
Deutsche Helfer in der Türkei Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen
Die deutsche Hilfsorganisation Deathcare kümmert sich um die Toten im türkischen Erdbebengebiet. Obwohl die Chancen sinken, hoffen die Bestatter, noch Lebende zu finden. Die Erlebnisse hinterlassen Spuren.
Fritz Mertens steht vor einem riesigen Trümmerfeld, ein gelber Helm baumelt an einem Karabinerhaken an seiner Einsatzkleidung - nicht unbedingt die Arbeitskleidung eines Bestatters. Aber sie helfen hier auch Tote zu bergen, wie vergangene Nacht eine Familie.
Der Vater habe schützend über den Kindern gelegen, erzählt er. "Was uns sehr betroffen gemacht hat, weil wir sind auch viele Familienväter." An der offenen Seite, die ungeschützt sei, habe sich die Mutter vorgelegt. Das Bild bekommt er nicht mehr aus dem Kopf. Es dauert Stunden, bis sie die beiden Kinder unter einem Stahlträger befreien können.
"Wir möchten den Verstorbenen würdevoll rausholen"
Markus Maichle aus Baden-Württemberg ist der Teamleiter. Er erklärt, warum die Einsatzkräfte auch bei Toten so vorsichtig vorgehen: "Wenn das jetzt ein Angehöriger von Ihnen wäre, den irgendjemand am Arm oder Fuß hier rausziehen würde, das würde nicht gut ausgehen, und das möchten wir auch nicht", sagt er. "Wir möchten den Verstorbenen würdevoll hier rausholen." Das sei ihr Anspruch.
Maichle ist ein großer kräftiger Mann in dunkelblauer Einsatzkleidung. Deathcare Germany steht groß auf seinem Rücken, Totenfürsorge. Er beobachtet einen Einsatz. Eine Baggerschaufel arbeitet sich ganz vorsichtig durch den Schutt, sie schiebt eine zersplitterte Tür auf die Seite, ein großer weißer Teddy rutscht den Berg runter.
Helfer Nico Barenberg erzählt: Ein Vater sei eben mit zwei Bildern zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, ob man unterstützen könne. Seine Frau und das Kind lägen da wohl noch, der Mann habe ihm den Platz gezeigt. "Er kennt ja seine ehemaligen Räumlichkeiten", sagt Barenberg. Jetzt müsse man abwarten, weil der Bagger noch zur anderen Bergung eingesetzt sei. "Und dann werden wir sehen, ob wir da noch mal eingesetzt werden können."
Hand in Hand mit türkischen Einsatzkräften
Sie bergen innerhalb kurzer Zeit drei Tote allein an dieser Einsatzstelle. Die Familie des Mannes ist nicht dabei - noch nicht. Aber die Männer tun alles dafür, den Angehörigen wenigstens Gewissheit zu verschaffen, wenn sie ihnen ihre Lieben schon nicht lebendig übergeben können.
Dabei arbeiten sie Hand in Hand mit den türkischen Einsatzkräften. Vertrauen sei ganz wichtig, erzählt Mertens anhand der schweren Bergung der Familie.
"Wir mussten uns auch auf den Baggerfahrer verlassen, der dann schützend die Schaufel über uns gehalten hat", sagt er. Damit das, was nachrutsche, nicht die Kinder wieder verschütte oder sie selbst. Am Tag davor wurden noch türkische Helfer kurzzeitig verschüttet.

Die Helfer von Deathcare sind im türkischen Erdbebengebiet im Einsatz.
"Wir riechen nach dieser Zeit die Verwesung"
Auf dem Schuttberg versuchen sie weiter, die Familie des Mannes zu finden. Bewohner geben ihnen dabei Orientierung. Einsatzkräfte finden Kleidung und zeigen sie ihnen: Man sei jetzt im dritten Stock, erklären die. Man müsse aber tiefer graben.
"Eigentlich riechen wir es schon. Wir riechen nach dieser Zeit die Verwesung der Körper", sagt Maichle. Mit Überlebenden sehe es nach der Zeit ganz schlecht aus, aber die Hoffnung habe man immer.
Erlebnisse hinterlassen Spuren
Das Bestatterteam packt die Leichen in große Säcke, die dann in eine Turnhalle in der Nähe kommen. Ein türkischer Staatsanwalt versucht, sie zusammen mit der Polizei und Angehörigen zu identifizieren. Es fließen viele Tränen.
Maichle und sein Team haben Material aus Deutschland mitgebracht, um hier ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen: die Leichen zu desinfizieren und für die Bestattung vorzubereiten. Dabei nehmen sie Rücksicht auf muslimische Bräuche, soweit es unter diesen Umständen geht. Nach all dem dürfen die Angehörigen die Toten mitnehmen, oft geht das nur im eigenen Auto.
All das hinterlässt beim deutschen Team Spuren. Ein weiterer Helfer, Michael Koineke, erzählt von drei Mädchen: "Die sind zum Teil barfuß hier langgelaufen. Die Mädchen waren zwischen vier und neun Jahren, und die wollten ihre Eltern suchen. Und die Eltern lagen bei uns in der Sporthalle."
"Einmal dieses Glücksgefühl haben"
Der Stadtteil, in dem die deutschen Bestatter arbeiten, ist ein großes Trümmerfeld, unter dem noch viele Tote liegen.
"Für mich wäre der schönste Abschluss, wenn wir hier wegfahren, dass wir auch einmal dieses Glücksgefühl haben, jemand geborgen zu haben, der noch lebt", sagt Mertens. Dass man nicht nur die Erinnerung an an die Verstorbenen-Bergung habe, sondern auch mal an die Bergung von jemand Lebendem.
Für Mertens und die anderen geht es in Kürze zurück. Ein neues Team von Deathcare löst sie ab. Es gibt einfach noch so viel zu tun für die Bestatter im türkischen Erdbebengebiet.