DIW-Präsident Marcel Fratzscher

Fratzscher zur Zukunft der Rente "Die Beiträge werden deutlich steigen"

Stand: 06.03.2024 15:17 Uhr

Mit dem geplanten Generationenkapital zur Stärkung der Rente werden die Beiträge deutlich steigen, sagt DIW-Chef Fratzscher. Grundsätzlich begrüßt er die Pläne der Bundesregierung.

Von von Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion

tagesschau24: Die Bundesregierung will in diesem Jahr zwölf Milliarden Euro in ein Generationenkapital investieren. Es sollen bis zu 200 Milliarden Euro aufgebaut werden. Was bringt das bei 400 Milliarden jährlicher Ausgaben für die Rente?

Marcel Fratzscher: 200 Milliarden Euro sollen bis 2030 aufgebaut werden, über Kredite und öffentliche Vermögenswerte. Man geht von Annahmen aus, dass dann jährlich ab den 2030er-Jahren knapp zehn Milliarden Euro zusätzlich in die Rente fließen können. Man sieht: Das ist ein kleiner Bruchteil und wird natürlich die Last bei der Rente für die junge Generation nicht großartig schmälern. Prinzipiell ist eine Kapitaldeckung ja nicht falsch, aber es ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein und wird nicht wirklich grundlegend etwas verändern.

Marcel Fratzscher, DIW, über das "Generationenkapital"

tagesschau24, 06.03.2024 09:00 Uhr

"Viel mehr Menschen in Altersarmut"

tagesschau24: Viele Menschen befürchten, dass sie künftig mehr für die Rente zahlen müssen. Es gibt drei Stellschrauben: das Renteneintrittsalter, die Rentenhöhe, die Rentenbeiträge. Wenn eine Rentenhöhe von 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohnes garantiert werden soll, muss man an einer der anderen Stellschrauben drehen, oder?

Fratzscher: Genau. Und es ist nicht das Renteneintrittsalter, das soll nicht weiter steigen. Das heißt aber, die Beiträge für die jungen Menschen werden deutlich steigen - von 18,6 Prozent heute auf 22,3 Prozent Anfang der 2030er-Jahre. Die junge Generation trägt den größten Beitrag, und man muss sich da auch ehrlich machen.

Die vierte Stellschraube wird immer wichtiger werden: Das sind die Zuschüsse. Schon heute schießt die Bundesregierung 110 Milliarden Euro, knapp ein Viertel des Bundeshaushaltes, jährlich zusätzlich zu den Beiträgen in die Rente ein. Und dieser Anteil wird natürlich massiv zunehmen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in den nächsten zehn Jahren sehr viel mehr Menschen haben, die in Altersarmut landen werden. Wir haben viele Menschen, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben, die geringe Löhne gehabt haben. Auch über diese Altersarmuts-Grundsicherung wird der Staat noch mal mehr leisten müssen. Das wird nicht aus den Beiträgen kommen können, sondern letztlich aus Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt.

Widersprüchliche Haltung der Bundesregierung

tagesschau24: Das Geld soll in einen Fonds fließen und die Erträge komplett in die Rentenversicherung. Was wäre ohne diese 200 Milliarden - die spät genug kommen - die Babyboomer gehen ja jetzt in Rente?

Fratzscher: Der Berechnung zeigen: Wenn man wirklich nur die zusätzlichen Kosten dieser Stabilisierung bei den 48 Prozent finanzieren wollte, dann müsste man zusätzlich 40 Milliarden Euro pro Jahr über eine kapitalgedeckte Versicherung - also über dieses Generationenkapital - generieren. Das würde bedeuten, man bräuchte ein Generationenkapital nicht von 200 Milliarden Euro, sondern eher von 800 bis 900 Milliarden Euro, nur um die zusätzlichen Kosten zu finanzieren. Und das zeigt die Problematik.

Aber für mich ist ein anderes Problem bei dem Generationenkapital vorhanden. Die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister sagen: "Nein, wir dürfen keine Investitionen auf Pump finanzieren." Also, Investitionen in Bildung, in eine gute Infrastruktur, in die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft dürfen wir nicht über Pump machen, weil die Kosten der Finanzierung - also die Schulden - vom Staat finanziert werden müssten. Das sei teuer.

