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Wahlprogramme im Vergleich Was die Parteien außenpolitisch wollen

Stand: 12.08.2021 12:25 Uhr

Die Haltung gegenüber Russland, China oder der Türkei ist bei den Parteien sehr unterschiedlich. Die AfD will aus der EU austreten, die Linkspartei stellt die NATO infrage. Die Positionen im Vergleich.

In der Europa-, Außen- und Verteidigungspolitik setzen die Parteien unterschiedliche Akzente: Während Union, FDP und SPD weitestgehend an bestehenden Verhältnissen und Institutionen festhalten und nur kleine Korrekturen fordern, wollen Grüne und Linkspartei die Europäische Union hin zu einem sozial-ökologischen Staatenbund reformieren. Die Linkspartei stellt sich gegen die NATO. Die AfD wiederum will den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und aus der gemeinsamen Euro-Währung.

CDU/CSU

In ihrem Wahlprogramm haben CDU/CSU grundsätzliche Fragen der internationalen Politik an den Anfang gestellt. Sie setzen dabei auf die Stärkung der bestehenden internationalen Bündnisse, wie UN, NATO und vor allem Europäische Union.

Die Union bekennt sich zum "Green Deal" - dem EU-Klimaschutzplan - und will sich für einen EU-Klimaaußenbeauftragten einsetzen. Um in Europa besser auf Wirtschafts- und Finanzkrisen vorbereitet zu sein, wollen CDU und CSU den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die Bankenunion und die Kapitalmarktunion unter Stabilitätsaspekten weiterentwickeln und vollenden.

Defizite sieht die Union bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen. Sie will deshalb die Europäische Grenzschutzagentur Frontex zu einer echten Grenzpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befugnissen ausbauen und ihre personellen Kapazitäten deutlich aufstocken. Die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik wollen CDU/CSU grundlegend reformieren: Fluchtursachen sollen stärker durch Unterstützung der EU in den Herkunftsländern bekämpft, Kosten und Lasten "fair und solidarisch verteilt werden". Europäisch verwaltete Entscheidungszentren sollen bereits an den EU-Außengrenzen prüfen, ob ein Asylanspruch vorliegt (vgl. "Wie die Parteien Zuwanderung regeln wollen").

Die USA sind aus Sicht der Union weiterhin der wichtigste weltpolitische Partner. Die östlichen Partner der EU will die Union stärken, auch gegen Russland. Die im Zuge des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen gegen Moskau befürwortet sie. Zugleich wollen CDU und CSU weiter den Dialog und die Zusammenarbeit mit Russland suchen, etwa beim weltweiten Klimaschutz. Die größte außen- und sicherheitspolitische Herausforderung ist aus Sicht der Union die Volksrepublik China. Das Land sieht sie als "Wettbewerber, Kooperationspartner, aber auch als systemischen Rivalen". Einerseits will sie daher Chinas Machtwillen entgegentreten, andererseits strebt sie aber "dort, wo es möglich ist", eine Zusammenarbeit an. Befürwortet wird ein gemeinsames Vorgehen des Westens.

Eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei lehnt die Union ab, stattdessen befürwortet sie eine enge Partnerschaft. CDU und CSU messen der Türkei eine große strategische und wirtschaftliche Bedeutung für Deutschland und die EU zu. Sie wollen daher weiter eng mit der Regierung in Ankara zusammenarbeiten und setzen auf einen kritischen und konstruktiven Dialog.

In der Verteidigungs- und Rüstungspolitik wird die vollständige Abrüstung aller nuklearen Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper in Europa als langfristiges Ziel genannt. CDU und CSU bekennen sich klar zur NATO und zum Zwei-Prozent-Ziel. Das Bündnis hatte vereinbart, dass jeder Mitgliedsstaat zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt. Die Bundeswehr soll spätestens bis 2030 mindestens zehn Prozent der "militärischen Fähigkeiten" des Bündnisses bereitstellen. Die Union spricht sich für die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr aus. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten soll auf 203.000 (derzeit knapp 184.000) aufgestockt werden, Gelöbnisse sollen grundsätzlich öffentlich stattfinden.

Die Union will im Bundeskanzleramt einen Nationalen Sicherheitsrat schaffen, der außen- und sicherheitspolitische Koordinierung, strategische Vorausschau und nachrichtendienstliche Erkenntnisse des Bundes und der Länder zusammenführt.

