
Peruanische Goldgräberstadt Stadt der Glücksritter und Verzweifelten
Stand: 05.05.2019 05:19 Uhr
Zehntausende illegale Bergleute schürfen in der peruanischen Stadt La Rinconada nach Gold. Manche haben Glück, die meisten nicht. Ein Besuch in einem trostlosen Ort auf 5000 Metern Höhe.
Von Matthias Ebert, ARD-Studio Rio De Janeiro
Das Bild dieser alten Frau geht einem nicht aus dem Kopf. Sie steht gebückt in La Rinconadas dreckiger Hauptstraße auf gut 5000 Metern Höhe in einem Rinnsal aus Gletscherwasser und Urin. Sie sucht im Gestein mit bloßen Händen nach Goldrückständen.
Fragen möchte sie nicht beantworten. Doch ihr Blick zeigt: Auch sie hat längst das Goldfieber gepackt. Es ist wohl der einzige Grund dafür, warum die Bevölkerungszahl des einstigen Anden-Dörfchens La Rinconada in den vergangenen 20 Jahren auf mehr als 50.000 explodiert ist.
So viel sie tragen können
Eintönig grau ist das Felsgestein unterhalb des Gletschers, durchbrochen nur von zahlreichen schwarzen Löchern - den Eingängen zu den Stollen der Minenbesitzer, die in La Rinconada das Sagen haben. Drinnen lösen die Kumpel mit Dynamit ganze Blöcke vom Felsen ab.
Einen ganzen Monat lang arbeiten sie ohne Lohn, um danach einen bis maximal drei Tage lang so viel des Gesteins für sich selbst zu holen, wie sie tragen können. Manchmal verbergen sich ganze Goldklümpchen darin, manchmal kaum etwas Verwertbares.
Peru: Goldminen auf 5100 Metern
Weltspiegel, 03.05.2019, Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro
Stapelweise Müll
Es ist dieses alte Prinzip der Entlohnung, das bis heute Glücksritter aus ganz Peru nach La Rinconada ziehen lässt. Keine der Minen ist legal, Steuern zahlen die Minenbesitzer keine. Der peruanische Staat ist in diesem rasant gewucherten Ort quasi nicht existent.
Dazu kommt die Verunreinigung des Grundwassers durch das giftige Quecksilber, das benötigt wird, um die Goldpartikel aus dem Stein zu lösen. Praktisch allgegenwärtig sind die Wechselstuben, deren Wechselkurse gar nicht hoch genug sein können, um die Gier der Minenarbeiter zu befriedigen.
Von hier aus, so sagen sie, bringen peruanische Kuriere das Gold vor allem nach Europa. Meist in die Schweiz - denn dort erziele man die besten Erlöse mit dem Edelmetall aus Perus wildem Westen. Eine funktionierende Stadtverwaltung haben die - zumeist männlichen - Minenarbeiter in La Rinconada offenbar nicht für wichtig erachtet. Vor dem Ortseingang stapelt sich der Müll - kilometerlang.
Es stinkt bestialisch. Auch existiert weder eine Kanalisation noch eine minimale Infrastruktur. Jeder scheint sich hier oben lediglich das zu holen, weswegen er hergekommen ist, um sich damit irgendwann weiter unten den eigenen Traum vom Glück zu erfüllen.
Viele schaffen den Absprung nicht
Fortunato Chuque wollte eigentlich nur für kurze Zeit in La Rinconada bleiben. Mittlerweile sind es jedoch schon 25 Jahre geworden. In dieser Zeit konnte sich Fortunato ein Haus weiter unten am Titicaca-See kaufen, wo seine Frau und Kinder leben. Sobald er in La Rinconada seine enge Wellblechhütte mit dem silbernen Dach verkauft hat, will er sich zur Ruhe setzen.
Viele andere der Kumpel schaffen den Absprung nicht. Sie bleiben in den Bars und Bordellen hängen, deren Leuchtreklame La Rinconada nachts in buntes Licht taucht. Noch im Arbeitsoverall bekleidet, werden die Mühen von unter Tage mit Schnaps und Bier heruntergespült. Das kollektive Besäufnis zu filmen, ist kaum möglich. Immer wieder drohen sie, mit Felsbrocken zu werfen. Sogar Lynchmorde soll es bereits gegeben haben, wenn Streits nachts eskalieren.
Fortunato Chuque hofft, dass er noch ein paar Jahre seines Ruhestands genießen kann. Schließlich würden Bergleute wie er im Durchschnitt bereits mit 59 Jahren sterben - 16 Jahre eher als im Rest Perus. Häufigste Todesursache: Staublunge. Außerdem setzt die dünne Luft den Männern zu.
Auf 5000 Meter beträgt der Sauerstoffgehalt weniger als die Hälfte als auf Meereshöhe. Eigentlich eine lebensfeindliche Umgebung. Deshalb ist es wohl kaum denkbar, dass es die höchste Stadt der Welt, La Rinconada, geben würde - ohne das Gold und die Gier der Menschen danach.
Über dieses und weitere Themen berichtet der Weltspiegel am Sonntag um 19:20 Uhr.
Aus dem Archiv
Weitere Meldungen aus dem Archiv vom 05.05.2019 und vom 04.05.2019
- Alle Meldungen vom 05.05.2019 zeigen
- Alle Meldungen vom 04.05.2019 zeigen