Zwei Geflüchtete gehen mit vollen Tüten auf eine Erstaufnahmestelle zu.
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Migration Was der Flüchtlingsgipfel bringen soll

Stand: 08.02.2023 15:37 Uhr

Die Länder beklagen enormen Druck bei der Versorgung von Geflüchteten. In den Kommunen fehlt es an Wohnungen, Kitaplätzen und Lehrern. Nun soll ein Flüchtlingsgipfel helfen. Wie soll es weitergehen?

Die Ausgangslage

2022 haben deutlich mehr Menschen Asyl in Deutschland beantragt als die Jahre zuvor. Hinzu kommt rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine, die wegen des russischen Angriffskriegs keinen Asylantrag stellen müssen, sondern auf Basis einer EU-Richtlinie unmittelbar vorübergehenden Schutz erhielten. Für die vielen Menschen fehlt es an Wohnungen, Kitaplätzen und Lehrern für Schulen und Sprachkurse.

Die Unzufriedenheit damit, wie die Geflüchteten untergebracht werden, entlädt sich zum Teil auch vor Ort. Zuletzt gab es in Mecklenburg-Vorpommern massive, zum Teil rechtsextreme Proteste gegen ein geplantes Containerdorf für 400 Menschen.

Was fordern die Länder und Kommunen?

Kommunen und Länder wollen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich des Themas annimmt. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein forderte im Bericht aus Berlin, Scholz müsse das Thema "jetzt zur Chefsache machen". Er habe den Eindruck, dass in der Bundesregierung noch gar nicht angekommen sei, in welch schwieriger Lage sich Länder und Kommunen befänden. Dabei sei der Druck derzeit enorm, so Rhein. Neben der finanziellen Unterstützung seitens des Bundes müsse auch darüber gesprochen werden, wie die Zuwanderung besser gesteuert und auch begrenzt werden könne, so der CDU-Politiker.

"Ja, ich kann die Forderungen der Kommunen sehr gut nachvollziehen", Boris Rhein, Ministerpräsident Hessen, CDU, zu schnelleren Abschiebungen von Menschen ohne Bleiberecht

Bericht aus Berlin 18:00 Uhr

Viele Kommunen seien an der Belastungsgrenze, sagt auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. "Hier ist der Bundeskanzler persönlich gefragt." Konkret forderte der CSU-Politiker, dass der Bund mehr Geld gibt, sofort weitere Bundesliegenschaften überlassen werden, keine zusätzlichen Aufnahmeprogramme für Geflüchtete gestartet werden, die Geflüchteten innerhalb der EU gerecht verteilt werden und die angekündigte Rückführungsoffensive sofort umgesetzt wird.

Auch Landkreistagspräsident Reinhard Sager sagte, die Landkreise bräuchten dringend Unterstützung aus dem Kanzleramt. Nur der Bundeskanzler habe die übergreifende Kompetenz in "allen uns berührenden Fragen", so Sager. Er forderte "eine wirkungsvolle und direkte Unterstützung der Kommunen seitens des Bundes".

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, forderte im Deutschlandfunk Entscheidungen seitens der Bundesregierung. Man brauche einen "echten Masterplan", wie die Geflüchteten untergebracht, integriert und verteilt werden und wie das Ganze finanziert werden soll. "Wir sind viel zu sehr auf Sicht gefahren in der Vergangenheit", sagte Landsberg. Viele Kommunen seien an ihrer Belastungsgrenze. "Wir sind in einem Zustand, wo wir dringend Hilfe brauchen." Es müsse mehr Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen geben. "Und das heißt im Klartext: bauen, bauen, bauen", so Landsberg.

Was soll der Flüchtlingsgipfel bringen?

Der nächste Flüchtlingsgipfel soll am 16. Februar stattfinden, kündigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums an. Neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollen die Innenministerinnen und -minister der Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände teilnehmen.

"Wir haben uns zuletzt im November getroffen auf der Bundesebene - und ich werde jetzt noch mal zu einem Flüchtlingsgipfel einladen", sagte Faeser gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Es gehe darum, direkt mit den Kommunen zu schauen, was getan werden könne, so die SPD-Politikerin.

Bislang sei keine Teilnahme des Bundeskanzlers am Flüchtlingsgipfel geplant, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Der Bundeskanzler nehme das Thema aber sehr ernst. "Ich begrüße ganz ausdrücklich, dass die Bundesinnenministerin alle Verantwortlichen im Bund, in den Ländern und Kommunen schon bald zu einem erneuten Spitzengespräch über die anstehenden Herausforderungen zusammenbringt", sagte Scholz in seiner Regierungserklärung im Bundestag.