SPD

In ihrer außenpolitischen Agenda stellt die SPD Europa und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die 17 internationale Nachhaltigkeitsziele definiert, an die erste Stelle. Die Partei will den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu einem Nachhaltigkeitspakt weiterentwickeln und einen europäischen Kapitalmarkt entwickeln. Statt einer Rückkehr zur Kürzungspolitik vor Corona soll es eine gemeinsame sozial-ökologische Investitionspolitik werden.

Die EU muss laut SPD als weltweiter Technologieführer in Zukunftssektoren unabhängiger von Dritten werden. Dem Energiesektor misst sie dabei eine Schlüsselrolle zu, um das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen. Die SPD will sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass Europa eine Vorreiterrolle bei internationaler Krisenprävention, Friedens- und Demokratieförderung sowie zum Schutz von Menschenrechten einnimmt. Sie fordert eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei Fragen der europäischen Außenpolitik, damit die EU handlungsfähiger wird.

Im Verhältnis zu den USA braucht es aus Sicht der SPD einen Neustart. Die Zusammenarbeit bei Themen wie Klimaschutz, globaler Gesundheitspolitik, Handel, Abrüstung und Sicherheitsfragen will sie intensivieren. Auch mit Russland will sie den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Den Dialog mit der Türkei will sie intensivieren, deren innen- und außenpolitischen Kurs sie mit Sorge betrachtet.

Die SPD sieht sich als Friedenspartei in Deutschland, die auf Diplomatie und Dialog, auf zivile Krisenprävention und Friedensförderung, auf Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie internationale Zusammenarbeit setzt. In der Verteidigungspolitik bekennt sich die SPD zur Bundeswehr und NATO und strebt eine restriktive Rüstungsexportpolitik an. Eine Welt ohne Atomwaffen bleibt das Ziel sozialdemokratischer Außenpolitik.

AfD

Die AfD bekennt sich zur Charta der Vereinten Nationen, etwa dem Ziel des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie der Achtung der Menschenrechte ungeachtet der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion. Sie hält den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für notwendig und plädiert für einen Bund souveräner Nationalstaaten. Sicherheitspolitisch strebt sie strategische Autonomie für Deutschland und seiner europäischen Partner an. In diesem Rahmen müsse Deutschland seine Rolle in Europa verantwortungsbewusst wahrnehmen. Eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik lehnt die AfD ab. Aus der Euro-Währung soll Deutschland ebenfalls austreten.

Die Partei plädiert für eine ausgewogene Zusammenarbeit mit den USA und Russland. Die EU-Sanktionen gegen Russland lehnt sie ab, sie will die wirtschaftliche Kooperation stärken. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Europa bringen soll, hält sie für unverzichtbar. Nach Ansicht der AfD ist ohne Russland ein dauerhafter Frieden in Europa nicht möglich. China sieht die AfD vor allem als Handelspartner. Hier fordert die Partei eine Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen. Einen EU-Beitritt der Türkei lehnt die AfD ab. Sie fordert das sofortige Ende der derzeit unterbrochenen Beitrittsverhandlungen.

In der Verteidigungspolitik sieht die AfD die NATO- und OSZE-Mitgliedschaft Deutschlands als bedeutsam an. Die NATO soll sich jedoch auf das Gebiet der Bündnisstaaten begrenzen. Bei den Vereinten Nationen fordert die AfD für Deutschland einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Die AfD setzt sich für die globale Abschaffung von Massenvernichtungs-Waffen (ABC-Waffen) ein und fordert den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, aber auch der auf Deutschland gerichteten atomaren Kurzstreckenwaffen. Die Bundeswehr soll wieder eine Wehrpflicht bekommen, jedoch nur für Männer. Sie soll um ein verpflichtendes Gemeinschaftsdienstjahr in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Pflege, Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk ergänzt werden: für alle Frauen - und für Männer, die den Wehrdienst ablehnen.

FDP

Die FDP will die EU deutlich stärken - als Bundesstaat mit rechtsverbindlicher gemeinsamer Verfassung, Grundrechtekatalog und starken Institutionen, auch mit einem durch mehr Befugnisse gegenüber der EU-Kommission gestärkten Europäischem Parlament. In der europäischen Außenpolitik fordert die FDP Mehrheitsentscheidungen statt des Einstimmigkeitsprinzips, um handlungsfähiger zu werden. Es soll eine europäische Armee geben - unter gemeinsamem Oberbefehl und mit parlamentarischer Kontrolle.

