
Britische Konservative Parteitag in Zeiten leerer Regale
Kein Benzin, keine Arbeitskräfte: Die Versorgungskrise in Großbritannien müsste Premier Johnson eigentlich schaden. Eigentlich. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Tory-Chef auf dem anstehenden Parteitag einmal mehr gefeiert wird.
Der Parteitag der britischen Konservativen findet unter schwierigen Umständen statt. Denn viele Briten hatten in der vergangenen Woche Schwierigkeiten, mit dem Auto von A nach B zu kommen, weil sie nicht tanken konnten. Das hat auch zu Aggressionen geführt: "Das ist ja irre", sagt eine Britin. "Es hat Handgreiflichkeiten und Beleidigungen gegeben, und eine Frau hat erzählt, dass ihr Sohn mit einem Messer bedroht wurde. Alles für ein bisschen Benzin."
Die Treibstoffkrise ist noch nicht vorbei. Die Regierung verschickt inzwischen landesweit Briefe, um Lkw-Fahrer zu akquirieren. Auch auf der Insel lebende Deutsche, die laut Führerschein Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen führen dürfen, haben schon Post vom Verkehrsministerium erhalten - ob sie denn nicht als Brummi-Fahrer einspringen könnten. In der Tageszeitung "Independent" wird ein Deutscher mit den Worten zitiert, dass er doch lieber seinen Job bei einer Investmentbank behalten würde.
Folgen des Brexits werden langsam spürbar
Was zum Schmunzeln verleitet, zeigt in Wirklichkeit die Not der Regierung. Premier Boris Johnson versucht zu beruhigen: "Wir wollen sicherstellen, dass alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden, um bis Weihnachten zu kommen und darüber hinaus - nicht nur, was die Versorgung der Tankstellen angeht, sondern alle Bereiche der Versorgungskette."
Tatsache ist, dass in Großbritannien mehr und mehr ein Fachkräftemangel spürbar wird. Weil auch in den Schlachthöfen Mitarbeiter fehlen - hier waren in der Vergangenheit viele Arbeitskräfte aus Osteuropa beschäftigt - schlagen aktuell die Schweinezüchter Alarm. Rob Mutimer von der National Pig Association, dem Handelsverband der Schweineindustrie, stellt klar: "Wir haben noch zwei Wochen bevor wir die Massenkeulung in Betracht ziehen müssen. Wir nähern uns mit großen Schritten einem Tierwohl-Desaster."
Johnsons Ansehen hat - noch - nicht gelitten
Das alles sind keine guten Schlagzeilen für die Regierung, aber noch schade das Johnsons Ansehen in der Partei nicht, sagt Florian Foos, Juniorprofessor für politisches Verhalten an der London School of Economics and Political Science. "Die Konservative Partei heute ist im Bezug auf Premier Johnson positiver eingestellt als die konservative Fraktion vor der Wahl. Einfach dadurch, dass mehr Abgeordnete gewählt wurden, die auf Johnsons Linie liegen."
Was also wird auf dem Parteitag passieren? Interessant wird, ob sich Johnson noch einmal für die Umsetzung des Brexits feiern lässt - obwohl der mitverantwortlich ist für die aktuellen Probleme. In jedem Fall dürfte er auf das erfolgreiche Impfprogramm verweisen. Zudem muss der Premier die Zukunftsvisionen seiner Partei darlegen: zum Thema Klimaschutz und für das sogenannte "Levelling up", die Angleichung der Lebensverhältnisse im Land.
Unabhängig von Inhalten dürfte der Premier davon profitieren, dass er bei dieser Konferenz wieder live vor Publikum sprechen kann: "Das ist natürlich ein großer Vorteil für Johnson. Er kann diese Energie aus der Menge, also aus den Parteimitgliedern ziehen, die ihn auf dem Parteitag wahrscheinlich euphorisch empfangen werden", sagt Experte Foos.