Miriam Lexmann

EU-Parlament Als "Geisterabgeordnete" in Brüssel

Stand: 31.08.2019 20:55 Uhr

Die Slowakin Miriam Lexmann ist eine von 27 sogenannten Geisterabgeordneten. Sie ziehen erst dann ins EU-Parlament ein, wenn der Brexit vollzogen ist. Für viele heißt das: Warten - ohne Job und ohne Bezahlung.

Von Katharina von Tschurtschenthaler, ARD-Studio Brüssel

Ihr Fall wird schon das "Lexmann-Paradox" genannt. Die Slowakin Miriam Lexmann sollte eigentlich gerade dabei sein, ihr Abgeordneten-Büro in Brüssel einzurichten, Assistenten zu engagieren, sich in Sitzungsabläufe einzuarbeiten. Stattdessen reist die 45-Jährige mit leeren Koffern von Bratislava in die EU-Hauptstadt - um dort ihre Sachen zu packen und sie anschließend in ihre Heimatstadt zurückzubringen.

Dabei hat Lexmann bei den EU-Wahlen Ende Mai einen Sitz im Europaparlament ergattert. Wäre der Brexit bis dahin abgeschlossen gewesen, könnte sie ihr Amt bereits ausführen. Doch weil sich das Datum für den Austritt Großbritanniens immer wieder verschiebt, ist Lexmanns Zukunft ungewiss.

"Ich befinde mich in der misslichen Lage, dass der Brexit mir Gerechtigkeit verschaffen würde", sagt Lexmann. "Doch ich war immer eine strikte Gegnerin des Brexits. Wie kann ich jetzt auf einmal dafür sein?"

Für 73 britische Abgeordneten rücken 27 Politiker nach

Lexmann ist nicht die einzige, die sich offen gegen den Austritt Großbritanniens ausspricht, obwohl sie vom Brexit persönlich profitiert. So wie ihr geht es weiteren 26 sogenannten Geisterabgeordneten aus mehreren EU-Staaten.

Dass für die 73 britischen Abgeordneten nur 27 Politiker nachrücken, liegt daran, dass das Parlament verschlankt wird: von 751 Mitgliedern auf 705. Spanien und Frankreich bekommen jeweils fünf zusätzliche Sitze, Italien und Irland drei. Neun Staaten - darunter kleine, unterrepräsentierte wie die Slowakei - dürfen jeweils einen weiteren Volksvertreter nach Brüssel und Straßburg schicken.

Weder Job noch wirkliches Mandat

Die Christdemokratin Lexmann trat bei der EU-Wahl für die Demokratische und Christliche Union (KDH) an. Für den Wahlkampf Anfang des Jahres hatte sie sich von ihrem Brüsseler Job beim "International Republican Institute" - einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation - freistellen lassen. Unbezahlt.

In ihren Job, in dem sie sich um Demokratieförderung gekümmert hatte, würde sie jetzt gerne wieder zurückkehren. Schließlich steht ihr als wartende Nachrückerin keine Abgeordneten-Diät zu. Doch zurück darf sie nicht: "Für die Slowakei bin ich eine gewählte Abgeordnete. Und wenn ich gleichzeitig für eine NGO arbeite, besteht das Risiko eines Interessenkonflikts, da ich ja nun Politikerin bin - wenn auch ohne Mandat."

Zugang zum Parlament verweigert

Deshalb hat sich Lexmann mit ihrem Arbeitgeber geeinigt, die Zusammenarbeit vorerst zu beenden. Abgeben muss sie auch ihre braune Zugangskarte, die ihr als Lobbyistin erlaubte, das Europäische Parlament zu betreten. "Es ist ein komisches Gefühl. Jahrelang durfte ich rein, zuerst als Diplomatin, dann für mein Institut. Und jetzt muss mich jemand am Eingang abholen", sagt Lexmann. Erst wenn sie ins Parlament offiziell einziehen darf, bekommt sie die blaue Zugangskarte für Abgeordnete.

Weil ihr derzeit sämtliche Türen in Brüssel verschlossen bleiben, hat die Slowakin beschlossen, vorerst wieder nach Bratislava zurückzukehren - und abzuwarten. Ihre Wohnung in Brüssel vermietet sie unter, um Kosten zu sparen, denn "wer weiß schon, ob der Brexit wirklich kommen wird".

Vorbereitung auf Zeit als Abgeordnete

Obwohl ihr politisch die Hände gebunden sind, versucht Lexmann, politisch zu bleiben: Sie hält den Kontakt zu ihren Wählern, reist durch ihr Heimatland, arbeitet an politischen Aufsätzen und bereitet sich auf ihre Zeit als Abgeordnete vor.

Dass sie aber weder mit am Tisch im Plenarsaal sitzen kann, noch abstimmen darf, sei frustrierend. Auch über den endgültigen Brexit-Vertrag darf sie nicht mitentscheiden - anders als die 73 britischen Abgeordneten.

Trotzdem: Dieses Europa bleibt für Lexmann die einzige Lösung. "Demokratie ist manchmal langsam, manchmal zu kompliziert. Aber es ist besser als ein totalitäres System. Ich bin während des Kommunismus geboren, ich habe gesehen, was es bedeutet, in einem Regime zu leben." 

Diesen und weitere Beiträge sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Europamagazin in der ARD am 01. September 2019 um 12:45 Uhr.