
Pressefreiheit in der Türkei Kontrolle mit Notwendigkeit?
In keinem anderen Land sitzen so viele Journalisten in Haft wie in der Türkei, kritisieren die "Reporter ohne Grenzen". Karin Senz hat mit türkischen Journalistinnen gesprochen - und ist auf gegensätzliche Sichtweisen gestoßen.
Die Locken fallen der jungen türkischen Journalistin Elif Akgül immer wieder ins Gesicht. Sie streicht sie mit der Hand zurück, zwischen den Fingern klemmt eine Zigarette.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir den ersten Platz belegen, wenn es um inhaftierte Journalisten geht. Im Moment sind mehr als 150 Journalisten in türkischen Gefängnissen - da zählen auch Medienmitarbeiter und Mitglieder aus der Geschäftsführung dazu", sagt Akgül. Sie schreibt für das regierungskritische Nachrichtenportal "Bianet".
Medien in den Händen von "Terrororganisationen"
Auch Meryem Atlas ist eine junge Journalistin in Istanbul. Sie arbeitet als Kolumnistin und Managerin für die "Daily Sabah", einer sehr regierungsnahen Zeitung. "Manche türkischen Medien sind in letzter Zeit in die Hände der Gülen-Bewegung gefallen, einer Terrororganisation. Darum wurden sie von der Regierung geschlossen und zu gesetzteswidrigen Organisationen erklärt", sagt sie.
Das Büro von Meryem Atlas befindet sich in einem großen modernen Medienhaus in Istanbul. Sie trägt Kopftuch und eine dicke weite Jacke, obwohl es draußen 25 Grad Celsius hat. Damit sticht sie auch unter ihren Mitarbeitern heraus. Viele der Frauen im Großraumbüro tragen ausgeschnittene T-Shirts und enge Hosen.
"Vorschriften in der Berichterstattung gibt es überall"
Atlas hat im Ausland studiert, unter anderem in London. Sie ist sehr resolut und klar in ihrer Haltung. Ihrer Meinung nach geben alle Medienhäuser eine Linie bei der Berichterstattung vor, nicht nur türkische: "Da können Sie von der 'New York Times' bis zum 'Economist' gehen. Manche Vorschriften sind technischer Natur, manche politisch." Ihr Job als Managerin sei es, den Mitarbeitern Aufträge zu geben - etwa mit wem Interviews geführt werden sollen.
Es erstaunt mich schon. Wenn es um die BBC, CNN oder die 'New York Times' geht, wird das professionell genannt. Bei uns ist sofort von Unterdrückung die Rede.
Außerdem gebe es durchaus kritische Zeitungen. Atlas zieht drei von einem Stapel auf ihrem Schreibtisch. Auf einer ist Meral Aksener auf der Titelseite, die Spitzenkandidatin der neuen "Iyi Parti", die bei den Wahlen im Juni gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan antritt. "In der ganzen Zeitung wird die iyi Parti unterstützt. Erdogan taucht nicht einmal auf", betont Atlas.
Journalisten wechseln zum Internet
Auch die "Cumhuriyet" liegt auf dem Stapel, für viele die einzig wirklich regierungskritische Zeitung in der Türkei, die noch übrig ist. Dafür hat die Bedeutung der Nachrichtenportale im Internet in letzter Zeit deutlich zugelegt. Viele kritische Zeitungs- oder Fernsehjournalisten schreiben jetzt online.
Die unabhängige Journalistin Elif Akgül meint: "Wir haben Glück, weil unsere Regierung einfach nicht weiß, wie das Internet funktioniert." So ganz ernst meint sie das wohl nicht. Denn immer wieder werden auch Nachrichtenportale gesperrt.
Die restriktive Medienpolitik der türkischen Regierung scheint auch nicht der Idealvorstellung von Meryem Atlas von der regierungsnahen "Daily Sabah" zu entsprechen:
Extreme Zeiten machen es Regierungen leichter, extreme Maßnahmen zu ergreifen. Aber unter diesen extremen Maßnahmen kann man nicht von einer offenen Gesellschaft oder ähnlichem sprechen.
Es lässt sich sicher noch was in Sachen Pressefreiheit in der Türkei verbessern, stimmt sie zu. Konkreter wird sie allerdings nicht.