Menschen laufen entlang einer Reihe von Wahlplakaten in Den Haag kurz vor den Parlamentswahlen in den Niederlanden.
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Neue Regierung nach Rutte Wahl in den Niederlanden - was dieses Mal anders ist

Stand: 22.11.2023 03:31 Uhr

Mehr als 13 Millionen Menschen im Nachbarland sind heute zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Nach 13 Jahren im Amt tritt Regierungschef Rutte nicht mehr an. Auch sonst ist dieses Mal einiges anders.

Bei dieser Wahl läuft einiges anders: Zum Beispiel tritt der amtierende niederländische Regierungschef Mark Rutte nicht wieder an. 13 Jahre im Amt - das war zu lang, gibt Rutte selbst zu. Seine Nachfolgerin an der Spitze der rechtsliberalen VVD, Dilan Yesilgöz, sieht das genauso. Sie beklagt, dass ihre Partei in den vergangenen Jahren Profil verloren habe.

Klimawandel und Migration sind entscheidende Themen bei heutiger Parlamentswahl in den Niederlanden

Christian Feld, ARD Brüssel, tagesschau, 22.11.2023 11:00 Uhr

Ihr Vorgänger Rutte hat wegen mehrerer Skandale deutlich an Popularität eingebüßt: durch den nachlässigen Umgang mit Bürgern in Groningen, die wegen der Gasförderung Erdbeben aushalten mussten. Und wegen der Affäre um Kinderbetreuungsgeld, das der Staat zu Unrecht von Tausenden Familien zurückverlangte.

Trotzdem steht die VVD in Umfragen gut da. Offensichtlich konnte Yesilgöz Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf davon überzeugen, dass sie Erneuerung wünscht, obwohl ihre Partei seit mehr als einem Jahrzehnt an der Macht ist. Die 46-Jährige steht für einen strikten Kurs in der Migrationspolitik.

Rechtspopulisten legen zu

Der Rechtspopulist Geert Wilders will gar keine Asylbewerber mehr ins Land lassen. Seine Partei der Freiheit, PVV, hat in den vergangenen Tagen in Umfragen deutlich zugelegt. So stark, dass ohne sie möglicherweise nach der Wahl kein Regierungsbündnis möglich ist.

Der 60-Jährige möchte den Koran verbieten und Moscheen schließen lassen. Im Wahlkampf verzichtete Wilders allerdings auf Hetzparolen und hielt sich zurück - er will mitregieren.

Die neue VVD-Vorsitzende Yesilgöz hat, anders als ihr Vorgänger Rutte, eine Koalition mit Wilders nicht ausgeschlossen. Pieter Omtzigt dagegen schon.

Regierung und Verwaltung erneuern

Omtzigts Partei "Neuer Gesellschaftsvertrag", NSC, wurde erst vor einem Vierteljahr gegründet. Der 49-jährige Wirtschaftswissenschaftler war früher Mitglied der christdemokratischen CDA und will wie die VVD die Zuwanderung beschränken.

Außerdem kündigt er an, Steuern für Geringverdiener zu senken sowie Mindestlohn und Vermögenssteuer zu erhöhen. Der als integerer und hartnäckiger Arbeiter bekannte Omtzigt verspricht, Regierungsführung und Verwaltungspraxis grundlegend zu erneuern.

Das kommt offenbar gut an. Als wichtigste Themen im Wahlkampf nennen Politikwissenschaftler mehr Wohnraum und bezahlbare Mieten, Gesundheitspolitik, Migration sowie den Kampf gegen Armut und Klimawandel.

Mehr Gerechtigkeit als erklärtes Ziel

Frans Timmermans war als stellvertretender EU-Kommissionschef für Klimafragen zuständig, bis er im Sommer in die niederländische Innenpolitik zurückkehrte - als Spitzenkandidat eines rot-grünen Wahlbündnisses, das es so auch noch nicht gab.

Der Mann mit dem weißen Bart ist das in Deutschland bekannteste Gesicht im niederländischen Wahlkampf. Sein erklärtes Ziel: eine gerechtere Politik, die den Markt in den Dienst des Menschen stellt - und nicht umgekehrt.  

Die Bauer-Bürger-Bewegung, BBB, will Protestwählerinnen und -wähler abseits der großen Städte Amsterdam, Rotterdam und Den Haag ansprechen, die sich abgehängt fühlen. Der Ärger vieler Landwirte über Umweltauflagen der Regierung hat die BBB groß gemacht.

Bei den Provinzwahlen im März wurde die noch junge Partei stärkste Kraft. In den Umfragen hat sie zuletzt verloren - möglicherweise zugunsten von Omtzigts NSC.

Mehrheit rechts von der Mitte

Noch ist nichts entschieden: Nach Angaben von Wahlforschern legt sich die Mehrheit der niederländischen Wählerinnen und Wähler erst kurz vor dem Gang in die Wahlkabine fest.

Außerdem sind besonders unzufriedene Wählerinnen und Wähler sehr wechselfreudig: Bei den Provinzwahlen 2019 machten sie das EU-skeptische und rechtspopulistische "Forum für Demokratie" stark, im Frühjahr die BBB, und in den Umfragen zu den Parlamentswahlen war es anfangs die neue Partei NSC. Insgesamt hat das Mitte-Rechts-Lager nach Ansicht von Experten eine klare Mehrheit. Die Frage ist, inwieweit die entsprechenden Parteien nach der Wahl miteinander regieren wollen.

Was sich nicht ändert

Was sich auch bei dieser Wahl nicht ändert: Es gibt nur eine niedrige Sperrklausel, das macht die Regierungsbildung oft kompliziert und langwierig. So wurde die vierte Regierung unter Mark Rutte erst 299 Tage nach der Wahl vereidigt.

Und auch diesmal wird an einem Mittwoch gewählt - eine Folge der Tradition, die Sonntagsruhe gläubiger Protestanten nicht zu stören. 

Für Deutschland ist in jedem Fall wichtig, wer das Nachbarland im Westen regiert. Die Niederlande sind die fünftgrößte Volkswirtschaft in der EU und Deutschlands wichtigster Handelspartner innerhalb der Gemeinschaft. In der EU-Fiskalpolitik stehen sich Berlin und Den Haag traditionell nahe. So treten beide Regierungen für Schuldenabbau und sparsame Haushaltsführung ein.

Jakob Mayr, ARD Brüssel, tagesschau, 15.11.2023 16:18 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. November 2023 um 07:00 Uhr.