In der europäischen Finanzpolitik pochen die Liberalen auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die Haushaltsdefizite und Schuldenstand in den Ländern begrenzen. Eine sogenannte Schuldenunion lehnt die FDP ab. Die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 soll in der EU gemeinsam entschieden werden - und im Einklang mit EU-Handelsregeln und geltenden Sanktionen gegenüber Russland erfolgen.

Die Liberalen sehen sich als überzeugte Transatlantiker. Sie wollen einen Neuanfang mit der US-Administration und die transatlantischen Handelsbeziehungen hin zu einem transatlantischen Wirtschaftsraum vertiefen. Die EU-China-Beziehungen sollen gezielt weiterentwickelt werden. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen beendet und die Beziehungen auf eine neue Grundlage enger sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit gestellt werden.

In der Verteidigungspolitik bekennt sich die FDP zur Bundeswehr und zur NATO als Sicherheitsbündnis und spricht sich für einen NATO-Dialog mit Russland aus sowie eine klare Strategie im Umgang mit China. Auch das Ziel einer atomwaffenfreien Welt wird von der FDP weiter unterstützt.

Die Linke

Die Linkspartei strebt einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik an. Sie plädiert für gewaltfreie Konfliktlösung und grenzübergreifende Kooperation. Die Europäische Union will sie hin zu einem solidarischen Europa verändern. Den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrachtet sie als Investitionshemmnis. Defizit- und Schuldenregeln müssten angepasst werden, sodass mehr investiert werden kann. Die Kompetenzen der EU-Kommission sollen eingeschränkt und die Rechte des europäischen Parlaments gestärkt werden. Die Klimapläne der EU-Kommission ("Green Deal") hält die Linkspartei für unzureichend: Sie will Europa mit neuen Verträgen sozial-ökologisch umsteuern.

EU-weit fordert sie ein Rüstungsexportverbot. Eine europäische Verteidigungsunion und die Kooperation von EU und NATO lehnt sie ab, genauso wie Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die deutschen Soldaten sollen aus allen Auslandseinsätzen abgezogen werden, auch aus Einsätzen unter der Verantwortung der NATO. Dafür bisher verwendete Mittel will die Linkspartei in ein ziviles Aufbau- und Friedenssicherungsprogramm stecken. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO lehnt die Linkspartei ab. Die NATO sollte aufgelöst werden, zumindest aber sollte Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austreten.

Russland und China als Feindbilder zu betrachten, lehnt die Linkspartei ab. Die transatlantischen Beziehungen zu den USA werden im Wahlprogramm nicht erwähnt.

Bündnis90/Die Grünen

Die Grünen stellen sich Deutschland auf dem internationalen Parkett künftig mehr als gestaltende denn als moderierende Kraft vor. Sie bekennen sich ausdrücklich zur EU mit ihren Institutionen und wollen sie weiter stärken. Wie SPD und FDP sprechen sich die Grünen für Mehrheitsentscheidungen und gegen das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik aus.

Die Partei will die Europäische Währungsunion zu einer Sozialunion ausweiten und in der EU konsequent in Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung und Bildung investieren. Dafür will die Partei den bisherigen Stabilitätspakt zu einem permanenten Investitions- und Stabilisierungsinstrument unter Kontrolle des Europäischen Parlaments umbauen.

Internationale Handelsabkommen lehnen die Grünen ab, wenn sie Klima, Umwelt und Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ausreichend schützen. Das CETA-Handelsabkommen mit Kanada will die Partei um stärkere Regelungen zu Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz ergänzen. Das EU-China-Investitionsabkommen halten die Grünen für unzureichend.

Die Politik der Türkei sieht die Partei kritisch, will ihr jedoch eine Tür zur EU offen lassen: Die Wiederaufnahme der Gespräche über einen EU-Beitritt soll politisches Ziel bleiben. Die Grünen unterstützen die EU-Russlandpolitik mit ihren Sanktionen, die sie gegebenenfalls verschärfen wollen. Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 wollen die Grünen stoppen. Sie wollen einen konstruktiven "Klima-Dialog" mit Russland.

In der Verteidigungspolitik fordern die Grünen eine Rückkehr zur konventionellen Rüstungskontrolle: Erste Schritte sollten etwa eine Wiederaufnahme des Sicherheitsdialogs und militärischer Kontakte zwischen NATO und Russland sein. Über Europa hinaus sollen andere Länder einbezogen werden, insbesondere China. Die NATO stellen die Grünen als Bündnis nicht grundsätzlich infrage, es soll jedoch strategisch neu ausgerichtet werden. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO lehnen die Grünen ab.