Trockenes Land in Australien

Wetterphänomen Wie sich die Australier für El Niño rüsten

Stand: 09.01.2024 06:14 Uhr

Das Wetterphänomen El Niño wird Australien einen extrem heißen und trockenen Sommer bescheren. Die betroffenen Farmer versuchen, Land und Tiere bestmöglich zu schützen - dabei greifen sie auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen.

Der Avocado-Farmer Timothy Kemp startet die Bewässerungsanlage. Unter jedem Baum dreht sich ein kleiner Sprinkler. "Ich wünsche mir mal wieder einen ganz normalen Sommer", sagt der Landwirt aus New South Wales. Doch nach drei sehr nassen Jahren erwarten Meteorologinnen und Meteorologen dieses Jahr das Gegenteil: Hitze und Trockenheit.

Im Juli 2023 hat die Weltorganisation für Meteorologie das Wetterphänomen El Niño ausgerufen. Im September 2023 wurde es auch in Australien offiziell erklärt. Im Pazifikraum drohen extreme Wetterbedingungen wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen.

Timothy Kemp

"Ich wünsche mir mal wieder einen ganz normalen Sommer", sagt Avocado-Farmer Timothy Kemp aus New South Wales.

El Niño taucht alle zwei bis sieben Jahre auf

Seinen Höhepunkt erreicht das Wetterphänomen meist um die Weihnachtszeit, die Lateinamerikaner haben es daher El Niño getauft, was übersetzt "der Junge" heißt. Der Name bezieht sich auf das neugeborene Christkind, dessen Geburt zu Weihnachten, also dem Zeitpunkt des Auftretens des Wetterphänomens, gefeiert wird.

Klimaforscher wie Andrea Taschetto von der University of New South Wales betonen, El Niño sei ein natürliches Wetterphänomen, das alle zwei bis sieben Jahre auftritt und das Wetter durcheinanderwirbelt.

Taschetto zeigt auf eine Karte des Pazifischen Ozeans zwischen Südamerika und Australien. Im Osten, an der Küste Südamerikas, ist das Wasser rot gefärbt, dort ist die Wasseroberfläche derzeit heißer als üblich. Die Fläche zieht sich wie eine längliche Zunge in die Mitte des Pazifiks. Im Westen vor der Küste Australiens ist das Wasser kühler als üblich.

"Als hätte jemand einen starken Föhn ausgestellt"

In normalen Jahren weht der Wind über dem Pazifik von Ost nach West und drückt damit warme Wassermassen Richtung australischer Küste. Im Fall von El Niño verändert sich die Meeresströmung im Pazifik.

Es sei, als hätte jemand einen starken Föhn ausgestellt, sagt Scott Heron von der James-Cook-Universität in Townsville. Das wärmere Oberflächenwasser staut sich vor der Küste Südamerikas, warme feuchte Luft steigt auf und führt zu starken Regenfällen. Die Ostküsten Australiens und Südostasiens hingegen leiden unter Hitze und Trockenheit.

Viele kleine Feuer gegen ein großes

Der australische Avocado-Farmer Kemp hofft, dass er gut durch den trockenen El-Niño-Sommer kommt. Von den verheerenden Buschbränden 2019/20 sei er wie durch ein Wunder verschont geblieben, erzählt er, während er über sein weites Land schaut.

"Um ehrlich zu sein, wir hatten Todesangst. Mein Herz klopft immer noch, wenn ich daran zurückdenke. Wir hätten alles verlieren können." Das Feuer stoppte kurz vor seiner Farm, der Wind drehte. Weil es damals nicht gebrannt hat, ist nun besonders viel trockenes Grün am Waldboden. Das macht die Lage für ihn diesen Sommer besonders gefährlich. Es gibt viel Futter für ein Feuer.

Kemp hat daher vorsorglich Grün zurückgebrannt. Dabei entzündet er mit Absicht kleinere Feuer und brennt kontrolliert kleinere Flächen ab, wenn das Wetter stabil und nicht windig ist. Er brenne maximal zwei Hektar ab, also eine Fläche etwa so groß wie drei Fußballfelder. Viele kleine Feuer seien einfacher als ein großes verheerendes. Dabei orientiere er sich am Vorbild der Indigenen Australiens, die seit Jahrtausenden diese Praxis verfolgen.

Auswirkungen weltweit zu spüren

Das natürliche Wetterphänomen El Niño dauert ungefähr ein Jahr und hat weltweite Auswirkungen. Die aufgeheizte Wasseroberfläche gibt Wärme an die Atmosphäre ab. Dadurch kann die Wärme sogar bis zu den Polen wandern und dort das antarktische Eis beeinflussen. Laut EU-Wissenschaftlern war 2023 wohl das heißeste Jahr seit 125.000 Jahren.

Die australische Pferdezüchterin Sally Barberra sorgt für den El-Niño-Sommer vor. Sie stockt seit Wochen ihre Heuvorräte für die Tiere auf, da das Gras auf der Weide vertrocknet. Die Lieferung von zusätzlichem Wasser ist bestellt. "Wir fangen sonst Regenwasser auf vom Dach und leiten es in zwei Tanks. Aber ohne Regen bleiben die Tanks leer."

