Händler an der New York Stock Exchange

Eine Frage des Timing Wie viel Jazz steckt in der Börse?

Stand: 28.09.2021 15:22 Uhr

Heute vor 30 Jahren starb Miles Davis. Innovation, Improvisation und perfektes Timing zeichneten ihn als Jazz-Musiker aus. Diese Elemente finden sich auch an der Börse wieder. Was können beide Welten voneinander lernen?

Der Sound von Miles Davis ist längst legendär. Seit Jahrzehnten stehen seine Stücke für Innovation und Erfindergeist. Andreas Dittinger, Jazz-Pianist aus Mainz, weiß, wie viel Kraft davon ausgehen kann, sich immer wieder neu zu erfinden. "Miles Davis war zu jeder Zeit stilbildend. Egal, was er gemacht hat: Es war was Eigenes. Er war zum Beispiel der Meister der wenigen Töne. Und egal, was er angefasst hat - er war 50 Jahre lang immer derjenige, den man angeschaut hat und gesagt hat: 'Mensch, das ist jetzt was richtig Neues!'"

Innovation als Erfolgsfaktor

Innovation als Erfolgsfaktor ist etwas, das die Welt der Musik und die Welt der Finanzen verbindet. Dittinger kennt beide Seiten: Er studierte BWL in den USA, kehrte dann aber zurück nach Deutschland - als Pianist mit eigenem Jazz-Trio und als Dozent der Hochschule für Musik in Mainz. In beiden Welten geht es um den richtigen Einsatz.

Ich kann die schönsten Noten spielen, ich kann die schönsten Lines spielen, ich kann die tollsten Harmonien hintereinander setzen: Wenn ich nicht verstehe, wann ich die zu setzen habe, und wenn ich auch nicht verstehe, wann ich die nicht zu setzen habe - Stichwort: rausgehen, reingehen - und vielleicht auch, wenn ich nicht verstehe, wenn ich einfach mal nichts tun sollte - Stichwort: Der Markt geht runter, aber ich sitze das aus -, dann werde ich nie den Effekt erzielen, den ich haben will.
Jazz-Musiker Miles Davis spielt im Jahre 1957 für die Schauspielerin Jeanne Moreau

Innovation und Improvisation, das Testen neuer Ideen und das Talent, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen - all das zeichnete Miles Davis als Musiker aus.

Intuition und Kreativität

Timing ist alles. Im Jazz - und an der Börse. Also an dem Ort, an dem die Zukunft gehandelt wird. Und wie die aussieht, will Gertrud Traud möglichst genau wissen. Die Chefvolkswirtin der Helaba, der Landesbank Hessen-Thüringen, sagt: Die Welt der Musik sei der Welt der Wirtschaft in vielem ähnlich. Es gehe um Stimmungen, es gehe aber auch viel um Intuition. "Unsere Aufgabe ist es ja rauszubekommen: Was machen die Marktteilnehmer morgen oder übermorgen?" Intuition sei notwendig, um zu antizipieren, was als Nächstes passiere. "Das ist das, was wir mit Prognosen machen - auch auf Basis von Modellen. Aber das letzte Quentchen ist immer das Qualitative - man könnte es auch das Kreative nennen", sagt Traud. 

Intuition und Kreativität sind gar nicht so weit weg von der Improvisation - auch ein zentraler Bestandteil, der Jazz und Börse vereint. "Wir müssen flexibel sein, wir müssen uns immer wieder im Moment auf das Umfeld einstellen. Wir müssen mal vorne stehen und unser Solo spielen - und mal müssen wir defensiv sein und uns im Aktienhandel zurückhalten", sagt Markus Koch. Der Börsenjournalist berichtet aus New York - von der Wall Street. Er selbst spielt seit Jahren Jazz-Klavier. "Wenn ich mir die Wall Street der letzten 30 Jahre anschaue - der Boom der Internet-Unternehmen, die Auferstehung der Kryptowährungen oder die ganzen Raumfahrtgesellschaften, die jetzt entstanden sind: Auch das hat sehr viel mit dem Willen zu tun, vielleicht auch mal zu scheitern, um - last but not least - doch zum Ziel zu kommen", sagt er.

Beide Welten können voneinander lernen

Sind Aktienhändler also die besseren Musiker? Oder umgekehrt? Zumindest können beide Welten voneinander lernen. Denn sie spielten unter denselben Voraussetzungen, sagt Pianist Dittinger. "Als Jazz-Musiker gehe ich auf die Bühne und am besten weiß ich nicht, was vorher passiert - und nehme mir so wenig wie möglich vor, sondern gehe volles Risiko; und versuche mich immer wieder neu zu erfinden, um mich zu inspirieren und das Publikum zu inspirieren", sagt er. "Aber ich weiß nicht, was am Ende dabei rauskommt." Genauso sei das an der Börse auch: "Ich geh' rein, habe vielleicht ein Ziel - aber, ich weiß nicht genau, was passieren wird, und es kann auch schiefgehen." 

Der Mut zum Risiko, aber auch solides Handwerk ergänzen sich im besten Fall zu einem stimmigen Gesamtbild auf den Brettern, die die Welt bedeuten - ganz egal, wo die am Ende liegen mögen: auf der Bühne oder auf dem Börsenparkett.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 28. September 2021 um 15:10 Uhr.