Jetzt widerspricht er sich, weil er 200 Milliarden Euro an Krediten an Schulden aufnimmt, um eben dieses Generationenkapital aufzubauen und sagt: "Die Investition in Unternehmen, Aktien weltweit, lohnt sich. Da ist die Rendite höher, als was der Staat an Zinsen zahlt." Das ist eine komplette Kehrtwende in der Argumentation des Bundesfinanzministers.

Es stört mich, dass man sagt, der Staat darf Schulden aufnehmen, um in Unternehmen weltweit zu investieren, aber er darf keine Schulden aufnehmen, um in Bildung, eine gute Infrastruktur in Deutschland zu investieren. Deshalb sehe ich hier einen grundlegenden Widerspruch, der gegen jegliche ökonomische Logik geht.

Investitionen in Bildung lohnen sich

tagesschau24: Sie sagen, diese Aktienrücklage ist dennoch grundsätzlich sinnvoll. Sie sagen aber auch, Investitionen in Klima, in Bildung und digitale Infrastruktur würden eine deutlich höhere Rendite für Wirtschaft und Gesellschaft bringen. Am Ende sollten sich vielleicht das eine und das anderen nicht ausschließen?

Fratzscher: Ganz genau. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Und ich argumentiere seit Langem, dass Deutschland eine große Investitionsoffensive braucht, nicht nur um die Rente stabil und zukunftsfest zu machen, sondern auch, um Deutschland wirtschaftlich zukunftsfähig zu machen. Wir brauchen Milliardeninvestitionen in der leistungsfähige Infrastruktur, bei Energie, bei Digitalem auch bei Verkehr.

Wir brauchen deutlich mehr Investitionen in Bildung. Und unsere wissenschaftlichen Studien zeigen: Für hundert Euro, die der Staat heute zusätzlich in Bildung investiert, kommen langfristig 200 bis 300 Euro in der Form von höheren Steuereinnahmen zurück, weil eben Bildungsausgaben die Menschen, die Unternehmen leistungsfähiger, produktiver machen und damit letztlich mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen schaffen.

Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung hier konsequent ist und logisch argumentiert und nicht sagt: "Ja, für die Rente nehmen wir Schulden auf, um Kapital anzulegen. Aber für Bildung, für Infrastruktur, für andere Dinge tun wir es nicht." Da sehe ich den großen Widerspruch. Und auch deshalb halte ich die Schuldenbremse, so wie sie jetzt ausgestattet ist, für unsinnig, weil sie eben nicht den Unterschied macht, wofür der Staat Geld ausgibt, ob es jetzt Investitionen sind oder ob es der öffentliche Konsum ist.

"Klüger sparen statt mehr sparen"

tagesschau24: Der Sozialverband VdK sagte als Statement: "Geldanlage in Aktien rentiert sich, wenn überhaupt, erst nach 30 Jahren." Das verunsichert die Menschen, die schon die Riester-Rente durchlebt haben, die jetzt Angst haben, dass die staatliche Rente nicht funktioniert, die Altersarmut befürchten und jetzt an der Börse investieren sollen. Was sagen Sie als Ökonom den Kleinanlegern zu solchen Statements?

Fratzscher: Das ist in der Tat sehr ärgerlich, weil wir wissen eben auch aus wissenschaftlichen Studien: Investieren in Aktien lohnt sich langfristig. Da ist gibt es zwei, drei, vier Prozentpunkte mehr Rendite, als wenn ich festverzinslich, in eine Staatsanleihe oder auf einem Sparkonto anlege. Aber der Rat ist, wenn Sie Geld im kommenden Jahr brauchen, ist die Anlage bei Aktien sicherlich nicht klug. Aber wenn Sie Geld haben, was Sie für einige Jahre nicht benötigen und hier Vorsorge betreiben wollen, dann sind Investitionen in Aktien eine sehr kluge Art und Weise zu sparen, weil es eben eine deutliche Rendite ermöglicht.

Jeder Sparer, jede Sparerin weiß doch aus den letzten Jahren, wie schmerzvoll es ist, wenn ich eine Inflation von fünf, sechs, sieben Prozent habe, aber Null Prozent Zinsen auf mein Sparkonto bekomme. Die letzten Jahre sollten die Menschen doch gelehrt haben, dass wir klüger sparen müssen - nicht mehr sparen müssen, sondern klüger sparen müssen. Und ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland hier einen Mentalitätswandel haben und mehr Menschen zumindest einen Teil ihrer Ersparnisse auch in Aktien anlegen.

Die Fragen stellte Antje Erhard, ARD-Finanzredaktion. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redaktionell bearbeitet.