Bill Gates
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Mythen zum Coronavirus Gates als globales Feindbild

Stand: 20.04.2020 13:19 Uhr

Er wolle die Menschheit per Mikrochip steuern, mit Impfstoff viel Geld verdienen und stecke hinter dem Coronavirus: Der Milliardär Bill Gates ist in der Pandemie zum globalen Sündenbock aufgebaut worden.

Man muss schon lange suchen, um jemanden zu finden, der lauter und ausdauernder vor dem warnte, was die Welt gerade erleidet: eine Pandemie. Bill Gates tat es in Videos, in Zeitungsartikeln und in wissenschaftlichen Aufsätzen. Einmal, das war 2015, betrat er in den USA eine Bühne und rollte dabei ein großes Fass herein, in denen zu Zeiten des Kalten Krieges Wasser und Lebensmittel für den Fall eines Atombombenangriffs gelagert wurden. Aber das Risiko, dass Millionen Menschen durch einen Nuklearkrieg ums Leben kommen würden, sei viel geringer als durch ein unbekanntes Virus, mahnte Gates.

Heute ist dieses Video ein Hit bei YouTube, aber Gates hat nicht nur gemahnt: Eine gemeinsam mit seiner Frau gegründete Stiftung gibt Milliarden Dollar für den Ausbau globaler Gesundheitssysteme, für die Suche nach Impfstoffen, für die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Gegenseitige Wertschätzung

Immer wieder saß Gates mit Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Jahren zusammen, warb im Kanzleramt für größere Anstrengungen in diesem Bereich. Vor Vertrauten sagte Gates einmal, er kenne kaum jemanden anderes in der Politik, der sich so sehr für dieses Thema interessiere wie die Wissenschaftlerin Merkel. Im Kanzleramt heißt es, die Wertschätzung sei gegenseitig.

Gates hatte bei Ausbruch der Pandemie zunächst zurückhaltend reagiert. Anfragen nach Interviews lehnte er meist ab. Er wollte nicht, dass es aussieht, als kritisiere er jetzt Regierungen wegen der mangelnden Vorbereitung auf den Ausbruch einer solchen Krankheit. In den vergangenen Wochen wurde Gates aktiver. Er gab mehrere Interviews - auch in den tagesthemen.

Stets konzentrierte er sich auf die Zukunft und mahnte die aus seiner Sicht notwendigen Schritte an: Etwa überall auf der Welt schon jetzt Anlagen für den Bau von Impfstoff zu errichten, so dass es schnell gehen kann, wenn denn die Formel gegen das Virus gefunden ist. Zudem appellierte Gates, schon jetzt über Verteilung nachzudenken und dabei die ärmeren Länder nicht zu vergessen. Nur einmal wurde Gates für seine Verhältnisse politisch: Er kritisierte US-Präsident Donald Trump für dessen Ankündigung, die Zahlungen an die WHO einzustellen.

Von den USA nach Deutschland

Doch das Engagement und die Warnungen des ehemaligen Microsoft-Chefs werden ihm mittlerweile als perfider Plan ausgelegt: Gates wolle die Welt regieren, die Menschen überwachen oder stecke sogar hinter der Pandemie, um Impfstoffe zu verkaufen - so lauten nur einige der Behauptungen, die massenhaft kursieren.

Die meisten dieser Legenden stammen aus den USA - von rechten Aktivisten, Medien und Netzwerken wie "QAnon" gestreut - und werden mittlerweile auch in Deutschland verbreitet. Die AfD warnt beispielsweise vor einer "Corona-Überwachung" und schreibt von einer "Forderung von Bill Gates, der Covid 19-Infizierte 'digital zertifizieren' möchte". Eine solche Forderung gibt es aber nicht: Gates wurde im März in einem Interview gefragt, wie Unternehmen arbeiten könnten, damit die Wirtschaft nicht zusammenbreche und gleichzeitig die Menschen auf Distanz blieben:

Die Frage, welche Unternehmen weitermachen sollen, ist heikel. Sicherlich die Lebensmittelversorgung und das Gesundheitssystem. Wir brauchen noch Wasser, Strom und das Internet. Lieferketten für kritische Dinge müssen aufrechterhalten werden. Die Länder überlegen noch, was sie weiterführen sollen. Irgendwann werden wir einige digitale Zertifikate haben, aus denen hervorgeht, wer sich erholt hat, wer kürzlich getestet wurde oder - wenn es einen Impfstoff gibt - wann geimpft wurde.

Gates hatte also auf Nachfrage ein Szenario entworfen, wie die Versorgung während der Pandemie gewährleistet und wie dabei berücksichtigt werden könne, wer bereits immun ist. Auf Basis dieser Aussage wurde sogar behauptet, Gates wolle Menschen Mikrochips einsetzen lassen.

Solche Lügen werden mit weiteren Verschwörungslegenden verknüpft: So wolle Gates mit Hilfe dieser Chips und 5G die Menschheit lenken und kontrollieren. Ein deutsches Medienprojekt berichtet in diesem Kontext über "flächendeckende Zwangsimpfungen" gegen Covid-19, die "eine perfekte Gelegenheit" wären, um "Eugenikern wie Bill Gates die Macht über uns Menschen zu geben, über unsere Gesundheit, unsere Sterblichkeit und Fruchtbarkeit".

Komplexe Legenden

Die Behauptungen über Gates basieren zumeist auf wenigen Zitaten, die aus dem Kontext gerissen oder bewusst falsch interpretiert werden. Die transparente Zusammenarbeit seiner Stiftung mit anderen Institutionen wird als ein dubioses, geheimnisvolles Netzwerk dargestellt. Auf diese Art und Weise werden komplexe Legenden erschaffen. Das Prinzip gleicht dem der Mythen rund um das Thema Migration, die sich ebenfalls aufeinander beziehen und so verstärken.

Diese oft abstrakten Verschwörungslegenden werden durch konkrete Feindbilder personalisiert: Bei dem Thema Flüchtlinge war es der Milliardär George Soros, der im Zentrum solcher Narrative stand, nun muss Gates als Gesicht herhalten.

Große Reichweite

Eine Auswertung zeigt laut "New York Times", dass mehr als 16.000 Facebook-Beiträge über Gates und das Virus fast 900.000 Reaktionen und Kommentare erhielten. Auf YouTube wurden allein die zehn beliebtesten Videos, die Desinformationen über Gates verbreiteten, demnach fast fünf Millionen Mal angesehen. Auch deutschsprachige Videos mit Legenden über Gates erreichen bei YouTube innerhalb weniger Tage Hunderttausende Aufrufe. Ebenso werden andere fragwürdige Inhalte zu Covid-19 millionenfach abgerufen.

Die Corona-Pandemie wird also von einer weltweiten Welle der Desinformation begleitet - und Bill Gates ist zum globalen Sündenbock der Verschwörungsideologen geworden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. April 2020 um 18:40 Uhr und die tagesthemen am 12. April 2020 um 21:45 Uhr.