
Nordsyrien Türkei startet Offensive gegen Kurden
Stand: 09.10.2019 18:17 Uhr
Trotz internationaler Kritik hat die Türkei ihren Militäreinsatz gegen die Kurden im Nordosten Syriens begonnen. Kampfjets fliegen im Grenzgebiet Angriffe. Die EU fordert einen Stopp der Offensive.
Die Türkei hat ihren Militäreinsatz im Nordosten Syriens begonnen. Die türkischen Streitkräfte hätten die Operation gemeinsam mit pro-türkischen Rebellen gestartet, schrieb der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Twitter.
Ziel der Operation ist die kurdische YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein großes Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und begreift die Angehörigen der Miliz als Terroristen. Erdogan schrieb: "Unser Ziel ist, den Terrorkorridor, den man an unserer südlichen Grenze aufbauen will, zu zerstören und Frieden und Ruhe in die Region zu bringen." Zudem solle mit der Aktion eine "Sicherheitszone" für die Rückkehr syrischer Flüchtlinge geschaffen werden.
Katharina Willinger, ARD Istanbul, zur türkischen Offensive in Nordsyrien
tagesschau24 16:00 Uhr, 09.10.2019
Luftangriffe im Grenzgebiet
Der Sprecher der von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, schrieb auf Twitter, türkische Kampfflugzeuge hätten damit begonnen, Luftangriffe auf zivile Gebiete durchzuführen. "Die Menschen in der Region sind in großer Panik."
Den SDF zufolge wurden bei Angriffen auf das Dorf Mischarrafa zwei Zivilisten getötet und zwei weitere verletzt. Auch in den Städten Kamischli und Ain Issa habe es "intensive Bombenangriffe" auf militärische Stellungen und zivile Siedlungen gegeben.
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana zitierte einen Korrespondenten mit den Worten, dass die "türkische Aggression" im Grenzort Ras al-Ain begonnen habe. Laut Sana und dem türkischen Sender CNN Türk beschießen türkische Kampfjets die Stadt.
Medienaktivisten des Informationszentrums Rojava meldeten, auch die Grenzstadt Tal Abjad werde beschossen. Einwohner sagten der Nachrichtenagentur dpa, die Stadt sei fast menschenleer, weil die meisten Zivilisten sie verlassen hätten. Dafür seien viele Kämpfer dort. Die Gesundheitsbehörden bereiteten die Krankenhäuser vor. Auf manchen Dächern seien Scharfschützen zu sehen.
Juncker fordert Stopp
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die Türkei umgehend auf, den Militäreinsatz abzubrechen. "Ich fordere die Türkei und andere Akteure auf, mit Zurückhaltung zu handeln und den bereits gestarteten Einsatz zu stoppen", sagte der Luxemburger im Brüsseler EU-Parlament. Sollten die Pläne der Türkei die Einrichtung einer "Sicherheitszone" beinhalten, werde die EU sich daran finanziell nicht beteiligen.
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas kritisierte den Angriff mit deutlichen Worten. "Wir verurteilen die türkische Offensive im Nordosten Syriens auf das Schärfste", sagte er. "Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiert ein Wiedererstarken des IS." Syrien brauche Stabilität und einen politischen Prozess, an dessen Anfang die Einberufung des Verfassungskomitees in Kürze stehe. "Die türkische Offensive droht nun jedoch eine weitere humanitäre Katastrophe sowie neue Fluchtbewegungen zu verursachen. Wir rufen die Türkei dazu auf, ihre Offensive zu beenden und ihre Sicherheitsinteressen auf friedlichem Weg zu verfolgen."
Kurden machen mobil
Die syrischen Kurden hatten vor dem türkischen Einmarsch eine Generalmobilmachung ihrer Truppen verkündet. Angesichts der zunehmenden Drohungen der Türkei und ihrer syrischen "Söldner" seien alle aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesen "kritischen historischen Momenten" Widerstand zu leisten, hieß es in einer Erklärung. Kurden weltweit wurden aufgefordert, gegen die Offensive zu demonstrieren. Syrien selbst hatte erklärt, im Fall eines türkischen Einmarsches zurückschlagen.
Widersprüchliche Signale aus den USA
Der Einmarsch der Türkei folgt auf einen Kurswechsel der USA, der den Weg für die Offensive freimachte. Bisher hatte Washington die Kurden als Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" behandelt und sie seit Jahren mit Waffen und Spezialkräften unterstützt.
Nach einem Telefonat mit Erdogan kündigte US-Präsident Donald Trump am Sonntag aber an, die US-Spezialkräfte aus dem Gebiet an der türkischen Grenze abzuziehen. Die Entscheidung rief scharfe Kritik hervor. Nachdem auch aus eigenen Partei heftiger Protest kam, drohte Trump der Türkei, dass jede "ungezwungene oder unnötige" Kampfhandlung für ihre Wirtschaft "verheerend" werde.
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