
Twitter-Sperrung von Journalisten Guterres reagiert "sehr verstört"
Besorgnis und Kritik nach der Sperrung mehrerer Journalisten-Konten auf Twitter: UN-Generalsekretär Guterres bezeichnete den Schritt als willkürlich. Die EU drohte Musk mit Sanktionen. Auch die Bundesregierung prüft Konsequenzen.
Die Sperrung mehrerer Journalisten-Accounts durch Twitter hat internationale Kritik ausgelöst. "Sehr verstört" reagierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Und auch die Europäischen Union, die Bundesregierung und die Organisation Reporter ohne Grenzen äußerten sich besorgt über die Vorgänge.
Der "willkürliche" Schritt schaffe einen "gefährlichen Präzedenzfall" zu einer Zeit, in der Journalisten auf der ganzen Welt "Zensur, körperlicher Gefahr und sogar noch schlimmerem" ausgesetzt seien, ließ Guterres über seinen Sprecher Stéphane Dujarric erklären. Medien sollten nicht "auf einer Plattform zum Schweigen gebracht werden, die sich zu einem Raum für Redefreiheit erklärt", kritisierte Guterres.
EU droht Musk mit Sanktionen
Die EU drohte Elon Musk, dem Besitzer der Plattform, mit Sanktionen. "Die Nachrichten über die willkürliche Suspendierung von Journalisten sind besorgniserregend", erklärte die EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova auf Twitter.
Sie verwies auf das Gesetz über digitale Dienste, welches die Achtung der Medienfreiheit und der Grundrechte vorsehe. Es war im vergangenen Jahr vom EU-Parlament verabschiedet worden und soll besonders die sehr großen Onlinekonzerne in der EU stärker regulieren. Das Gesetz über digitale Dienste werde durch ein EU-Gesetz zur Medienfreiheit bestärkt.
Musk solle sich dessen bewusst sein, erklärte Jourova weiter: "Es gibt rote Linien. Und bald Sanktionen."
Bundesregierung: "Wir beobachten das sehr genau"
Auch die Bundesregierung hat die Sperrung der Journalisten-Accounts kritisiert. Man nehme mit wachsender Sorge zur Kenntnis, was sich auf Twitter tue, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag in Berlin. "Wir beobachten das sehr genau und stellen uns die Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen könnten".
Das Auswärtige Amt twitterte am Freitag: "Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden." Die gesperrten Journalisten könnten nun auch dem Auswärtigen Amt nicht mehr folgen, nicht mehr kommentieren und kritisieren. "Damit haben wir ein Problem @Twitter", hieß es weiter.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte: "Aus unserer Sicht ist Pressefreiheit ein extrem hohes Gut, und das gilt es zu verteidigen, wenn es in Frage gestellt wird, sei es durch Staaten sei es durch private Akteure."
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen bezeichnete Musks Vorgehen als "Katastrophe für das Informationsrecht" und warnte vor einer "großen Gefahr für die Demokratie".
Twitter setzt umstrittene Sperrungen von Journalisten fort
Trotz scharfer internationaler Kritik setzte der Kurznachrichtendienst die Abschaltungen von Accounts von Medienschaffenden am Freitag fort. Betroffen war etwa die Kolumnistin Linette Lopez von der Nachrichtenseite Business Insider, die zwischen 2018 und 2021 eine Serie von Artikeln über Produktionsdefizite bei Musks Elektroautokonzern Tesla geschrieben hatte.
Twitter schaltete auch das offizielle Konto der Konkurrenzplattform Mastodon ab. Der Grund für die Sperrung war unklar.
Am Donnerstag hatte Twitter bereits die Konten von mehreren Journalisten gesperrt, die über die US-Firma und ihren neuen Chef Musk berichtet hatten. Betroffen war mehr als ein halbes Dutzend Medienschaffende. Twitter gab keine Gründe für die Sperrungen an. Die Betroffenen arbeiten unter anderem für renommierte US-Medien wie CNN, die "New York Times" und die "Washington Post".
Den Reporterinnen und Reportern wurde mitgeteilt, dass sie gegen die Richtlinien von Twitter verstoßen hätten. Der plötzliche Ausschluss von Berichterstattern folgte auf Musks Entscheidung vom Mittwoch, einen Account dauerhaft zu sperren, der mit Hilfe öffentlich verfügbarer Daten die Flüge seines Privatjets nachverfolgt hatte. Die Flugdaten sind öffentlich verfügbar und können auch über eine Reihe von Webseiten abgerufen werden.
Musk: Für Journalisten gelten dieselben 'Doxxing'-Regeln
Twitter änderte am Mittwoch auch die Plattformregeln, um das Teilen aktueller Standortdaten einer Person ohne deren Zustimmung zu verbieten. Mehrere der Reporter, deren Nutzerkonten gesperrt wurden, hatten über diese neue Richtlinie und Musks Begründung dafür berichtet. Dies beinhaltete Vorwürfe Musks über einen Stalking-Zwischenfall, der am Dienstagabend in Los Angeles seine Familie betraf.
Twitter-Chef Musk schrieb dazu in Tweets: Für Journalisten würden dieselben 'Doxxing'-Regeln wie für alle anderen gelten. "Mich den ganzen Tag lang zu kritisieren, ist total in Ordnung, aber meinen Echtzeit-Standort zu doxxen und meine Familie zu gefährden ist es nicht." "Doxxing" bezeichnet die Online-Veröffentlichung der Identität einer Person, von deren Adresse oder anderen persönlichen Details.
CNN: "Besorgniserregend, aber nicht überraschend"
Der Nachrichtensender CNN teilte mit, die "impulsive und ungerechtfertigte Sperrung einer Reihe von Reportern, darunter Donie O'Sullivan von CNN, ist besorgniserregend, aber nicht überraschend." Man habe Twitter um eine Erklärung gebeten, "und wir werden unsere Beziehung (zu dem Unternehmen) auf Grundlage der Antwort neu bewerten."
Ein weiterer von Twitter gesperrter Journalist, Matt Binder vom Tech-Medium Mashable, erklärte, er sei am Donnerstagabend gesperrt worden, unmittelbar nachdem er ein Bildschirmfoto eines Beitrags geteilt habe, den CNN-Reporter O'Sullivan vor dessen Sperrung veröffentlicht hatte.
Das Bildschirmfoto zeigte eine Mitteilung der Polizei in Los Angeles, die früher am Donnerstag an verschiedene Medien und Nachrichtenagenturen verschickt worden war. Darin ging es um den Umstand, dass die Polizei wegen des mutmaßlichen Stalking-Zwischenfalls in Kontakt mit Vertretern Musks stehe, aber noch kein Verbrechensbericht ergangen sei.
"Ich habe gemäß der neuen Twitter-Regeln keinerlei Standortdaten geteilt", teilte Binder in einer Mail mit. Er habe auch nicht auf den Account verwiesen, der Standortdaten von Musks Privatjet veröffentlicht habe oder auf andere Accounts, die Standortdaten veröffentlichten. Er sei in hohem Maße kritisch mit Musk umgegangen, habe aber nie gegen Twitter-Richtlinien verstoßen.
Chaos bei Twitter seit Übernahme
Musk - derzeit der zweitreichste Mensch der Welt hinter dem französischen Luxusgütermogul Bernard Arnault - hat Twitter seit der Übernahme ins Chaos gestürzt. Er entließ das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft und schaltete gesperrte Konten wie jenes des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder frei.
Musk gibt sich als radikaler Verfechter des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Kritiker befürchten, dass unter seiner Führung auf Twitter Hassbotschaften und Falschinformationen rasant zunehmen könnten.