
Brücke in Genua eingestürzt "Wunder sind immer noch möglich"
Stand: 16.08.2018 12:12 Uhr
Noch immer werden nach dem Brückeneinsturz in Genua Menschen vermisst. Die Suche geht weiter, aber die Chancen noch Überlebende zu finden, ist gering. Die Regierung droht mit einer Verstaatlichung der Autobahnen.
Unterstützt durch Bagger und Kräne suchen die Rettungskräfte in Genua weiter nach Verschütteten in den Trümmern der eingestürzten Autobahnbrücke. Bis zum Morgen wurden keine weiteren Opfer entdeckt: "Letzte Nacht hatten wir kein Glück, wir haben niemanden gefunden", sagte Feuerwehrsprecher Emanuele Gissi.
Die Helfer suchten nach Hohlräumen unter den Trümmern, in denen sich Menschen befinden könnten. Spezialisten arbeiteten daran, die Trümmer in große Betonblöcke zu zerschneiden und mit Kränen abzutragen, um Spürhunde in den Schutt schicken zu können. Die Arbeit sei sehr gefährlich, da die Trümmer und auch der noch stehende Rest der Autobahnbrücke instabil seien, betonte Feuerwehrsprecher Gissi.
Kaum noch Hoffnung auf weitere Überlebende
tagesschau 16:00 Uhr , 16.08.2018, Helge Roefer, ARD Rom zzt. Genua
Noch mehrere Vermisstenmeldungen
Der Polizei liegen noch mehrere Vermisstenmeldungen vor. Innenminister Matteo Salvini sagte gestern, dass er keine Zahl zu möglichen weiteren Vermissten angeben wolle. Manche antworteten beispielsweise nicht auf Nachrichten, weil sie im Urlaub seien und entspannen wollten - andere seien unter den Trümmern begraben. Er hoffe aber, die Zahl der Toten werde nicht weiter steigen. "Wunder sind noch immer möglich."
Die Opferzahl liegt weiter bei 39 Toten und 16 Verletzten. 16 Menschen wurden verletzt, neun davon schweben in Lebensgefahr. Unter den Toten sind drei Kinder im Alter zwischen acht und 13 Jahren sowie vier junge Franzosen, drei Chilenen und ein Kolumbianer.
Helge Roefer, ARD Rom, zzt. Genua, zu den Rettungsarbeiten
tagesschau24 11:00 Uhr, 16.08.2018
Regierung will Schadensersatz verlangen
Vize-Ministerpräsident Luigi di Maio drohte inzwischen mit einer Verstaatlichung der Autobahnen. Wenn die Betreiber der Autobahnen nicht in der Lage seien, ihre Aufgabe richtig zu erfüllen, dann müsse der Staat die Autobahnen übernehmen, sagte er im Rundfunk. Die Betreiber der Autobahnen hätten mehr in die Sicherheit investieren sollen als sich über die Dividenden Gedanken zu machen, sagte di Maio.
Regierungschef Giuseppe Conte kündigte außerdem an, die Regierung werde von der Instandhaltungsfirma bereits vor Abschluss der Untersuchungen zur Unglücksursache Schadenersatz verlangen. "Wir können nicht auf die Justiz warten" sagte Conte. "Alle Bürger müssen sicher reisen können." Außerdem werde die Regierung nach einem anderen Instandhaltungsunternehmen Ausschau halten. Darüberhinaus solle es klarere Regeln geben.


Genuas Staatsanwalt Francesco Cozzi erklärte, Schwerpunkt der Ermittlungen zum Brückeneinsturz sei menschliches Versagen, etwa, ob es Architektur- und Baufehler oder fehlerhafte Wartungsarbeiten gegeben habe. Er wisse nicht, wer verantwortlich sei, so Cozzi, und ergänzte: "Es war kein Unfall." Auf die Frage, ob die Behörden über die Gefahren der Brücke informiert worden seien, erklärte er, es hätte keine ernsthaften Sicherheitsbedenken gegeben. "Sonst wäre niemand von uns (...) 20 Mal im Monat über die Schnellstraße gefahren."
Außerdem wurde ein Sonderermittler ernannt, weiß ARD-Korrespondent Helge Roefer. Dieser soll die Hintergründe und Verantwortlichkeiten aufklären. Es gebe noch sehr viele Fragen.
Regionaler Ausnahmezustand und fünf Millionen Euro Nothilfe
Die Regierung hatte am Mittwoch den Notstand für die Hafenstadt verhängt und fünf Millionen Euro Nothilfe bereitgestellt. Das Dekret soll ermöglichen, "erste wichtige Maßnahmen zu treffen, um dem Ausnahmezustand zu begegnen", erklärte Conte. Dazu gehöre, schnellstmöglich die Sicherheit in der betroffenen Region der Stadt zu garantieren und Betroffenen zu helfen. Der Notstand soll zwölf Monate gelten und in diesem Zuge auch ein Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau benannt werden.
Vieles deutet darauf hin, dass die Brücke abgerissen und eine neue errichtet werden soll. Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen - und das möglicherweise für immer. "Bis Ende dieses Jahres werden wir all diesen 634 in Sicherheit gebrachten Genuesen ein neues Zuhause geben", versprach Salvini.
Schuldzuweisung Richtung Brüssel
Nach Ansicht von Salvini untergraben die europäischen Vorgaben zum Haushaltsdefizit die Sicherheit des Landes. Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe "nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt", sagte der EU-kritische Politiker dem Sender Radio24. "Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, "in denen immer mal wieder die Decken einstürzen", abhängen.
Ein Sprecher der EU-Kommission wies dagegen darauf hin, dass EU-Staaten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen könnten - "zum Beispiel die Entwicklung und den Erhalt der Infrastruktur". Tatsächlich habe die EU Italien sogar dazu ermuntert, in die Infrastruktur zu investieren.
Einsturz wegen Unwetters
Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, spannt sich unter anderem über Wohnhäuser, Gleisanlagen und Fabriken. Am Dienstagmittag war er während eines heftigen Unwetters auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt und hatte zahlreiche Fahrzeuge mit in die Tiefe gerissen.
Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet nicht nur den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist auch als Urlaubsverbindung "Autostrada dei Fiori" bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei.
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