Energiesicherheit Kohlestrom aus der Reserve
Bis 2038, "idealerweise" schon 2030, sollen alle Kohlekraftwerke vom Netz. Doch weil Deutschland unabhängiger von russischer Energie werden will, rücken nun sogar Kraftwerke in den Blick, die nur noch zur Netzreserve gehören.
Betritt man das Gelände des Steinkohlekraftwerks Bexbach im Saarland, merkt man nicht, dass der Meiler seit 2017 mehr oder weniger still steht. Das Pförtnerhäuschen ist besetzt, ein Mitarbeiter in blauer STEAG-Jacke öffnet die Schranke. Er ist einer von rund 160 Beschäftigten, die täglich vor Ort sind, die Maschinen warten und den Block jederzeit hochfahren können.
Bexbach ist ein Kraftwerk der sogenannten Netzreserve. Wegen des schrittweisen Kohleausstiegs und der Bepreisung von CO2-Emissionen ist es für den Betreiber seit Jahren nicht mehr rentabel. Die von STEAG beantragte Stilllegung hat die Bundesnetzagentur aber abgelehnt, weil sie das Kraftwerk als systemrelevant einstuft. Wenn es im Stromnetz zu Engpässen kommt - zum Beispiel, weil an einem windstillen Tag nur wenig Energie aus erneuerbaren Energien gewonnen wird -, springt das Kraftwerk ein und stützt das Stromnetz; ebenso wie neun weitere Kohlekraftwerke in Deutschland, die ebenfalls zur Netzreserve gehören. Bexbach und ein weiterer Block im Saarland sind im Jahr 2020 insgesamt 21 Mal angefordert worden, um das Stromnetz zu stützen.
Hochfahren technisch jederzeit möglich
Technisch könnten die Meiler jedoch auch dauerhaft wieder ans Netz gehen, erklärt Michael Lux, der Leiter des Kraftwerks in Bexbach. Beispielsweise wenn es zu einem Öl- und Gasembargo gegen Russland käme und dadurch auch die Stromversorgung in Deutschland gefährdet wäre.
Das bereits beschlossene Kohleembargo ist laut Lux kein Problem. Denn die STEAG habe in den vergangenen Jahren nur etwa 15 Prozent ihrer Kohle aus Russland bezogen. Und auch diese 15 Prozent könnten leicht ersetzt werden, zum Beispiel durch Kohle aus Amerika, Südafrika und Australien. Insgesamt kommen nur zwei Prozent der auf dem Weltmarkt gehandelten Kohle aus Russland.
Neben der Stützung der Stromversorgung gibt es aus Sicht von Lux einen weiteren guten Grund, das Kraftwerk vorübergehend wieder in Betrieb zu nehmen. Erdgas sei ein wichtiger Rohstoff, insbesondere in der chemischen Industrie. Zu wertvoll also, um ihn für die Stromerzeugung zu verbrennen. Die Kohle könne auf der Nachfrageseite für Entlastung sorgen.
Kritik kommt aus der Wirtschaft
Trotzdem darf das Kraftwerk Bexbach das Stromnetz nicht dauerhaft stützen, ebenso wenig wie die neun anderen Kohlekraftwerke der Netzreserve. Grund ist das Kohleausstiegsgesetz, das vorsieht, dass diese Kraftwerke nicht mehr zu Marktzwecken ans Netz gehen dürfen.
Wirtschaftsvertreter wie die Industrie- und Handelskammer im Saarland kritisieren das - zumindest in der jetzigen Situation. Carsten Meier, Geschäftsführer der IHK Saarland für den Bereich Wirtschaftspolitik und Unternehmensförderung, sieht den Bund in der Pflicht. Die Politik müsse alles dafür tun, dass es den Kraftwerksbetreibern rechtlich wieder möglich sei, ihre Leistungen auf dem freien Markt anzubieten und Investitionshilfen bereitstellen.
Berlin prüft alle Optionen
Das Bundeswirtschaftsministerium will zwar auch möglichst schnell unabhängiger von russischen Gasimporten werden. Dieses Ziel will es aber vor allem mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und einer Steigerung der Energieeffizienz erreichen. Denn die Kraftwerke vorübergehend wieder in Betrieb zu nehmen, würde auch bedeuten, Millionen von Tonnen CO2 in die Luft zu blasen - allein beim Kraftwerk Bexbach wären es 2,9 Millionen Tonnen im Jahr.
Allerdings heißt es auf Nachfrage, derzeit würden verschiedene Optionen geprüft - auch das Thema Kohle. Konkret gehe es darum, wie die bestehenden Reserven genutzt werden können und ob und wie ein zeitlich befristeter Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken, bei denen die Stilllegung ansteht, notwendig oder auch machbar wäre. So werde auch geprüft, welche Gesetzesänderungen erforderlich sind, damit Kohlekraftwerke in der aktuellen Situation einen Beitrag zur Stärkung der Versorgungssicherheit leisten können.
Bexbach steht auch ohne Kohle bereit
Der Druck auf die Politik, hier eine Lösung zu finden, steigt mit jedem Tag, den der Krieg in der Ukraine andauert. Denn wenn es zu einem Stopp der russischen Öl- und Gaslieferungen kommt, müssen die Kraftwerke vorbereitet sein. Das wird in Bexbach deutlich. Auf dem Platz hinter dem Kraftwerk ist Platz für 200.000 Tonnen Kohle. Zurzeit lagern dort aber nur 40.000 Tonnen. Das reicht gerade mal für eine Woche. Ohne Planungssicherheit seitens des Bundes will die STEAG das Kohlelager nicht füllen. Davon abgesehen jedoch steht das Kraftwerk Bexbach bereit. Innerhalb von sechs Stunden könnten die 160 Mitarbeiter es auf Volllast hochfahren.