Rettungsring im Stadthafen vor dem Gelände der MV Werften | picture alliance/dpa/dpa-Zentral
Analyse

Insolvenz der MV Werften Niedergang der deutschen Schiffbauer

Stand: 10.01.2022 18:15 Uhr

Bis zum Ausbruch von Corona profitierten die deutschen Werften vom Kreuzfahrtschiff-Boom. Nun treibt die Krise die MV Werften in die Insolvenz. Welche Zukunftsperspektive hat die Branche?

Von Notker Blechner, tagesschau.de

Vor wenigen Jahren sorgte die "Global Dream" in Wismar noch für große Träume. Von einem "Job-Wunder" war die Rede. In den drei ostdeutschen Werften Wismar, Rostock und Stralsund verdoppelte sich die Zahl der Arbeitsplätze für den Bau des größten Kreuzfahrtschiffs der Welt. 9500 Passagiere und 2500 Crewmitglieder sollten auf der "Global Dream" Platz haben. Auf 20 Decks sollten unter anderem ein Vergnügungspark, eine Wasserrutsche und eine Achterbahn untergebracht werden.

1900 Jobs in Gefahr

Daraus wird nun wohl nichts. Aus dem Traum droht ein Alptraum zu werden. Heute Mittag haben die MV Werften einen Insolvenzantrag gestellt. Mehr als 1900 Jobs stehen auf der Kippe. Ob der Bau des Kreuzfahrtriesen jemals fertig wird, ist fraglich.

Der Investor war Fluch und Segen zugleich. Der Konzern Genting aus Hongkong übernahm 2016 die Werften in Stralsund, Rostock und Wismar und pumpte nach eigenen Angaben zwei Milliarden Euro in die Standorte. Wegen der Corona-Krise und des Einbruchs des Kreuzfahrtgeschäfts geht dem Vergnügungskonzern, der auch Kasinos betreibt, nun das Geld aus. Genting lehnte einen Eigenbetrag von 60 Millionen Euro zur Rettung der MV Werften ab. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte Hilfen in Aussicht gestellt, verlangte aber Garantien und einen Eigenbetrag des Miteigentümers. Mit rund 600 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds sollte das riesige Kreuzfahrtschiff fertiggebaut werden.

Habeck: "Eigentümer hat Hilfsangebot ausgeschlagen"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat dem Eigentümer der MV Werften die Schuld für die Insolvenz gegeben. "Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Insolvenz der MV Werften zu vermeiden und so die Arbeitsplätze zu retten", sagte er. "Allerdings haben die Eigentümer unser Hilfsangebot ausgeschlagen; die Anmeldung der Insolvenz ist die Folge."

Mitarbeiter der MV Werften verlassen das Werftgelände | picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Fast 2000 Jobs sind in Gefahr: Mitarbeiter der MV Werften verlassen nach einer kurzfristig anberaumten Belegschaftsversammlung das Werftgelände. Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Nun stellt sich die Frage, ob die MV Werften noch zu retten sind. Es müsse jetzt darum gehen, den Werftenstandort und gut bezahlte Jobs in Mecklenburg-Vorpommern zu sichern, sagte die neue Koordinatorin der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus, Claudia Müller. "Ich sehe eine Perspektive für den Werftenstandort, für die Industrie, die es dort gibt.“ So gebe es bereits Verhandlungen für einzelne Standorte.

Interessenten für Standorte in Stralsund und Bremerhaven

Die IG Metall spricht sich einen zügigen Verkauf der Werft in Stralsund und des Standorts Bremerhaven aus. In Stralsund könnte die Stadt die Flächen kaufen und dann Unternehmen wie Nordic Yards ansiedeln lassen, sagte Daniel Friedrich, Leiter von der IG Metall Küste zu tagesschau.de.

Friedrich forderte die Berufung von Insolvenzverwaltern, die mit Unterstützung der IG Metall, Betriebsräten und der Politik auf einen Erhalt der Arbeitsplätze setzten. Wichtigste Aufgabe in Mecklenburg-Vorpommern sei es zunächst, für die Beschäftigten möglichst schnell die ausstehenden Löhne und Gehälter zu organisieren. Auch in der Insolvenz müsse es möglich sein, das Schiff "Global Dream" auf der Werft in Wismar fertigzustellen, meinte Friedrich.

Bremerhavener Lloyd-Werft ebenfalls insolvent

Auch die Bremerhavener Lloyd-Werft, die ebenfalls zum Genting-Konzern gehört, hat Insolvenz angemeldet. Hier geht es um etwa 300 Arbeitsplätze. Laut Friedrich von der IG Metall gibt es für Bremerhaven zwei Interessenten, einen aus dem arabischen Raum und einen aus der Region.

Für den Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) ist jetzt entscheidend, den Erhalt der vier Standorte an der Ostsee und in Bremerhaven im Rahmen eines Eigentümerwechsels zu ermöglichen. Die deutsche Schiffbauindustrie könne sich einen weiteren Substanzverlust in dieser Größenordnung nicht leisten, teilte der Verband mit. Über die Zukunft des Bremerhavener Standorts macht sich Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken am wenigsten Sorgen.