Kurzfristig bedeute das trockene Wetter für sie höhere Kosten. Die Preise für Heu und Wasser gingen durch die Decke, sagt sie. In den vergangenen Tagen habe sich die Lage rund um Sydney ein wenig entspannt, da es immer mal wieder geregnet habe. Doch sie dürften sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. "Es reicht ein heißer Tag und es geht wieder los."

Ein Land der Wetterextreme

Das Wetterphänomen El Niño sei jedes Mal anders, sagt Klimaforscherin Taschetto. Doch trotz der ungewöhnlichen Niederschläge im Osten Australiens, die im Nordosten sogar zu schweren Überschwemmungen geführt haben, sei El Niño immer noch da und entwickele sich weiter. Die kurzfristigen untypischen Wetterereignisse würden daran nichts ändern.

Australien ist ein Land der Wetterextreme. "Überschwemmungen, dann Dürre, Überschwemmungen, Buschfeuer. Das ist eben Australien", sagt Pferdezüchterin Barberra. Erst vor rund zwei Jahren stand ihr das Wasser auf dem Grundstück bis zum Hals. Sie zeigt auf die Hürden, über die ihre Pferde sonst springen. Sie seien nicht mehr zu sehen gewesen. Langfristig zerstörten Wetterextreme wie Überschwemmungen und Dürren ihr Land, die Koppeln, die Bäume.

Dieses Schicksal teilt auch Farmer Kemp. Er hat seit 2020 durch schwere Überschwemmungen zwei Drittel seiner Avocadobäume verloren. Die Wurzeln sind durch die dauerhafte Nässe vergammelt. Jetzt macht er sich Sorgen wegen der Trockenheit. "Es ist, als würdest du mit einem preisgekrönten Boxer in den Ring steigen. Ein paar Schläge kannst du wegstecken. Aber wenn er dich mehrfach voll von rechts und links trifft, dann fällst du irgendwann um", sagt der Farmer in dritter Generation.

Avocados werden in einen Behälter geschüttet.

Avocadoernte in New South Wales. Seit 2020 hat Farmer Kemp durch schwere Überschwemmungen zwei Drittel seiner Bäume verloren. Jetzt macht er sich Sorgen wegen der Trockenheit.

Folgen werden immer dramatischer

Das letzte extreme El-Niño-Event in Australien war 2016, davor 1998 und 1982. Dazwischen gab es mildere El-Niño-Jahre. Wie stark El Niño dieses Jahr wird, lässt sich noch nicht genau sagen. "Wir wissen, dass die Folgen von El Niños mit dem Klimawandel immer dramatischer werden", sagt Nicki Hutley, Mitglied des Australischen Klimarats.

Zudem werde El Niño in Zukunft häufiger auftreten. "Obwohl es ein natürliches Phänomen ist, wird es von der Erderwärmung beeinflusst." Anders als die von Menschen verursachte Erderwärmung sei die Erwärmung in El-Niño-Jahren allerdings nur vorübergehend.

Die Auswirkungen dürfe man jedoch nicht unterschätzen. Sie gingen durch alle Bereiche der Gesellschaft. El Niño verringert die Ernte vieler landwirtschaftlicher Produkte. Im Jahr 2022/23 hatte Australien eine Rekordernte von rund 40 Millionen Tonnen Weizen wegen des nassen La-Niña-Wetters. Wegen des gegenteiligen Wetterphänomens El Niño, das Trockenheit bringt, könnte sich die Ernte etwa halbieren. Auf Baustellen kann wegen der Hitze nicht gearbeitet werden, mehr Menschen entwickeln Krankheiten wie Asthma, Allergien oder Herzprobleme.

Sorge vor Naturkatastrophen ist groß

Pferdezüchterin Barberra sagt, das Wetter sei bei den Farmern ein Dauerthema. Sie arbeitet nebenher noch als Verkäuferin in einem Futtermitteladen in der Nachbarschaft. "Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum viele Farmer psychische Probleme haben. Ihr Leben hängt komplett vom Wetter ab."

Eine aktuelle Umfrage unter australischen Farmern zeigt, dass 30 Prozent versucht haben, Suizid zu begehen oder sich selbst verletzt haben. Alle zehn Tage nehme sich ein Farmer in Australien das Leben. Das sei eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit wie im Durchschnitt der australischen Bevölkerung, erklärt die National Farmers Federation. Als Hauptgründe für die Sorgen werden das Wetter und Naturkatastrophen genannt.

Auswirkungen auf das Great Barrier Reef

Eine Erhöhung der Wassertemperatur durch El Niño könnte auch Auswirkungen auf Australiens berühmtes Great Barrier Reef haben. "Wir vermuten, dass die Temperaturen bis April so hoch sind, dass es zu einer Korallenbleiche am Great Barrier Reef kommen kann", sagt Scott Heron von der James-Cook-Universität. Je nachdem wie schwer die Bleiche ist und wie lange sie dauert, hat dies Auswirkungen auf das Korallenwachstum und ihre Fortpflanzung.

Wenn die Bleiche zu lange dauert, kann dies zum vollständigen Absterben der Korallen führen. Das wäre verheerend, weil das Great Barrier Reef nicht nur Lebensraum für Millionen Lebewesen unter Wasser ist, sondern auch für viele Menschen an Land, die von einem gesunden Riff leben. Australien ist nur eine von vielen Regionen in der Welt, die von El Niño betroffen sind - wie schwer, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Jennifer Johnston, ARD Singapur, tagesschau, 08.01.2024 01:00 Uhr