"World Doctors Alliance" Superspreader der Desinformation
Fake News zu Covid-19 sind weit verbreitet. Eine Studie zeigt, wie ein internationales Netzwerk von Medizinern zu Superspreadern der Desinformation wurde - und wie Facebooks Maßnahmen dagegen ins Leere liefen.
Desinformation zur Corona-Pandemie ist in den vergangenen Monaten massenhaft verbreitet worden - und taucht längst nicht nur auf dubiosen Telegram-Kanälen auf. Zuletzt sorgten Äußerungen der Kabarettistin Lisa Fitz für Aufsehen, die im SWR behauptet hatte, es gebe bislang mehr als 5000 Impftote in der EU. Die "taz" berichtete zuerst über diese falsche Tatsachenbehauptung, der SWR nahm die Sendung später aus der Mediathek und räumte einen Fehler ein.
Behauptungen wie die von Fitz finden sich in ähnlicher Form immer wieder - beispielsweise bei dem russischen Staatssender RT DE. Zahlen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen werden als vermeintliche Belege für die Gefährlichkeit der Impfstoffe missbraucht, Verunsicherung wird gezielt geschürt. Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung solcher Behauptungen spielen Netzwerke, zu denen oft Prominente oder Mediziner gehören.
Internationales Netzwerk
Ein solches internationales Netzwerk hat das Institut für strategischen Dialog (ISD) unter die Lupe genommen. Das ISD mit Sitz in London und Berlin legt regelmäßig fundierte Analysen zu Desinformation vor; in dem aktuellen Bericht geht es um die "World Doctors Alliance" (WDA). Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss von Medizinern unter anderem aus den USA, Großbritannien, Irland und Deutschland.
Die deutsche ISD-Analyse liegt tagesschau.de vorab vor; der Bericht dokumentiert, wie sich die Mitglieder der "World Doctors Alliance" zu Superspreadern der Desinformation entwickeln konnten. Konkret zeigen Datenauswertungen, welche immense Reichweite die WDA auf Facebook erreichen konnte - und wie Facebook es nicht schaffte, die Inhalte maßgeblich einzuschränken.
Immenser Anstieg
Obwohl Mitglieder der WDA immer wieder durch irreführende Behauptungen auffielen, konnten sie ihre durchschnittliche Anzahl der Interaktionen auf Facebook in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 mehr als verdoppeln.
Zu Beginn der Pandemie hatte die "World Doctors Alliance" auf Facebook sogar nur 3456 Nutzer, die ihrer Seite folgten. Mitte 2021 waren es laut ISD dann sieben Facebook-Seiten, die zu dem Netzwerk gehörten - mit mehr als 460.000 Nutzern, die diesen folgten. Das entspricht einem Anstieg von 13.215 Prozent.
Gezielte Angstmache
Dem ISD zufolge ist dieser Anstieg vor allem auf die beiden prominentesten Mitglieder der Gruppe zurückzuführen: Dr. Dolores Cahill, ehemalige Professorin am University College Dublin, und Dr. Scott Jensen, ein ehemaliger Senator aus Minnesota.
Cahill, die Vorsitzende der rechtsgerichteten irischen Freiheitspartei war, hatte beispielsweise behauptet, dass Impfungen einen tödlichen Zytokinsturm auslösen könnten, wofür es keinerlei Belege gab. Cahill behauptete auch, dass Masken und Abstandsregeln unnötig seien, da Covid-19 mit "Ernährung, Vitaminen und Hydroxychloroquin" behandelt werden könne.
Zu den britischen Mitgliedern der Gruppe gehört auch Dr. Mohammad Adil, der behauptet hatte, Covid-19 sei ein globaler Schwindel einer Elite, um die Welt zu kontrollieren. Adil ist bis heute Administrator der privaten Facebook-Gruppe der WDA, die 1600 Mitglieder hat.
Aus Deutschland gehört ein ehemaliger AfD-Landtagsabgeordneter zu der "World Doctors Alliance", der mehrfach auf "Querdenker"-Demonstrationen aufgetreten ist. Befürworter von Covid-Impfungen bezeichnete der Arzt als "Jünger Josef Mengeles". Ein anderer deutscher Arzt aus dem Netzwerk unterstützt laut ISD weitere Organisationen aus dem Milieu der Impfgegner - wie die "Ärzte für Aufklärung".
Gravierende Mängel
Die ISD-Analysten stellten in ihrer Untersuchung gravierende Mängel in Facebooks Programm für Faktenchecks fest - insbesondere bei Inhalten, die nicht auf Englisch veröffentlicht wurden.
Eine Überprüfung der 50 beliebtesten Beiträge, in denen die "World Doctors Alliance" erwähnt wurden, ergab, dass nur 13 Prozent der englischsprachigen Beiträge, die falsche oder irreführende Inhalte enthielten, mit einem Factcheck-Label versehen waren. In anderen Sprachen war der Anteil noch geringer: acht Prozent der deutschen Beiträge, fünf Prozent der spanischen und lediglich zwei Prozent der arabischen Beiträge.
ISD: "Facebook versagt"
Das ISD kommt zu dem Schluss, Facebook scheitere "in den allermeistern Fällen" an der Kennzeichnung der von den eigenen Faktencheck-Partnern als falsch eingestuften Beiträge. Die Wirksamkeit des Faktencheck-Programms von Facebook müsse hinsichtlich der Unterbindung oder Einschränkung der Verbreitung von Falschinformationen erneut untersucht werden.
Da Anbieter von Desinformation Inhalte in großen Mengen produzierten, sei es für Faktenprüfer fast unmöglich, Behauptungen oder Beiträge einzeln zu entlarven, heißt es in der Analyse. Daher müsste stärker gegen die Urheber von Fehlinformationen vorgegangen werden.
Die Herausforderung werde noch verschärft, da dieselben Behauptungen oder leichte Abwandlungen davon an anderer Stelle und in anderen Sprachen endlos wiederholt würden. Facebook behauptet zwar, solche sehr ähnlichen Postings durch Programme erkennen zu können, in der Praxis scheint dies aber oft nicht zu funktionieren. Die Untersuchung zeige, bilanziert das ISD, dass Facebook dabei versagt, Duplikate und Variationen falscher Behauptungen aufzudecken.
"Nicht repräsentativ"
Eine Sprecherin des Facebook-Mutterkonzerns Meta teilte auf Anfrage von tagesschau.de mit, es handele sich bei der Analyse lediglich um eine kleine Stichprobe von 14 Konten, Seiten oder Gruppen, darunter die Hauptorganisation "World Freedom Alliance", die man im Juli entfernt habe.
Diese Stichprobe sei "in keiner Weise repräsentativ für die Hunderte von Millionen von Beiträgen, die Menschen in den vergangenen Monaten auf Facebook über Covid-19-Impfstoffe geteilt haben".
"Systematisches Problem"
Helena Schwertheim vom ISD in Berlin erklärte im Gespräch mit tagesschau.de, die Analyse zeige, wie Netzwerke wie die WDA "ihre fatalen Botschaft verbreiten - in diesem Fall über Facebook - und wie die Plattform es versäumt, ihrer Pflicht nachzukommen, falsche Behauptungen über Covid-19 zu verbieten und zu entfernen". Schwertheim betonte, man dürfe "nicht unterschätzen, was medizinische Desinformation in diesen Zeiten an echten Offline-Schäden nach sich zieht".
Im Bezug auf die Online-Plattformen sagte sie, es handele sich "eindeutig um ein systematisches Problem". Es werde nicht genug dafür getan, das Wohlergehen der Nutzerinnen und Nutzer zu schützen - offline und online.