Ein Protestschild gegen eine Impfpflicht
Exklusiv

Impfgegner im Netz Stimmungsmache mit Online-Umfragen

Stand: 04.02.2022 05:01 Uhr

Recherchen von tagesschau.de zeigen, wie Online-Umfragen manipuliert werden sollen. So rufen Impfgegner gezielt dazu auf, massenhaft bei Umfragen von großen Medien abzustimmen. Offenkundig durchaus mit Erfolg.

Von Carla Reveland, NDR, für tagesschau.de

Ende Januar hat die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) zu einem Online-Beitrag eine Umfrage zu einer möglichen Impfpflicht in Deutschland gestartet. "Nein, auf keinen Fall" antworteten mehr als 65 Prozent der Teilnehmenden - ein Ergebnis, das deutlich von repräsentativen Umfragen abweicht, laut denen die Mehrheit eine Impfpflicht für Erwachsene befürwortet.

Viele Online-Medien nutzen Umfragen, um ein Stimmungsbild ihrer Leserschaft zu aktuellen Themen einzuholen. Doch die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen. So sind auf Telegram und Facebook täglich Aufrufe zu finden, Umfragen im eigenen Sinne zu beeinflussen, um eine Mehrheit zu simulieren. Durch die Aufrufe, an bestimmten Umfragen teilzunehmen, kann der Eindruck vermittelt werden, eine große Mehrheit der Bevölkerung lehne Covid-19-Impfungen ab.

Mobilisierung über Telegram

Auf Telegram wird auf impfkritischen Kanälen unter anderem dazu aufgerufen, an der erwähnten "FAZ"-Umfrage teilzunehmen. Allein auf einem Kanal, der "alle bekannten Umfragen aus den Mainstream-Medien veröffentlicht", wie es in der Selbstbeschreibung heißt, wird der Teilnahmeaufruf über 8000-mal gesehen.

Der Kanal liefert den nahezu 6000 Abonnenten per Link Umfragen - meist zu Corona-Themen - unter anderem von "Bild", "Spiegel", "Stern", "FAZ", "tagesspiegel", "t-online", "Frankfurter Rundschau", RTL, n-tv sowie verschiedenen Regionalzeitungen.

Aufrufe zeigen offenbar Wirkung

Die Aufrufe in dem Kanal sehen nach Auswertungen von tagesschau.de bis zu 500.000 Nutzerinnen und Nutzer auf Telegram; die Reichweite hängt davon ab, ob große Kanäle sie weiter verbreiten. Die Aufrufe führen bisweilen dazu, dass Umfragen offline gestellt werden. So geschehen beim "Münchner Merkur", der im März eine Umfrage zu einem "Versammlungs-Lockdown" gestartet hatte und sie nach einer mutmaßlichen Beeinflussung offline stellte.

Ein Bundesvorstand der "Querdenker"-Partei "Die Basis" teilte die Umfrage mit den Hinweisen "bitte alle teilnehmen" und "ganz super fleißig teilen". Binnen einiger Stunden hatten seinen Aufruf mehr als 440.000 Personen gesehen, und mehr als 50.000 Stimmen sprachen sich gegen das Versammlungsverbot aus. Wie viele davon auf diesen und weitere Aufrufe zu der Umfrage auf anderen Telegramkanälen zurückgehen, lässt sich allerdings nicht feststellen.

Screenshot eines Telegram-Chatverlaufes

Aufruf zur Beeinflussung einer Umfrage. Dieser Telegrambeitrag wurde über 440.000-mal gesehen.

Auch bei "stern tv" sorgten die Ergebnisse einer Online-Umfrage für Erstaunen. In der Sendung vom 19. Januar wurde über die Impfpflicht diskutiert und Zuschauer währenddessen dazu aufgefordert, online ihre Meinung abzugeben. Innerhalb kürzester Zeit wurden in einer Telegram-Gruppe mehrere Hinweise auf die Umfrage gepostet.

Bei rund 88.000 Teilnehmenden waren schließlich mehr als 60 Prozent gegen eine Impfpflicht. Der Moderator wies darauf hin, dass sich die Anteile im Laufe der Abstimmungszeit massiv verändert hätten und äußerte den Verdacht einer Manipulation. Die Umfrage wurde daraufhin gelöscht und eine neue gestartet. Doch auch das blieb bei Telegram nicht unbemerkt - wieder kam es zu dem Ergebnis, dass Zweidrittel die Impfpflicht ablehnen.

Hinweise zur Stern TV Umfragen auf Telegram.

Aufrufe an der Stern TV-Umfrage zur Impfpflicht abzustimmen.

Nicht nur auf Websites finden Umfragen statt, auch in den sozialen Netzwerken wie Twitter, Instagram und Facebook werden in Tweets oder Storys Stimmungsbilder abgefragt, welche wiederum in Telegram-Kanälen geteilt werden. So finden sich Aufrufe "für alle mit Instagram-Account" an Umfragen zu Impfpflicht in Storys beispielsweise der tagesschau oder der SPD teilzunehmen.

System soll Alarm schlagen

Die meisten großen Online-Medien nutzen für ihre Umfragen einen Anbieter, der die Tools bereit stellt - viele von ihnen das Berliner Tech-Start-Up "opinary". Die Mitgründerin Pia Frey führt aus, das System filtere "pro Tag im Schnitt circa 500 Votes aus, die als 'Fraud' klassifiziert werden - also unter bestätigtem Manipulationsverdacht stehen".

Das System schlage Alarm, wenn "mehrfaches Abstimmen von einer IP-Adresse registriert wird, sich ein auffallender Wechsel im Stimmungsbild in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum vollzieht, oder wir überdurchschnittlich viele Stimmen auf einer Umfrage verzeichnen".

"Extreme Meinungen oft überrepräsentiert"

Zwar wird bei einigen Online-Umfragen zudem darauf hingewiesen, dass diese nicht repräsentativ seien, dennoch werden die Ergebnisse bisweilen in redaktionellen Beiträgen aufgegriffen.

"Ein entscheidendes Merkmal qualitativ hochwertiger Stichproben ist, dass die Selbstrekrutierung ausgeschlossen ist", erklärt Nico Siegel, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap. Ist diese Möglichkeit jedoch gegeben, man also beispielsweise über einen Link an der Umfrage teilnehmen kann, führe dies zu "nicht korrigierbaren Verzerrungen der Ergebnisse". Zum einen könne das ein Einfallstor für Manipulation sein, zum anderen liegt laut Siegel häufig ein spezielles Motiv der Teilnahme zugrunde - zum Beispiel ein besonders starkes Interesse an einem Thema. Dadurch seien die extremen Meinungen oft überrepräsentiert.

"Inszenierung einer empörten Öffentlichkeit"

Online-Medien stehen hier vor einem Dilemma, da ihnen die rege Beteiligung an den Umfragen natürlich reichlich Klickzahlen bescheren, was "gut für Werbende und den Verlag, aber schlecht für die Gesellschaft" sei, erklärt Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS).

Durch die Beeinflussung der Ergebnisse werde suggeriert, dass es sich um die Meinung der gesellschaftlichen Mehrheit handele, auch wenn dies nicht der Realität entspräche, warnt der Politikwissenschaftler. Holnburger spricht vom Versuch der "Inszenierung einer empörten Öffentlichkeit".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete mdr Aktuell am 04. Februar 2022 um 16:06 Uhr.