Polizisten an der deutsch-französischen Grenze bei Kehl (Archivbild)

Lockerungen gefordert Kritik an Grenzkontrollen wächst

Stand: 12.05.2020 16:28 Uhr

Wegen der Corona-Pandemie darf derzeit nur nach Deutschland einreisen, wer einen wichtigen Grund hat. Innenminister Seehofer will daran auch erst einmal festhalten. Kritiker fordern inzwischen ein "Machtwort" der Kanzlerin.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat sich angesichts der zurückgehenden Zahl von Neuinfektionen dafür ausgesprochen, die Quarantäne-Pflicht für Rückkehrer aus dem europäischen Ausland umfassend zu lockern. Zur Begründung verwies er in der "Rheinischen Post" auf das Ende des Lockdowns in Frankreich, wo die Menschen seit Montag wieder deutlich mehr Freiheiten haben und auch ohne triftigen Grund das Haus verlassen dürfen.

Laschet bekräftigte außerdem seine Forderung nach einer Öffnung der geschlossenen Grenzen. Es schmerze ihn seit Wochen, so der CDU-Politiker, dass die Europa-Brücke zwischen Kehl und Straßburg gesperrt sei. "Dass sie ausgerechnet nicht nach Schengen über die Mosel dürfen und dort die Fahnen auf halbmast wehen, ist ebenfalls schmerzhaft."

FDP drängt auf Lockerungen

Unterstützung erhielt Laschet vom stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Alexander Graf Lambsdorff. Im ARD-Morgenmagazin sprach dieser sich gegen eine Quarantäne etwa für Rückkehrer aus Schweden und den Niederlanden aus. "Grenzen sollten immer nur dann geschlossen werden, wenn es ein Infektionsgeschehen gibt", sagte Lambsdorff. Pauschale Grenzschließungen seien der falsche Weg.

Der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Innenminister Horst Seehofer zu einer Grenzöffnung zu bewegen. Es sei allein mit Seehofers "Starrsinn" zu erklären, dass die Grenzen trotz gesunkener Corona-Neuinfektionen nach wie vor geschlossen seien, sagte Strasser der Nachrichtenagentur AFP. "Horst Seehofer muss die Grenzen umgehend öffnen, ansonsten muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen."

Druck auf Seehofer steigt

Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron berieten einem Medienbericht zufolge bereits am Montag über Lockerungen im deutsch-französischen Grenzverkehr. Nach Informationen des "Hauptstadt Briefings" von "Media Pioneer" streben beide eine Lösung an, die für die Bürger beider Länder gleichermaßen gilt, bestenfalls sogar darüber hinaus.

Innenminister Seehofer hatte zuletzt erklärt, es bestehe Einvernehmen in der Bundesregierung, die Kontrollen an den Grenzen zu zu Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark zunächst bis zum 15. Mai fortzusetzen. Forderungen nach einer vorherigen selektiven Grenzöffnung wies er zurück.

Zuletzt machten aber auch Unionspolitiker Druck auf Seehofer, die Grenzen rasch zu öffnen. Gestern hatte sich zum Beispiel auch das CDU-Präsidium für eine zügige Öffnung der Grenzen zu den Nachbarländern ausgesprochen - allerdings unter Beibehaltung der Sicherheitsstandards.

Ziemiak spricht von "Verzweiflung" an polnischer Grenze

Auf die schwierige Lage an der deutsch-polnischen Grenze wies CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak beim Besuch eines Krankenhauses in der Grenzstadt Schwedt hin. Er habe "kein Verständnis dafür, warum das dringend notwendige medizinische Personal nicht aus Polen hier einreisen kann und wieder zurückreisen kann", sagte er. Wegen der Grenzschließung von polnischer Seite gebe es in der Grenzregion "Verzweiflung".

Die 14-tägige Quarantänepflicht ist auch an der deutsch-polnischen Grenze in Kraft - in Deutschland gelten für Berufspendler und andere Grenzgänger allerdings Ausnahmen, in Polen nicht. Ziemiak forderte die polnische Regierung auf, nun "sehr kurzfristig" die Beschränkungen abzuschaffen. Diese fügten der deutsch-polnischen Zusammenarbeit "Schaden" zu.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hält Grenzöffnungen in Europa inzwischen unter gewissen Voraussetzungen für möglich. Wenn es einen Gleichklang und eine ähnliche epidemiologische Situation in den Nachbarstaaten gebe, könne man eine solche Grenzöffnung rechtfertigen, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade.

EU-Kommission will Leitlinien vorstellen

Für eine schrittweise Aufhebung der Grenzkontrollen sprach sich auch die EU-Kommission aus. Die Behörde werde am Mittwoch "Leitlinien zur schrittweisen und allmählichen Aufhebung" vorstellen, sagte die Generaldirektorin der Innenabteilung der Kommission, Monique Pariat, im Innenausschuss des EU-Parlaments.

Ziel sind demnach zunächst insbesondere Ausweitungen der Ausnahmeregelungen für Arbeitnehmer und Familienangehörige beim Grenzübertritt. Bisher sei dies vielfach nur für Gruppen möglich, deren Berufe in der Pandemie als unverzichtbar gelten, etwa im Gesundheitsbereich.

Darüber hinaus wolle die Kommission "die schwierige und schmerzhafte Lage" von Familien erleichtern, die beiderseits von Grenzen lebten und durch die Kontrollen getrennt worden seien, sagte Pariat. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Verwandten zu sehen und zurückzureisen.

Warnung vor zu schnellen Grenzöffnungen

Beim Öffnen der Binnengrenzen setzt die Kommission aber auf ein vorsichtiges und abgestimmtes Vorgehen der EU-Staaten. Eine sofortige Rückkehr zum eigentlich kontrollfreien Schengenraum fordert die Behörde in ihren Empfehlungen nicht.

Die Kommission wolle ein "sorgfältig kalibriertes Vorgehen": So sollten die Kontrollen zunächst in Regionen gelockert werden, wo sich die Infektionszahlen auf beiden Seiten der Grenze vergleichbar verbesserten.

Alle Lockerungen müssten abhängig von der Entwicklung der Epidemie in den jeweiligen Gebieten sein, betonte Pariat. Nach einem Bericht des "Handelsblatts" will die Kommission in ihrer Empfehlung davor warnen, die Grenzen zu schnell und ohne die notwendigen Begleitmaßnahmen zu öffnen, weil dies einen "plötzlichen Anstieg von Ansteckungen" bewirken könne.

Gleiches Recht für alle

Die Angehörigen einzelner Staaten dürften bei den Lockerungen nicht bevorzugt oder diskriminiert werden, betont die EU-Kommission. Sollte ein Land Lockerungen in einer bestimmten Region einführen, müssten sie für alle dort lebenden Menschen gelten - unabhängig von ihrer Nationalität.

Die Kommission hatte die Mitgliedstaaten am Freitag aufgefordert, den Einreisestopp an den EU-Außengrenzen um einen weiteren Monat bis zum 15. Juni zu verlängern. Sie schloss eine weitere Verlängerung nicht aus und erklärte, die Beschränkungen bei der Einreise nach Europa könnten erst beseitigt werden, wenn auch die Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehoben seien.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 12. Mai 2020 um 06:05 Uhr.