Bundeskanzlerin Angela Merkel (Archivbild).
Kommentar

Coronavirus in den Ländern Der Lockerungswettlauf schadet Deutschland

Stand: 06.05.2020 05:22 Uhr

Beim "Abstimmungsgipfel" zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten heute gibt es dank des Lockerungs-Wettlaufs der Länder längst nichts mehr abzustimmen. Das düpiert Merkel - und schadet Deutschland.

Ein Kommentar von Martin Ganslmeier, ARD Berlin

Eigentlich könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Video-Schalte mit den Ministerpräsidenten absagen. Denn was als "Abstimmungsgipfel" für wichtige Entscheidungen lange angekündigt war, ist überflüssig, wenn in den Tagen davor immer mehr Ministerpräsidenten öffentlich längst herausposaunt haben, was sie in ihren Ländern wann und wie lockern wollen. Oder glaubt irgendjemand, dass einer der Länderchefs nach den Beratungen mit der Kanzlerin die Ankündigungen wieder zurücknimmt?

Natürlich ist das ihr gutes Recht. Am Ende bestimmen die Ministerpräsidenten, welche Regeln in den Bundesländern gelten. Schließlich ist das Infektionsgeschehen regional sehr unterschiedlich. Und es sind die Ministerpräsidenten, die Ängste und Sorgen von Bürgern und Unternehmen direkter zu spüren bekommen als die Bundesregierung. 

Kontraproduktives Vorpreschen

Dennoch war ihr Vorpreschen in den vergangenen Tagen kontraproduktiv. Deutschland hat die Corona-Krise auch deshalb bislang so gut bewältigt, weil für die Bürger erkennbar war, dass Bund und Länder - trotz regionaler Besonderheiten - eine gemeinsame Strategie verfolgen. Anders als zum Beispiel in den USA, wo der Präsident und die Gouverneure vieler Bundesstaaten in entgegengesetzte Richtungen rudern.

Der öffentliche Lockerungs-Wettlauf einiger Ministerpräsidenten beschädigt nicht nur die Kanzlerin und ihr Bemühen um eine gemeinsame Strategie. Er unterminiert auch Vertrauen und Disziplin der Bundesbürger. Denn angesichts der Kakophonie der vergangenen Tage hat kaum jemand mehr den Überblick, was wann wie gelockert wird. Also entsteht der Eindruck: jetzt sei alles wieder möglich.

Eindruck des politischen Schaulaufens

Dabei ist nichts gegen die Argumente aus den Ländern einzuwenden. Klar, dass Sachsen-Anhalt mehr lockern kann als andere Regionen. Aber warum schweigt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident in der Videokonferenz mit der Kanzlerin, um seine Lockerungen zwei Tage später öffentlichkeitswirksam zu verkünden? Auch das Lockerungskonzept von Niedersachsen ist inhaltlich durchaus überzeugend. Aber warum schickt es Ministerpräsident Weil nicht zunächst intern an die Teilnehmer des Videogipfels statt es stolz mit dem Zusatz zu veröffentlichen: Niedersachsen habe als erstes Land ein solches Konzept. Längst hat man nicht mehr nur bei Söder und Laschet den Eindruck, es gehe auch um politisches Schaulaufen. 

Es ist ja verständlich, dass die Ministerpräsidenten mit populären Maßnahmen bei ihren Wählern punkten wollen. Was aber, wenn eine zweite Infektionswelle kommt? Soll dann die Kanzlerin wieder koordinieren? Es wäre tragisch, wenn politische Eitelkeiten das bislang gut abgestimmte Corona-Krisenmanagement in Deutschland torpedieren. Auch wenn sich Merkel ihren Ärger selten anmerken lässt: Abstimmungsgipfel, bei denen es nichts mehr abzustimmen gibt, wird sie sich künftig sparen.

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