Auch die älteste Werft ging pleite

Die MV Werften und die Lloyd-Werft sind nicht das einzige Opfer der deutschen Schiffbau-Krise. Deutschlands älteste Werft, die Pella Sietas in Hamburg, ging im Sommer vergangenen Jahres insolvent. Ihr droht nach 386 Jahren das Aus. Andere Werften wie die FSG in Flensburg und Nobiskrug in Rendsburg wurden von dem bekannten deutschen Junginvestor Lars Windhorst knapp vor der Pleite gerettet.

Andere Schiffbauer mussten kräftig Kosten senken und Stellen streichen. So baute der Kreuzfahrtschiff-Hersteller Meyer Papenburg Hunderte Jobs ab. Und kürzlich kündigte Blohm + Voss die Reduzierung von 133 Stellen im zivilen Reparaturgeschäft an.

Schon seit langem steckt die Branche in der Krise

"Der deutsche Schiffbau steckt schon seit Jahrzehnten in der Krise", sagt Branchenexperte und Ex-Professor für maritime Wirtschaft in Bremen, Ulrich Malchow. Der Niedergang der Werften begann 1996 mit der Pleite der Bremer Vulkan AG. Sie hatte sich mit dem Kauf der Ostwerften, darunter pikanterweise die MV Werften, übernommen.

Seit den 80er Jahren haben die Schiffbauer immer mehr Marktanteile in den Fernen Osten abgeben müssen. Der Bau von Tankern, Containerschiffen und Fähren hat sich in Billiglohn-Länder nach Asien verlagert - zuerst nach Japan, dann nach Südkorea und nun immer mehr nach China. Der deutschen Industrie sind nur die Kreuzfahrtschiffe, Yachten und Marine-Schiffe geblieben.

Der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VSM, Reinhard Lüken, klagt über eine extreme Wettbewerbsverzerrung im globalen Markt. "Internationale Wettbewerber nehmen uns den Markt weg durch Subventionen", schimpft er. China habe in den letzten 15 Jahren gut 200 Milliarden Euro in den Aufbau der Schifffahrtsbranche gesteckt.

Und selbst die Kreuzfahrtschiffe könnten bald vermehrt in China gefertigt werden. Das erste Kreuzfahrtschiff werde im Reich der Mitte wohl 2025 fertiggestellt glaubt Meyer-Chef Bernard Meyer. VSM-Hauptgeschäftsführer Lüken kann sich sogar vorstellen, dass schon 2023 das erste große chinesische Kreuzfahrtschiff in Fahrt geht. 

Corona dreht der Kreuzfahrtbranche das Geschäft ab

Die Corona-Pandemie hat jetzt schon das Kreuzfahrt-Geschäft zum Erliegen gebracht. Meyer Papenburg zog im vergangenen Jahr gerade mal einen Auftrag an Land. Nach Aussage des Meyer-Chefs haben die Kreuzfahrt-Reedereien 2020 rund 20 Milliarden Dollar verbrannt, 2021 dürften es nochmals zehn Milliarden gewesen sein. Wann sich die Branche erholen wird, ist unklar. Zuletzt hat Omikron mehrere Kreuzfahrten gestoppt.

Noch hängen gut 200.000 Arbeitsplätze von der maritimen Industrie in Deutschland ab. Fünf große Unternehmen dominieren den deutschen Schiffbau: die Meyer-Gruppe, die MV Werften, die FSG-Gruppe, die Lürsen-Gruppe und Thyssenkrupp Marine Systems. Insgesamt gibt es noch 60 Werften mit gut 18.000 Beschäftigten. Nicht allen geht es schlecht. IG-Metall-Küsten-Bezirksleiter Friedrich verweist auf eine gewisse Stabilität bei den mittelgroßen Werften und denen, die Großyachten bauen.

Emissionsfreie Schiffe als Ausweg?

Künftig habe die deutsche Industrie aber nur mit Schiffen eine Chance, die kein anderer bauen könne, meint er. So sollte Deutschland zum Vorreiter bei emissionsfreien Schiffen werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass das erste Nullemissions-Kreuzfahrtschiff bis 2030 hierzulande gebaut wird.

Darüber hinaus könnten sich die deutschen Schiffbauer auf Nischen wie batterie- oder Brennstoffzellen-getriebene Yachten konzentrieren. Und auch der Wiedereinstieg in das Geschäft mit Plattformen für die boomende Offshore-Windenergie könnte sich lohnen.

Vor diesem Hintergrund könne sich die Insolvenz auch als Chance erweisen, da jetzt der Weg für andere Marktsegmente und Geschäftsmodelle frei sei, meint VSM-Hauptgeschäftsführer Lüken. Schon jetzt seien die deutschen Schiffbauer führend beim Emissionsschutz. Für den Übergang in die Klimaneutrale Schiffahrt sei aber auch die Politik gefordert. Sie müsse sich entscheiden, ob sie die Systemkompetenz in Europa erhalten wolle. Ansonsten würden die aller meisten Jobs in den nächsten zehn Jahren wegfallen und keine Schiffe mehr in Europa gebaut werden.

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. Januar 2022 um 17:00 Uhr.