Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt.
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Sparen und Finanzieren Wo Verbraucher die höheren Zinsen spüren

Stand: 21.09.2023 11:10 Uhr

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat viele Folgen für den Alltag. Ob Dispokredit, Tagesgeld oder Baufinanzierung: Wie hoch sind die Zinsen schon gestiegen? Ein Überblick.

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Zum zehnten Mal in Folge hat die Europäische Zentralbank (EZB) in der vergangenen Woche die Leitzinsen erhöht. Alle drei Schlüsselsätze stiegen um jeweils 25 Basispunkte. Doch was bedeutet das für Verbraucherinnen und Verbraucher? Wo überall bekommen sie die höheren Zinsen zu spüren?

Konsumentenkredite

Zwei der drei Leitzinsen bestimmen, zu welchen Konditionen Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen können. Die sogenannte Hauptrefinanzierungsfazilität, die für Laufzeiten ab einer Woche gilt, liegt nun bei 4,5 Prozent - ein neuer Rekord in der Geschichte der Währungsunion. Wollen sich die Geldhäuser kurzfristig mit Übernachtkrediten frisches Kapital besorgen, müssen sie mittlerweile einen Spitzenrefinanzierungssatz von 4,75 Prozent zahlen.

Weil die Refinanzierungskosten der Institute seit dem Ende der Nullzinspolitik im Juli 2022 stetig nach oben kletterten, wurden auch Kredite immer teurer. Denn in der Regel geben die Banken ihre gestiegenen Kosten direkt an Haushalte und Unternehmen in Form höherer Zinsen weiter. "Der Leitzins ist maßgeblich für kurzfristige Kredite wie Dispokredite und auch Ratenkredite, die für ein Auto oder neues Handy verwendet werden", erklärt Stephanie Heise, Bereichsleiterin Verbraucherfinanzen bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit tagesschau.de.

Nach Angaben der Frankfurter Finanzberatung FMH liegt der Zins für einen dreijährigen Ratenkredit derzeit bei durchschnittlich 7,19 Prozent. Abhängig von der Laufzeit und der jeweiligen Bonität reicht die Spanne sogar bis 10,75 Prozent. Im Neugeschäft betrug der effektive Jahreszinssatz für Konsumentenkredite der Bundesbank zufolge zuletzt 8,4 Prozent. Im Juli des vergangenen Jahres waren es noch 6,15 Prozent.

Dispokredite

"In den vergangenen Jahren hatte man sich an vergleichsweise günstige Kredite gewöhnt - diese Zeiten sind vorbei", sagt Heise. Dabei seien gerade jetzt zunehmend Menschen aufgrund finanzieller Probleme infolge der Inflation darauf angewiesen, sich Geld zu leihen. Das geht auch, indem sie ihr Girokonto überziehen. Doch die dafür geltenden Dispozinsen sind noch höher.

Der Mittelwert von 68 ausgewählten Banken liegt laut FMH gegenwärtig bei 11,75 Prozent. "Diese hohen Zinssätze plus Tilgung sind eine extreme Belastung", sagt Heise. Allen Haushalten, die nicht darauf angewiesen sind, empfiehlt die Verbraucherzentrale deshalb, in der aktuellen Zeit auf Konsumentenkredite und die Nutzung des Dispokredits zu verzichten.

Aus Sicht von FMH-Inhaber Max Herbst sind die Dispozinsen ohnehin für die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher kaum relevant. "Wir gehen davon aus, dass nur jeder siebte Bundesbürger im Dispo ist." Bedeutender seien dagegen die Zinssätze für kurzfristige Tages- und Festgeldkonten. Sprich: das Sparen. Damit verknüpft ist der dritte Leitzins, die sogenannte Einlagefazilität.

Tagesgeld

Mit diesem Satz, den die EZB jüngst auf 4,0 Prozent erhöhte, werden die Einlagen von Banken bei der Notenbank verzinst. Jahrelang hatten die Geldhäuser Strafzinsen dafür zahlen müssen. Heutzutage können sie wieder Geld verdienen, wenn sie ihre überschüssige Liquidität über Nacht bei der EZB parken. Aus diesem Grund zahlen sie auch den Sparern wieder etwas für ihre Guthaben - zum Beispiel beim Tagesgeld. Für ein Tagesgeldkonto erhalten Verbraucherinnen und Verbraucher bei einer Anlage von 5.000 Euro im Schnitt derzeit 1,89 Prozent. Im besten Fall sind es der FMH zufolge 4,01 Prozent.

"Der Wettbewerb beim Tagesgeld ist aktuell sehr groß", sagt Heise. Dauernd gebe es für Neukunden besondere Lockangebote, die Zinsen von bis zu 4,0 Prozent bringen - jedoch meist befristet für ein paar Monate. "Wen es nicht stresst, ständig neue Konten zu eröffnen, kann das Spiel mitspielen und das meiste Geld rausholen", so die Verbraucherschützerin. Gerade wenn die eigene Hausbank zu denen gehört, die kaum Zinsen zahlen, sollten Kunden im ersten Schritt das Gespräch suchen, meint Heise. "Wenn das wirkungslos ist, sollte man über ein neues Tagesgeldkonto nachdenken und Anbieter vergleichen."

