaft. "Die deutschen Sicherheitsbehörden sind vorbereitet und beobachten die Entwicklungen sehr genau", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser Ende Februar zum Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine. Die Behörden hätten ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt und auch deutsche Unternehmen sensibilisiert.

Ein Mann tippt auf einer beleuchteten Tastatur eines Laptops.

Die Hackergruppe "Ghostwriter" hat deutsche Politiker im Visier. mehr

Auch die Bundeswehr sieht eine erhöhte Gefährdungslage und rechnet mit möglichen Cyberangriffen russischer Stellen. Mittlerweile warnt das für den Schutz der Regierungsnetze zuständige Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auch vor möglichen russischen Cyberattacken auf sogenannte "Hochwert-Ziele" in Deutschland. 

Der Verfassungsschutz hat zudem inzwischen mehrere Angriffe der sogenannten "Ghostwriter"-Kampagne auf die E-Mail-Konten von Abgeordnete aus Landesparlamenten und dem Bundestag festgestellt. Erfolgreich aber sollen diese bislang nicht gewesen sein.

Hackerangriff auf Deutschland-Tochter Rosneft

Am Wochenende dann zeigte das deutsche Tochterunternehmen des russischen Konzerns Rosneft beim BSI einen Cybersicherheitsvorfall an. Hacker hatten offenbar Daten aus der Firma erbeutet. Inzwischen hat sich das Hacker-Kollektiv Anonymous zu dem Datendiebstahl bekannt. Das BKA hat die Ermittlungen übernommen, wie das Magazin "Spiegel" am Montag berichtete.

Der Deutschland-Ableger von Rosneft war nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren für rund ein Viertel aller Rohölimporte in die Bundesrepublik zuständig. Das Unternehmen gehört somit zu den Einrichtungen der sogenannten "Kritischen Infrastruktur".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten MDR aktuell am 03. März 2022 um 12:17 Uhr und das Erste am 06. März 2022 um 12:03 Uhr.