Geflüchtete unterzubringen und zu versorgen sei eine "große gesamtstaatliche Aufgabe" nicht nur für den Bund, sondern "ganz wesentlich" auch für Länder und Kommunen, sagte Vize-Regierungssprecher Büchner. Nicht in allen Bundesländern werde den Kommunen "bisher so geholfen, wie es auch von den Kommunen gefordert wird". Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, betonte: "Ich erwarte, dass die Länder die massive Unterstützung vom Bund eins zu eins an die Kommunen weitergegeben."

Wie positioniert sich die Bundesregierung?

In der "Bild am Sonntag" forderte Bundeskanzler Scholz zuletzt, dass abgelehnte Asylbewerber konsequent abgeschoben werden sollen. Es gehe darum, "sehr handfeste Abkommen mit Herkunftsländern zu schließen über die Rücknahme ihrer Bürgerinnen und Bürger, die nicht hier bleiben können", so der SPD-Politiker. Im Gegenzug eröffne Deutschland legale Wege für Fachkräfte.

Mit Blick auf den Messerangriff in einem Zug in Brokstedt erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann, Hürden bei der Abschiebung straffällig gewordener Ausländer müssten beseitigt werden. Bei einer Untersuchungshaft müssten die Ausländerbehörden über die Inhaftierung und eine Haftentlassung informiert werden, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Dem neuen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, zufolge will die Bundesregierung zudem prüfen, ob Asylverfahren nach Afrika verlegt werden können. "Dann würden auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden", sagte der FDP-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Das solle unter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschehen.

Die Überlegung, Asylzentren in Drittstaaten einzurichten, gibt es schon länger - auch auf EU-Ebene. Marokko, Algerien, Ägypten und Tunesien lehnen das ab, Libyen gilt als zu instabil. Stamp räumte ein, dass es sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf erfordere. "Es geht nicht um einen Schnellschuss, wie ihn der frühere britische Premier Boris Johnson mit Ruanda gemacht hat."

Welche Unterstützung gibt es für Länder und Kommunen bereits?

Beim Flüchtlingsgipfel im Oktober hatte Bundesinnenministerin Faeser zusätzliche Bundesimmobilien angeboten, um Geflüchtete unterzubringen. Bislang hat der Bund nach Informationen des Bundesinnenministeriums 330 Liegenschaften für Asylsuchende zur Verfügung gestellt. Insgesamt habe der Bund demnach Unterkünfte für 67.877 Menschen bereitgestellt, von denen aktuell 64 Prozent genutzt würden. Nach Angaben des Bundesbauministeriums gibt es bundesweit zudem 1,6 Millionen leerstehende Wohnungen - insbesondere in Ostdeutschland.

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November kündigte die Bundesregierung zusätzliche 1,5 Milliarden Euro an, um Geflüchtete zu versorgen. Davor hatte der Bund bereits zwei Milliarden Euro speziell für die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine zugesagt.

Für 2023 wurde vereinbart, dass der Bund 1,5 Milliarden Euro für die Ukraine-Flüchtlinge zahlt und zusätzlich eine jährliche Pauschale von 1,25 Milliarden Euro für Schutzsuchende aus anderen Ländern.

Wie viele Asylanträge wurden 2022 gestellt?

Seit 2016 sind nicht mehr so viele Asylgesuche bei deutschen Behörden eingegangen wie im vergangenen Jahr. Insgesamt 244.132 Asylanträge wurden 2022 in Deutschland gestellt, das sind gut 27 Prozent mehr als 2021. Der Großteil davon waren Erstanträge, nämlich insgesamt 217.774. Die meisten Erstanträge haben Menschen aus Syrien gestellt, danach kamen Asylsuchende aus Afghanistan, der Türkei und dem Irak.

Zum Vergleich: In den Jahren 2015 und 2016 sind insgesamt mehr als 1,2 Millionen Asylanträge in Deutschland gestellt worden. Seitdem waren es deutlich weniger.

Am 31. Januar 2023 waren außerdem 1.057.286 Menschen im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist sind. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums kann eine geringfügige Zahl davon bereits in andere EU-Staaten weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt sein.

Warum sind ukrainische Geflüchtete nicht in der Asylstatistik?

Die Flüchtenden aus der Ukraine müssen kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen wie Asylsuchende aus anderen Ländern. Sie haben EU-weit das Recht auf Sozialleistungen, medizinische Versorgung, Zugang zu Bildung und Wohnraum sowie eine Arbeitserlaubnis.

Möglich ist das durch eine EU-Richtlinie, die am 4. März 2022 aktiviert wurde. Sie gewährleistet vorübergehenden Schutz für mindestens ein Jahr für alle, die vor oder am 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten. Je nachdem, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt, kann der vorübergehende Schutz bis zu drei Jahre gelten.

Unabhängig davon können Geflüchtete aus der Ukraine auch einen Asylantrag stellen - in den allermeisten Fällen ist das aber nicht notwendig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Februar 2023 um 16:00 Uhr.