Wenn eine Bank die steigenden Zinsen nicht an ihre Kunden weitergibt, droht ihr durch den Konkurrenzkampf ein Abzug von Kunden. Knapp ein Drittel der deutschen Geldhäuser betreibt noch immer eine Niedrigzinspolitik beim Tagesgeld, wie eine Studie des Vergleichportals Verivox ergab. Auch deshalb waren die Bestände der Sparkassen und Genossenschaftsbanken im ersten Halbjahr des Jahres erstmals seit der Finanzkrise wieder gefallen. Das könne für ein Umdenken sorgen, vermutet FMH-Experte Herbst. "Wenn die Leute wegen Neukunden-Aktionen bei anderen Banken ihr Geld abziehen und die Geldhäuser den starken Verlust an Kundengeldern bemerken, werden sie vermutlich ihren Bestandskunden bessere Konditionen anbieten."

Festgeld

Neben dem Tagesgeld gibt es auch Festgeldkonten, über die Sparer sogar noch höhere Zinsen bekommen können: im Augenblick zwischen 1,50 und 4,15 Prozent bei einer Laufzeit von fünf Jahren. Trotzdem sollten Anlegerinnen und Anleger nach Ansicht von Heise vorsichtig sein. Denn: Beim Festgeld binden sie sich zu einem festgelegten Zins für einen bestimmten Zeitraum. "Es nützt nichts, wenn es auf dem Festgeld zwar einen Prozentpunkt mehr gibt, man aber im Fall eines kaputten Autos nicht drankommt." Ein Notgroschen müsse immer verfügbar sein - am besten auf einem Tagesgeldkonto.

Als Alternative schlägt die Verbraucherzentrale ein Stufenverfahren vor. "Wir nennen das auch Festgeld-Treppen: Man packt einen Teil seines Geldes zum Beispiel auf ein sechsmonatiges, einen auf ein einjähriges und den Rest auf ein zweijähriges Festgeldkonto", erklärt Heise. Nach einem halben Jahr könne anschließend mit Blick auf die Zinsentwicklung neu bewertet werden. Sich noch weiter in die Zukunft festzulegen, sei nicht sinnvoll. Zum einen gebe das kaum höhere Zinsen und zum anderen sei die Unsicherheit in der gesamten wirtschaftlichen und politischen Lage sehr hoch.

Unabhängig vom Finanzprodukt regt Heise an, sich mit dem Thema zu beschäftigen: "Wenn ich überhaupt eine Chance haben will, immerhin einen Teil von der Inflation auszugleichen, muss ich mich um eine höhere Verzinsung kümmern. Sonst ist das Geld entwertet." Zwar sei der Realzinsverlust wegen der weiterhin hohen Teuerungsrate von sechs Prozent trotzdem vorhanden, aber eben nicht so hoch.

Anleihen

Unmittelbar betroffen von den steigenden Leitzinsen sind darüber hinaus Anlegerinnen und Anleger. Zwar werden Aktien tendenziell unattraktiver; dafür sind allerdings Anleihen wieder eine Alternative geworden. Über die Ausgabe von Bonds leihen sich Staaten oder Firmen Geld für mehrere Jahre von Investoren und zahlen dafür Zinsen. "Anleihen waren jahrelang völlig uninteressant", so Heise. Etwa die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe sei vor knapp zwei Jahren noch negativ gewesen. Das habe sich geändert.

Derzeit liegt die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe bei 2,7 Prozent. Anleger, die neu zugreifen, erhalten also zehn Jahre lang 2,7 Prozent pro Jahr - wenn sie das Produkt über die gesamte Zeit halten. Für Investoren, die bereits einen Bond besitzen, sind die steigenden Zinsen allerdings von Nachteil. "Wenn der Zins steigt, fällt der Kurs meiner vorhandenen Anleihe und ich mache bei einem Verkauf vor Ende der Laufzeit Verlust", sagt die Expertin. Gerade das Risiko eines Bonds sowie die Zinsentwicklung während der Laufzeit sei für Privatanleger schwierig zu kalkulieren.

Herbst rät ihnen daher eher von Anleihen ab - gerade von Unternehmensanleihen: "Je höher der Zinssatz ist, umso mehr Risiko trage ich." Falls eine Firma Pleite geht, sei die Anleihe futsch. "Wenn man mit dem Rentenmarkt noch nichts zu tun hatte, sollte man lieber die Finger davon lassen", so der FMH-Fachmann. Gerade die gegensätzliche Bewegung bei Renditen und Kursen sei komplex.

Bauzinsen

Direkt verbunden mit der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe sind die Bauzinsen. Für zehnjährige Finanzierungen lagen diese zuletzt bei knapp vier Prozent, wie die Daten der Frankfurter FMH-Finanzberatung zeigen. "Mit der EZB haben die Bauzinsen aber sehr wenig bis gar nichts zu tun", erklärt Herbst. Banken refinanzieren ihre Baufinanzierungen überwiegend über Pfandbriefe. Deren Rendite orientiert sich an den Zinsen zehnjähriger Bundesanleihen, die wiederum von der Inflationsentwicklung abhängen.

"In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Bauzinsen vervierfacht", sagt Heise. Die Entscheidung über den Kauf oder Bau einer Immobilie hänge letztlich nicht nur am tagesaktuellen Zinssatz. Dennoch mache es das Ganze natürlich deutlich teurer. "Bei unseren Beratungsgesprächen, in denen durchgerechnet wird, ob sich der Interessent die Immobilie leisten kann, stellen wir immer häufiger fest, dass es sich nicht trägt", berichtet die Bereichsleiterin für Verbraucherfinanzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 21. September 2023 um 15:00 Uhr.