
Missbrauch in der Kirche Der tiefe Fall des Kardinal Pell
Er stand auf der Vatikan-Hierarchie auf Platz drei: Der australische Kardinal Pell ist einer der mächtigsten Würdenträger der katholischen Kirche, der nun des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden worden ist.
Einfühlungsvermögen hört sich anders an: Noch vor zwei Jahren sagte Kardinal George Pell per Video vor der Royal Commission aus, der königlichen Kommission von Australien, die Kindesmissbrauch in religiösen Einrichtungen untersucht. Als es um einen bestimmten pädophilen Priester und seine Verbrechen ging, sagte Pell nur: "Es ist eine traurige Geschichte, die mich nicht sehr interessierte."
Das Publikum war hörbar schockiert. Pell fügte nur hinzu: "Das Leiden war echt und ich bedaure das sehr, aber es gab für mich keinen Grund, mich mit dem Ausmaß der Verbrechen dieses Mannes zu beschäftigen."
Schuldspruch erging bereits im Dezember
Diese Gleichgültigkeit kann er jetzt nicht mehr an den Tag legen: Pell selbst ist des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden worden. Er soll als Erzbischof von Melbourne im Jahr 1996 zwei Chorknaben in einem Hinterraum der St. Patricks Kathedrale gezwungen haben, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Pell hatte das immer vehement bestritten.
Der Schuldspruch erging schon Mitte Dezember des vergangenen Jahres, aber wegen einer Nachrichtensperre durfte er bisher nicht bekannt gemacht werden. Diese Nachrichtensperre aber wurde nun aufgehoben. Der Schuldspruch wurde damit öffentlich. Pell verließ das Gericht in Melbourne. Er kämpfte sich durch eine wütende Menge.
Berüchtigt für das Vertuschen
In den vergangenen Jahren hat Australien sich an die Aufarbeitung gemacht - 2013 war eine Kommission eingesetzt worden, nachdem besonders schwere Missbrauchsfälle bekannt geworden waren: es gab mehr als 2500 Beschuldigungen, 230 Mal wurde Anklage erhoben, 60.000 Überlebende können Anspruch auf Entschädigung erheben. Hinter denen verbergen sich aber immer fürchterliche Einzelschicksale, von denen die Kirche viele deckte - die Heimatgemeinde von George Pell, Ballarat im Bundesstaat Victoria, war berüchtigt für das Vertuschen.
Daher die immense Wut vieler Betroffener wie beispielsweise von Michael, der selbst ein Opfer von Kindesmissbrauch wurde: "Er alleine ist verantwortlich für den Schaden durch Kindesmissbrauch, für den Missbrauch von tausend und abertausend Menschen in ganz Victoria."

Kardinal Pell bezeichnet sich weiter als unschuldig - und will in Berufung gehen. Bild: AP
Bis zu 50 Jahre Gefängnis
Nach den Untersuchungen der Royal Commission hatten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren beispielsweise in einem Orden fast die Hälfte der Kirchenvertreter an Kindern vergangen. Viele der Missbrauchsopfer in Australien haben diese Scham nicht überlebt; unzählige haben angefangen zu trinken, wurden arbeitslos, wurden einsam, weil sie unfähig waren, soziale Bindungen und Pflichten aufrechtzuerhalten, viele brachten sich um - denn viele begegneten den Tätern immer wieder.
Einer der Jungen, um die es in dem Verfahren gegen Kardinal Pell ging, ist 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Sein Vater sagte nach dem Schuldspruch, Pell habe Blut an seinen Händen - und er wolle ihn verklagen.
Zunächst aber muss das jetzige Verfahren beendet sein: Über das Strafmaß wird ab Mittwoch beraten. Pell, als Verantwortlicher für die Finanzen des Vatikans die inoffizielle Nummer drei in der Hierarchie der katholischen Kirche, könnte zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt werden.