Eine russische Iskander-K-Rakete wird während einer Militärübung auf einem Truppenübungsplatz in Russland abgeschossen.

Stationierung russischer Atomwaffen "Kreml nimmt Belarus als nukleare Geisel"

Stand: 26.03.2023 11:16 Uhr

Russland will in Belarus taktische Atomwaffen stationieren. Droht eine weitere Eskalation? Während sich die USA betont zurückhaltend geben, warnt ein Berater des ukrainischen Präsidenten vor möglichen Folgen - vor allem für Belarus.

Nach der Ankündigung von Präsident Wladimir Putin, taktische Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen, wächst die Sorge vor einer möglichen weiteren Eskalation. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj warnte auf Twitter vor den Folgen der Stationierung solcher Waffen für Belarus.

"Putins Statement ist ein weiterer Schritt in Richtung einer Destabilisierung des Landes", schrieb Oleksiy Danilow, der Vorsitzende des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrats. Der Kreml habe Belarus als nukleare Geisel genommen.

Danilow zufolge steigere die Ankündigung von Russlands Präsident Wladimir Putin "den Grad der negativen Wahrnehmung und der öffentlichen Ablehnung von Russland und Putin in der belarusischen Gesellschaft".

"Versuch der nuklearen Einschüchterung"

Putin hatte im Staatsfernsehen bekannt gegeben, dass sich Russland und Belarus auf die Stationierung von taktischen Atomwaffen verständigt haben. Es ist das erste Mal seit den 1990er-Jahren, dass Russland Atomwaffen außerhalb seines eigenen Landes stationiert. Der Kremlchef verwies darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert haben. "Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen", sagte Putin.

Am 1. Juli werden demnach die Lager im ukrainischen Nachbarland fertiggestellt sein. Russland habe in Belarus bereits zehn Flugzeuge stationiert, die als Träger von Nuklearwaffen geeignet seien. Auch eine Anzahl taktischer Iskander-Marschflugkörper, die zum Abschuss von Atomwaffen geeignet seien, sei verlegt worden.

Internationale Verträge zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen würden nicht verletzt, weil diese Waffen nicht an Belarus übergeben würden, sondern im Besitz Russlands verblieben, sagte Putin weiter. Bereits am 3. April beginne die Ausbildung für die Besatzungen der atomwaffenfähigen Flugzeuge.

Die deutsche Regierung zeigte sich alarmiert. Das Auswärtige Amt sprach von einem "weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung". Deutschland werde sich davon aber nicht beirren lassen, hieß es. Der von Putin gezogene Vergleich zur nuklearen Teilhabe der NATO sei irreführend und diene nicht zur Begründung des Schritts, so das Auswärtige Amt. Zudem würde Belarus damit mehreren Erklärungen widersprechen, in denen es sich international festgelegt habe, nuklearwaffenfreies Territorium zu sein.

USA: Beobachten Situation nach Putins Ankündigung

Die USA hingegen reagierten zurückhaltender auf Putins Ankündigung. "Wir haben keine Gründe gesehen, unsere eigene strategische nukleare Haltung anzupassen, noch irgendwelche Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz einer Atomwaffe vorbereitet", sagte eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson. Man werde die Auswirkungen von Putins Bekanntgabe im Auge behalten. Außerdem blieben die USA der kollektiven Verteidigung der NATO verpflichtet.

Einsatz von nuklearen Waffen laut ISW-Analyse unwahrscheinlich

Auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) sieht keine wachsende Gefahr eines Atomkriegs. Das Risiko einer Eskalation hin zu einem Nuklearkrieg bleibe extrem niedrig, schreibt das ISW in einer Analyse. Schon bisher könne Russland mit seinen Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen. Putin sei aber ein "risikoscheuer Akteur, der wiederholt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, ohne Absicht, das auch durchzuziehen".

Putin wolle im Westen Ängste vor einer atomaren Eskalation schüren, um so die Unterstützung für die Ukraine etwa bei der Lieferung schwerer Waffen zu brechen. Nach ISW-Einschätzung ist es weiter "sehr unwahrscheinlich, dass Russland nukleare Waffen in der Ukraine oder anderswo einsetzt". Putins Schritt habe sich bereits vor dem Krieg in der Ukraine angekündigt, teilte das ISW mit. Russland zementiere mit der Stationierung nuklearer Waffen in Belarus vor allem seinen Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik.

Versuch der Einschüchterung der NATO

Die auf Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierte "Federation of American Scientists" glaubt, dass Putin mit seiner Ankündigung vor allem auf die NATO abzielt. "Das ist ein Teil von Putins Versuch, die NATO einzuschüchtern", sagte der Experte Hans Kristensen. Militärischen Nutzen ziehe Russland aus diesem Schritt allerdings nicht, da es bereits ein umfassendes Atomwaffenarsenal auf dem eigenen Staatsgebiet unterhalte.

Die NATO selbst sieht laut eigenen Angaben keinen Handlungsbedarf mit Blick auf die eigenen Nuklearwaffen. Man sei wachsam und beobachte die Situation genau, teilte eine Sprecherin mit. "Wir haben keine Veränderungen in Russlands nuklearer Aufstellung gesehen, die uns veranlassen würden, unsere eigene anzupassen", sagte sie. Russlands nukleare Rhetorik sei gefährlich und verantwortungslos.

ICAN warnt vor einer möglichen Eskalation

Besorgter äußerte sich die Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Der Plan von Russlands Präsident Putin sei eine "extrem gefährliche Eskalation", warnte die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Organisation in Genf. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen zum Einsatz kommen. "Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist das Risiko einer Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation extrem hoch."

Die Organisation erinnerte daran, dass der Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) Staaten verbiete, ausländische Atomwaffen auf ihrem Territorium zuzulassen. Das 2017 verabschiedete Abkommen wurde bislang von 92 Staaten unterzeichnet. Russland und Belarus sind nicht darunter. Auch Staaten mit US-Atomwaffenstützpunkten - Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande und die Türkei - haben nicht zugestimmt.

Frank Aischmann, Frank Aischmann, MDR, 25.03.2023 20:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete rbb Inforadio am 26. März 2023 um 10:31 Uhr.