Menschen warten an einer Tankstelle in Colombo (Sri Lanka), um Kraftstoff zu kaufen.

Schwere Wirtschaftskrise Sri Lanka droht der Staatsbankrott

Stand: 18.05.2022 17:15 Uhr

Der Strom fällt aus, Medikamente fehlen, Benzinvorräte reichen nur noch für Tage - Sri Lanka erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit. Nun könnte es erstmals zur Staatspleite kommen.

Von Sibylle Licht, Neu-Delhi

Mohamad Irshaf schiebt seine Auto-Rikscha an die Tankstelle. Er braucht Benzin, das ist nicht nur teuer geworden, sondern es ist auch rationiert. "Ich war erst an einer anderen Tankstelle, vier Fahrzeuge vor mir ging das Benzin aus. Jetzt stehe ich hier. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch Benzin bekomme, aber ich muss es versuchen." In Sri Lanka geht das Benzin aus. Es reiche nur noch für kurze Zeit, sagt Sri Lankas neu ernannter Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe.

Sri Lanka erlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit seiner Unabhängigkeit 1948 mit Stromausfällen, Lebensmittelknappheit und einer Währung im freien Fall. Das Land wurde von der Covid-19-Pandemie schwer getroffen. Der für die Wirtschaft wichtige Tourismus kam weitgehend zum Erliegen. Steigende Ölpreise auf dem Weltmarkt und populistische Steuersenkungen der Regierung von Präsident Gotabaya Rajapaksa und seinem Bruder Mahinda trugen zur Wirtschaftskrise bei.

Weitere Faktoren waren stark subventionierte Preise für Treibstoff und die Entscheidung, die Einfuhr von chemischen Düngemitteln zu verbieten. Das ruinierte den Agrarsektor. Weil Sri Lanka die Devisen fehlen, gehen Medikamente, Treibstoff und andere lebenswichtige Güter aus, sie müssen eingeführt werden.  

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Einst Vorbild für Schwellenländer

Dabei galt Sri Lanka als Vorbild für Schwellenländer. Die Wirtschaft des Landes wuchs nach Angaben der Weltbank zwischen 2010 und 2016 um durchschnittlich 6,2 Prozent. Bis 2019 sank die Wachstumsrate allerdings auf 3,1 Prozent.

Seit Wochen ist Sri Lanka in Aufruhr. Neun Menschen starben bei Protesten, mehr als 300 wurden verletzt, viele Demonstranten wurden verhaftet. Ministerpräsident Mahinda Rajapaksa musste schließlich zurücktreten. Sein Bruder, Präsident Gotabayaz, ernannte seinen langjährigen Gegner Ranil Wickremesinghe zum Regierungschef. Er soll dem Land wieder Stabilität geben, um Rettungsgespräche mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank führen zu können.

Denn Sri Lanka droht die Zahlungsunfähigkeit. Die tilgungsfreie Zeit für zwei unbezahlte Auslandsanleihen läuft am heutigen 18. Mai aus. Der Inselstaat könnte formell für zahlungsunfähig erklärt werden, wenn er nicht sofort eine Zinszahlung an die Anleihegläubiger leistet. Das wäre das erste Mal in der Geschichte des Landes.

Demonstranten in Sri Lanka werden von Wasserwerfern zurückgedrängt.

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Währungsreserven aufgebraucht

Schon Mitte April hatte die Regierung angekündigt, die Rückzahlung ihrer Auslandsschulden einzustellen, um Dollar für die Einfuhr von Lebensmitteln und Treibstoff zu haben. Schon wenige Tage später bediente das Land fällige Dollar-Anleihen nicht mehr. Die Rating-Agentur S&P Global Ratings erklärte für Sri Lanka darauf einen selektiven Zahlungsausfall.

Die Währungsreserven sind von 7,5 Milliarden Dollar im November 2019 auf aktuell nahezu Null gesunken, so Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe in einer Fernsehansprache. Sri Lanka brauche für die nächsten Tage 75 Millionen Dollar, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Wichtige Medikamente seien bereits ausgegangen, Benzinvorräte reichten nur für zwei Tage. Der Ministerpräsident bereitete die Einwohner auf harte Monate vor. 

Laut dem Chef-Ökonom der Handelskammer in Colombo, Shiran Fernando, verhandelt Sri Lanka bereits seit März mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank über eine Devisenspritze. Das Land will auch seine Auslandsschulden umschichten. Das allein reiche nicht aus, so Fernando: "Das Land braucht Reformen. Die haben nichts mit dem Internationalen Währungsfonds zu tun."

Arbeitsmarkt, Agrar- und Handelssektor müssten reformiert werden. Nur das bringe auch mittel- und langfristige Effekte. "Sri Lanka hatte in den letzten Jahrzehnten erhebliche Defizite in der Haushaltsbilanz, die wir ignoriert haben. Wir hätten den Internationalen Währungsfonds früher einschalten sollen. Und wir haben nie wirklich harte Reformen durchgeführt. Exporte und Steuereinnahmen waren rückläufig. Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft hat sich deutlich vergrößert."

Indien hilft mit Treibstoff

"Der Rücktritt des Ministerpräsidenten Rajapaksa war wirklich notwendig", sagt Dean Tyler, zuständig für globale Märkte bei BancTrust & Co in London. Seitdem erhole sich Sri Lankas Währung etwas. Die Londoner Investment-Bank ist weltweit tätig und auf Schwellenländer spezialisiert. 

Der neue Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe sucht zurzeit noch nach einem Finanzminister an seiner Seite, nachdem der letzte nach nur einem Tag im Amt das Handtuch geworfen hat. Auch der Direktor der Zentralbank hat mit seinem Rücktritt gedroht, wenn das Land sich nicht schnell politisch stabilisiere. Er will am 19. Mai seinen Bericht zur finanziellen Lage des Landes abgeben.

Indien hat dem schuldengeplagten Sri Lanka zwölf Treibstofflieferungen mit 400.000 Tonnen Diesel angeboten. An vielen Tankstellen hängen Schilder - "Benzin ausverkauft".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. April 2022 um 14:30 Uhr.