
Ein Jahr "Ibiza-Affäre" Ein Video wird zum Politikskandal
Stand: 17.05.2020 11:40 Uhr
Vor einem Jahr begann in Österreich die "Ibiza-Affäre", die in kürzester Zeit zum kompletten Wandel auf dem politischen Parkett des Landes führte. Clemens Verenkotte blickt auf den Skandal um den FPÖ-Politiker Strache zurück.
Von Clemens Verenkotte, ARD-Studio Wien
"Sobald das der Fall ist, da müssen wir ganz offen reden. Da müssen wir uns zusammenhocken: So, heut gibt bei uns in der 'Krone' zack, zack, zack."
Als am Freitag, dem 17. Mai 2019, um 18 Uhr die "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel" das Video mit Heinz-Christian Strache, Johannes Gudenus und einer angeblichen russischen Oligarchentochter in Auszügen veröffentlichen, geht es in Österreichs Politik zack, zack, zack. Strache, FPÖ-Chef und Vizekanzler, tritt am nächsten Tag zurück. Er sagt damals:
"Das war eine besoffene Geschichte, und, ja, meine Äußerungen waren nüchtern gesehen, katastrophal und ausgesprochen peinlich."
Eine Koalition bricht auseinander
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigt am selben Tag noch die Koalition mit den Rechtspopulisten auf: "Nach dem gestrigen Video muss ich ganz ehrlich sagen: Genug ist genug."
Es bleibt am Samstagabend, dem 18. Mai, Bundespräsident Alexander van der Bellen überlassen, einer erschütterten Öffentlichkeit zu versichern: "So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht."
Einer Regierung wird das Misstrauen ausgesprochen
Die Minderheitsregierung von Kurz überlebt nur wenige Tage, bevor ihr - erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik - das Parlament mit den Stimmen von FPÖ und Sozialdemokraten das Misstrauen ausspricht.
Übergangskanzlerin wird die Ex-Chefin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte Bierlein, die nur wenige Stunden Zeit hatte, über die Offerte von Bundespräsident van der Bellen nachzudenken: "Das ist jetzt für Sie sicher überraschend. Für mich ist es das auch."
Die FPÖ fährt eine krachende Wahlniederlage ein
Bierlein ist bis Anfang Januar im Amt, macht in ihrer halbjährigen Amtszeit eine ausgesprochen gute Figur.
Die vorgezogenen Parlamentswahlen Ende September gewinnen Kurz und die Grünen. Der Ex-Koalitionspartner FPÖ verliert krachend - nicht zuletzt, weil vor den Wahlen bekannt wurde, dass Strache seinen aufwendigen Lebensstil üppig von der eigenen Partei hatte bezuschussen lassen.
Für den österreichischen Politikexperten Thomas Hofer gibt es da keine Frage: Das Ibiza-Video hat ein politisches Erdbeben ausgelöst:
"Nicht nur, dass die damalige Bundesregierung - aus türkis und blau - ein jähes Ende fand, ein unerwartetes. Es gab dadurch natürlich eine Neuordnung in der politischen Landschaft, mit einer neuen Bundesregierung, der erstmaligen Beteiligung der Grünen, und es hat natürlich ganz massive Nachwirkungen für die Freiheitlichen."
Strache kündigt kompletten Rückzug aus der Politik an
Noch im vergangenen Oktober versichert Strache, sich nur noch um seine Familie und die private Existenz kümmern zu wollen und "dass ich mit dem heutigen Tag auch jegliche politische Aktivität einstelle und auch kein Amt und keine politische Funktion mehr anstrebe".
Wochenlang ziehen sich die Bemühungen der FPÖ-Erbengemeinschaft um den neuen Parteichef Norbert Hofer, Strache aus der Partei zu werfen. Ex-Innenminister Herbert Kickl verliert zwischenzeitlich die Geduld: "Das Wort heißt Ausschluss und das besteht aus zwei Worten: Das eine ist Aus und das andere ist Schluss."
Ein neues politisches Bild nach der Affäre
Österreichs innenpolitische Landschaft hat sich drastisch verändert. Die Volkspartei von Kurz profitiert vom Corona-Krisenmanagement des Kanzlers und liegt deutlich über 40 Prozent in den Umfragen.
Die Grünen haben in den vergangenen zwei Monaten gezeigt, dass sie ein solider, sehr verlässlicher Koalitionspartner sind.
Und die FPÖ? Die Freiheitlichen seien immer noch damit beschäftigt, ihre Wunden zu lecken, sagt Politikexperte Hofer: "Nicht zuletzt ist es auch dazu gekommen, dass die Freiheitliche Partei wieder eine Abspaltung zu verdauen hat, in dem Fall eben wieder einmal ein ehemaliger Parteichef."
So gründete Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider 2005 seine eigene Partei, das "Bündnis Zukunft Österreich". Ex-FPÖ-Chef Strache macht 15 Jahre später das Gleiche: Er will mit seinem "Team Heinz-Christian Strache" bei den Wiener Landtagswahlen im Oktober ein Comeback nach dem Ibiza-Desaster versuchen.
Ein Jahr nach dem Ibiza-Video
Clemens Verenkotte, ARD Wien
17.05.2020 00:11 Uhr
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