
Hohe Tarifabschlüsse "Noch keine Lohn-Preis-Spirale"
Zähe Verhandlungen und massive Warnstreiks - nun bekommen die Metaller 8,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung. Doch hohe Tarifabschlüsse bergen auch das Risiko von Lohn-Preis-Spiralen. Was sagen Ökonomen dazu?
Arbeitgeber und Gewerkschaft haben sich in der Metall- und Elektroindustrie angesichts der hohen Teuerungsraten auf eine kräftige Lohnerhöhung geeinigt. Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der größten deutschen Industrie bekommen in zwei Schritten 8,5 Prozent mehr Geld sowie 3000 Euro Einmalzahlung netto. "Der Tarifabschluss ist ein gutes Ergebnis", kommentierte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. "Die dauerhaften Lohnerhöhungen von gut vier Prozent pro Jahr werden keine Lohn-Preis-Spirale auslösen." Besonders wichtig sei, dass mit der Einigung längere Streiks abgewendet werden konnten. Diese hätten die Krise verschärft.
Die steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 3000 Euro sorge zudem dafür, dass die verfügbaren Einkommen trotzdem spürbar stiegen, so Fuest. "Angesichts der hohen Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung ist es sinnvoll, Einmalzahlungen zu nutzen, statt allein auf dauerhafte Lohnerhöhungen zu setzen." Das dürfte laut Fuest auch in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft möglich sein.
"Keine Entwarnung für die Geldpolitik"
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING, betont: "Traditionell wird den deutschen Lohnabschlüssen in der Eurozone große Aufmerksamkeit geschenkt." Der nun erfolgte Tarifabschluss werde nicht ausreichen, um den durch die höhere Inflation verursachten Kaufkraftverlust vollständig auszugleichen. "Aber er mildert den Schaden ab." Für die Europäische Zentralbank (EZB) bedeute dies, dass die Zweitrundeneffekte gedämpft blieben.
Ganz so optimistisch ist Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) nicht: "Eine Entwarnung für die Geldpolitik ist das gleichwohl nicht. Unsicherheit über die weitere Inflationsentwicklung bedeutet auch, dass das Vertrauen in die Preisstabilität bereits gelitten hat."
"Für die EZB ist das zwiespältig"
Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank betont: "8,5 Prozent plus Sonderzahlung ist hoch, aber die Laufzeit über zwei Jahre macht es erträglich. Für die EZB ist das zwiespältig." Einerseits gebe es einen erheblichen Lohndruck im kommenden Jahr, andererseits keine Lohn-Preis-Spirale, da dem hohen Anstieg um 5,2 Prozent im Juni 2023 ein erträglicherer Anstieg von 3,3 Prozent im Mai 2024 folge. "Der Lohndruck nimmt im Zeitablauf wieder ab. Buckel statt Spirale", meint Schmieding.
"Die Beschäftigten haben damit absehbar zwar Reallohnverlusten zugestimmt, weil die Inflation im laufenden und im kommenden Jahr und vielleicht auch noch 2024 über den jetzt vereinbarten Abschlüssen liegen dürfte", erläuterte Jens-Oliver Niklasch von der LBBW. "Im Prinzip hat man sich mit dem Tarifabschluss jedoch auf eine Lastenteilung geeinigt, was langfristig beiden Seiten als Beitrag zur Standortsicherung nutzen dürfte." Wer den größeren Teil der Last trage, werde sich natürlich erst im Nachhinein sagen lassen. "Im Moment scheinen mir die Gewerkschaften den etwas besseren Schnitt gemacht zu haben", meint Niklasch.
Was in anderen Branchen verhandelt wurde
Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Abschluss der deutschen Metall- und Elektroindustrie relativ hoch ausgefallen: Einige Beispiele: In der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie sind die Löhne und Gehälter ab August um 6,5 Prozent angehoben worden. Außerdem gab es eine Pauschale von insgesamt 500 Euro für die Monate Juni und Juli. Der Tarifvertrag läuft bis Ende November 2023.
In der Versicherungsbranche gab es eine pauschale Zahlung für den Zeitraum von Februar bis August von 550 Euro und eine zusätzliche Einmalzahlung im Mai 2023. Die Entgelte stiegen um drei Prozent ab September. Ein Jahr später gibt es eine weitere Erhöhung um zwei Prozent. Der Tarifvertrag läuft bis Ende März 2024.
Die wohl deutlichsten Anhebungen gab es im Gebäudereinigerhandwerk, das traditionell allerdings auch sehr niedrige Löhne bezahlt. Hier wurde ab Oktober eine Erhöhung um 9,7 Prozent vereinbart, weitere 3,2 Prozent gibt es zum Jahresanfang 2024. Zudem wurde der "Mindestlohn" in der Branche von 11,55 Euro je Stunde in zwei Stufen auf 13,50 Euro zum ersten Januar 2024 angehoben. Der Tarifvertrag läuft allerdings bis Ende 2024.