Das Wrack der Passagiermaschine der Malaysia Airlines, das über der Ukraine am 17. Juli 2014 abgestürzt ist.

Prozess um MH17-Absturz Hoffen auf Gerechtigkeit

Stand: 09.03.2020 00:02 Uhr

Heute beginnt der Prozess zur Aufklärung des Abschusses von Flug MH17, bei dem 298 Menschen starben. Angeklagt sind drei Russen und ein Ukrainer, die allerdings nicht anwesend sein werden.

Der Flughafen Amsterdam Schiphol ist mit 71 Millionen Fluggästen pro Jahr der drittgrößte in Europa. Im Minutentakt steigen Maschinen in den Himmel. Am 17. Juli 2014 startete hier Flug MH17 der Malaysian Airlines mit Ziel Kuala Lumpur. An Bord 283 Passagiere, überwiegend auf dem Weg in den Urlaub, und 15 malaysische Besatzungsmitglieder. Doch knapp drei Stunden nach dem Start wurde die Maschine in 11.000 Metern Höhe über dem Konfliktgebiet im Osten der Ukraine abgeschossen.

Ein 350-köpfiges Ermittlerteam mit Experten aus den Niederlanden, Australien, Belgien, Malaysia sowie aus der Ukraine rekonstruierte den Ablauf des Abschusses. "Wir haben Zeugen und Experten gesucht und befragt, wir haben Radar- und Satellitenbilder analysiert, wir haben große Mengen Telekommunikationsprotokolle und Mitschnitte überprüft und viele Daten ausgewertet, um sicher zu sein", erklärt der Chef der niederländischen Kriminalpolizei, Wilbert Paulissen, die umfangreichen Untersuchungen, die jetzt zum Prozess führen.

Für den Prozess wurden Gesetze geändert

Der Strafprozess findet in einem extra gesicherten Saal statt. Zuständig ist das Bezirksgericht Den Haag - weil die meisten der Opfer Niederländer waren. Im Vorfeld wurden extra Gesetze geändert, um beispielsweise die Befragung von Zeugen via Videoschalte zu ermöglichen und Aussagen in englischer Sprache zuzulassen. Gerichtssprache bleibt niederländisch.

Angeklagt sind vier Männer: Sie sollen den Abschuss des Flugzeugs ermöglicht haben. Den Russen Igor Girkin, Sergej Dubinski und Oleg Pulatow sowie dem Ukrainer Leonid Chartschenko wird vorgeworfen, dazu eine Buk-Rakete sowjetischer Bauart in die Ostukraine gebracht zu haben. Die vier Verdächtigen "arbeiteten eng zusammen, um die Buk-Rakete zu beschaffen und sie mit dem Ziel aufzustellen, ein Flugzeug abzuschießen", erklärte die niederländische Staatsanwaltschaft.

Das Prozessgebäude am Amsterdamer Flughafen Schiphol

Der Strafprozess beginnt in einem extra gesicherten Gebäude am Amsterdamer Flughafen Schiphol. Für die mehr als 400 Journalisten, die den Prozess verfolgen, wurde eigens ein Medienzentrum gebaut.

Angeklagten werden nicht ausgeliefert

Ihnen wird 298-facher Mord vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch drohen den Männern zwischen 30 Jahren und lebenslanger Haft sowie Geldstrafen von bis zu 87.000 Euro. Allerdings wird keiner von ihnen beim Prozess anwesend sein: Alle vier Angeklagten weisen jede Schuld von sich, und Russland hat kein Auslieferungsabkommen mit der Europäischen Union.

Die EU begrüßt den Prozessauftakt und hat Russland erneut zur Zusammenarbeit mit den Ermittlern aufgerufen. Der Start des Prozesses sei ein Meilenstein, um die Wahrheit herauszufinden, Gerechtigkeit für Opfer und Angehörige zu erlangen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, erklärte etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen aller 27 EU-Staaten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich ähnlich. Es sei essenziell, die Wahrheit herauszufinden und so für Gerechtigkeit zu sorgen.

Angehörige erhoffen Klarheit

Für viele Angehörige der Opfer sei es ein wichtiger Moment, sagt Piet Ploeg, der einen der Opferverbände leitet. Er selbst hat durch den Abschuss seinen Bruder Alex, seine Schwägerin und seinen Neffen Robert verloren. "Wir werden hören, was passiert ist, warum es passiert ist und welche Rolle der russische Staat gespielt hat", hofft er.

Auch Hans de Borst ist erleichtert, dass der Prozess jetzt beginnt. Seine damals 17 Jahre alte Tochter Elsemiek war an Bord der Maschine. Dass die mutmaßlichen Täter jetzt Namen und Gesichter bekommen, sei für ihn und viele andere Angehörige eine Erleichterung: "Ich bin tatsächlich zufrieden. Fünf Jahre hat die Suche nach der Wahrheit gedauert. Das ist jetzt ein erster Schritt Richtung Gerechtigkeit. Und das tut mir sehr gut", lächelt er tapfer.

Die aus Trümmern wieder zusammen gesetzte Boeing 777 der Malaysia Airlines, die als Flug MH17 über der Ukraine abgeschossen wurde.

Die Ermittler setzten aus den gefundenen Trümmerteilen die abgeschossene Boeing 777 wieder zusammen.

Die Angehörigen der Todesopfer können den Prozess gemeinsam in einem separaten Gerichtssaal des Hochsicherheitsgerichts per Livestream verfolgen. Krisenpsychologen stehen bereit, falls die Situation zu belastend werden sollte. Das Medieninteresse ist riesig: Mehr als 400 Journalisten aus aller Welt haben sich angemeldet. Für sie wurde eigens ein Medienzentrum gebaut.

Russland streitet Verantwortung ab

Russland betonte vergangene Woche noch einmal seine Zweifel an den Ermittlungen. Die russische Regierung steht international in der Kritik, mit seiner Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine den Abschuss verursacht zu haben.

Die niederländischen Richter werden am Ende des Verfahrens entscheiden müssen, ob die Beweisführung der Staatsanwaltschaft stichhaltig ist. Für die erste Prozessphase sind drei Wochen angesetzt.

Martha Wilczynski, Martha Wilczynski, ARD Moskau, 09.03.2020 06:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 09. März 2020 um 06:06 Uhr.