Spritzen mit Impfserum liegen in einer Praxis einer Hausärztin für die Booster-Impfung mit dem Comirnaty-Impfstoff des Herstellers BioNTech/Pfizer bereit (Archivbild).
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Impfschäden Angstmache mit Zahlen ohne Kontext

Stand: 18.01.2022 18:29 Uhr

Ob Anträge wegen Impfschäden oder Verdachtsfälle von Nebenwirkungen: Immer wieder werden Zahlen ohne Kontext genutzt, um gezielt Ängste vor Impfungen zu schüren. Die Muster tauchen international auf.

Seit Beginn der Corona-Impfkampagne sind bundesweit mehr als 1200 Anträge auf staatliche Versorgungsleistungen nach möglichen Impfschäden gestellt worden. Von den Anträgen wurden einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung" zufolge die wenigsten bisher entschieden - nämlich 54. Davon wurden 18 bewilligt. 30 Anträge wurden abgelehnt, drei zuständigkeitshalber abgegeben und einer aus sonstigen Gründen erledigt. Zu Einzelfällen und zur Schwere der Schäden oder der Höhe von Entschädigungen liegen keine Details vor.

Ein Impfschaden ist laut Infektionsschutzgesetz "die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung". Nicht darunter fallen häufig auftretende Reaktionen wie Kopfschmerzen, Schüttelfrost oder Fieber.

Absolute Zahl sagt wenig aus

Die Zahl der Anträge allein sagt allerdings wenig über die Sicherheit von Vakzinen aus. So tragisch einzelne Fälle mit schweren Nebenwirkungen oder Todesfällen sind: Erst in Relation zur Zahl der Impfungen insgesamt kann eine sinnvolle Risikoabschätzung erfolgen.

So kommen die bisher gut 1200 Anträge - die meisten noch ungeprüft - auf mehr als 155 Millionen Impfungen in Deutschland - rechnerisch also kommt ein Antrag auf mehr als 125.000 Impfungen.

Viele Ungeimpfte auf Intensivstationen

Diese Risikoabschätzung wird wiederum ins Verhältnis gesetzt zum Nutzen der Impfungen. Aktuelle Auswertungen zeigen: Die Minderheit der ungeimpften Menschen macht einen Großteil der Patienten auf den Intensivstationen aus.

Das für Impfstoffsicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut bilanzierte daher in seinem jüngsten Sicherheitsbericht: "Nach derzeitigem Kenntnisstand sind schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten und ändern nicht das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffe."

"Zehn bis 15 Prozent" werden bestätigt

Doch genau dieser Kontext wird ausgeblendet, wenn nur die absolute Zahl der Anträge genutzt wird, um Angst zu schüren. Dies war unter anderem in Österreich in den vergangenen Wochen zu beobachten. Dort stellten bis Ende 2021 laut ORF insgesamt fast 370 Personen einen Antrag auf Entschädigung, die meisten bezogen sich auf Corona-Impfungen. Unter den beklagten Schäden finden sich demnach harmlosere Fälle von Nebenwirkungen, aber auch das Auftreten von Herzmuskelentzündungen und Sinusvenenthrombosen.

Aus der Vergangenheit wisse man, dass etwa "zehn bis 15 Prozent" der Anträge, also etwa jeder zehnte, positiv erledigt werde, sagte Impfstoffexperte und Infektiologe Herwig Kollaritsch dem ORF. Zu bedenken sei, dass 350 Anträge - umgerechnet auf die vergebenen Corona-Impfungen - circa einen Antrag pro 50.000 Impfungen bedeute, betonte der Experte. In allen Fällen müsse nun mittels medizinischer Gutachten geprüft werden, wie wahrscheinlich es ist, dass die Impfung im jeweiligen konkreten Fall tatsächlich zu Nebenwirkungen geführt habe.

Impfskeptiker nutzen in sozialen Medien allerdings häufig nur die absolute Zahl der Anträge ohne jeden Kontext, um Angst vor Nebenwirkungen zu schüren.

Verdachtsfälle sind keine bestätigten Fälle

Ein ähnliches Muster wird bei möglichen Nebenwirkungen deutlich. So können entsprechende Verdachtsfälle gemeldet werden. Diese werden anschließend geprüft, um auch besonders seltene Nebenwirkungen erfassen zu können. Die bloße Anzahl von ungeprüften Verdachtsfällen sagt aber wenig über die Sicherheit der Impfstoffe aus. Dennoch werden solche ungeprüften Verdachtsfälle immer wieder instrumentalisiert. Mit irreführenden Angaben über angebliche Impftote wird ebenfalls versucht, die Impfung als gefährlich darzustellen.

Diese Muster sind international zu beobachten. In den USA vermeldete die Seite "WorldNetDaily's", die bereits mit irreführenden Berichten aufgefallen war, die Anzahl der ungeprüften Verdachtsfälle aus einer Datenbank - und behauptete, es handele sich dabei um bestätigte Schädigungen durch die Impfungen. Ein Faktencheck stufte diese Darstellung als falsch ein. In der Datenbank würden sämtliche gemeldeten Verdachtsfälle aufgeführt - unabhängig davon, ob diese plausibel seien. Zudem rufen Impfgegner auf verschiedenen Plattformen und Kanälen gezielt dazu auf, angebliche Nebenwirkungen zu melden.

"Ich kann mich impfen lassen und mein Hund wird von einem Auto angefahren", betonte Daniel Salmon, Direktor des Instituts für Impfstoffsicherheit an der Johns Hopkins University. "Ich kann das melden und es wird in der Datenbank auftauchen", so Salmon. "Das bedeutet aber nicht, dass die Impfung die Ursache dafür ist, dass mein Hund angefahren wurde."

Dementsprechend müssen die gemeldeten Verdachtsfälle erst geprüft werden, um Risiken seriös einschätzen zu können.