Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB)

Veranstaltung der EZB Sorgen vor hohen Tarifabschlüssen

Stand: 20.03.2024 19:47 Uhr

Was wirkt im Kampf gegen die Inflation? Darüber sprachen bei einer EZB-Tagung in Frankfurt Geldpolitiker und Volkswirte. Sorgen machen ihnen unter anderem die steigenden Arbeitskosten.

Geldpolitiker der Europäischen Zentralbank und Volkswirte aus Banken und Universitäten berichteten am Mittwoch bei einer Konferenz in Frankfurt am Main über besorgniserregend steigende Arbeitskosten. Dahinter steckt die Überlegung, dass höhere Einkommen zu mehr Nachfrage führen und damit Preise steigen lassen. Arbeitgeber sind umgekehrt geneigt, Preise zu erhöhen, um ihre höheren Arbeitskosten zu decken. Wenn Preise allgemein steigen, verliert das Geld entsprechend Wert und die Inflation steigt. 

EZB- Präsidentin Christine Lagarde berichtete vom "Lohnerwartungsrechner" der Behörde ("Wagetracker"). "Das beobachten wir sehr sorgfältig", sagte Lagarde. Im Moment bewegten sich die Daten zwar in die richtige Richtung. "Das ist gut, aber noch nicht genug", bemerkte sie. Sie berichtete mit Sorge von vorangegangenen starken Lohnerhöhungen.

Mindestlöhne teils stark angestiegen

Aktuelle Zahlen gibt es dazu bei den Mindestlöhnen. Sie sind in der Eurozone teils drastisch gestiegen. In Deutschland stiegen Einkommen auf Mindestlohnbasis laut Eurostat seit vier Jahren um ein Drittel von 1.544 auf 2.054 Euro. Die Werte liegen über der Inflationsrate, was bedeutet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa trotz höherer Energie- und Lebensmittelpreise sich mehr leisten können als früher - was wiederum die Inflation befeuern könnte.

"Es ist schwierig, Löhne zu senken", sagte die Madrider Wirtschaftsprofessorin Evi Pappa. Ein Teilnehmer der Konferenz warf die Frage auf, wann Gewerkschafter einsehen würden, dass angesichts höherer Einkaufspreise in der Wirtschaft das alte Wohlstandsniveau für Arbeitnehmer nicht mehr erreichbar sei.

Gebremste Arbeitsleistung

Amtliche Daten der Statistikbehörde Eurostat zeigen, dass Unternehmen Ende 2023 um ein Fünftel höhere Kosten für Arbeitnehmer zu zahlen hatten als Anfang 2022. Diese Kosten werden nicht ausschließlich, aber doch wesentlich von Löhnen und Gehältern bestimmt.

Lagarde wies darauf hin, dass auch geringere Produktivität die Kosten für Arbeit treibe. Vergangenes Jahr seien in der Eurozone zwei Millionen Menschen mehr als 2022 beschäftigt worden. Angesichts des Fachkräftemangels würden Unternehmen Personal horten, sagte Lagarde. Wenn die Belegschaft mangels Aufträge aber nicht unter Volldampf arbeiten kann, wird das Personal fürs Unternehmen teuer.

Fluch und Segen zugleich

Nachdem die Inflationsrate 2022 auf 8,4 Prozent gestiegen war, hatte die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöht und Auflagen für Banken verschärft. So wurde Geld am Finanzmarkt teurer. Das Ergebnis: Aktuell liegt die Inflationsrate im Euroraum bei 2,6 Prozent. Niedrige Inflation ist die eine Seite. Auf der anderen Seite bremsen höhere Zinsen die Wirtschaftsentwicklung. Wenn Geld teuer ist, wird weniger investiert - das betrifft Unternehmen genauso wie private Bauwillige.

Für die Geldpolitiker der EZB stellt sich die Frage: Wann können sie die Zinsen wieder senken? Präsidentin Lagarde gab an, dass die Entscheidung ausschließlich von Fakten und belastbaren Daten abhängig sei. Die Datenlage zur künftigen Inflation sei noch nicht klar. "Wir sind nicht belastbar überzeugt, auf einem nachhaltigen Pfad zu sein", sagte Lagarde. Der EZB-Rat könne nicht warten, bis alles glasklar sei. "Im April werden wir etwas mehr wissen und im Juni viel mehr" sagte Lagarde. EZB- Chefvolkswirt Philip Lane ergänzte: "Wir werden das für lange Zeit kalibrieren müssen".

Das Gespenst der Inflation

Inflation gilt in Deutschland als wirtschaftspolitisches Schreckgespenst. 1923 verarmten breite Bevölkerungskreise durch ungesteuerte Inflation. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich Schwund des Geldwerts in immer geringerem Warenangebot. Als 1948 die neue D-Mark eingeführt wurde, rückten Handel und Industrie ihre Waren heraus. Eine ähnlich verborgene Inflation gab es in der DDR. Dort stand einer hohen Geldmenge geringes Warenangebot gegenüber. Ablehnung von Inflation ist daher in Deutschland Ergebnis von Erlebnissen wirtschaftlicher Not und Erzählungen darüber.

Auch jenseits nationaler Prägungen ist geringe Inflation für Wirtschaftsräume wichtig. Wenn das Geld stabil bleibt, lässt es sich ruhig und beständig wirtschaften. Nicht unsinniges Schuldenmachen wird belohnt, sondern vernünftiges Kalkül. Der Handel mit Ländern, die andere Währungen nutzen, ist gut berechenbar.