Ein ukrainischer Soldat an der Front

Ukraine nach zwei Jahren Krieg Es mangelt an Munition und Perspektiven

Stand: 14.02.2024 10:37 Uhr

Vor einem Jahr stand die Ukraine bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Fokus, dieses Jahr muss sie um Aufmerksamkeit ringen. Es fehlt an Erfolgen, Soldaten, Munition - und Unterstützung.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

Die Ukrainer sprechen nicht mehr so oft von einem Sieg. Das stellte der ukrainische Präsident jüngst auch in einer seiner Videoansprachen fest. Die gescheiterte Sommeroffensive der Ukraine habe sich negativ auf die Stimmung im Land ausgewirkt, konstatierte Wolodymyr Selenskyj.

Er begründete damit unter anderem die Absetzung seines Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj. Eine neue militärische Führungsspitze soll nun die vielfältigen Probleme der ukrainischen Armee lösen. Die größten Probleme aber kann die Ukraine nicht eigenständig lösen. Sie liegen in Brüssel und Washington und heißen Donald Trump und 155-Millimeter Artilleriemunition.

Ukraine muss um Aufmerksamkeit ringen

Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz wurde schon vor einem Jahr über das Thema Munitionsproduktion für die Ukraine diskutiert. Schon damals war das Unverständnis in Expertenkreisen groß. Schon damals hieß es, Produktionskapazitäten müssten dringend ausgebaut werden. Der politische Wille aber fehle, kritisierten Sicherheitsexperten unisono. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem die EU eine Millionen Artilleriegranaten angekündigt und dann nicht geliefert hat.

Die militärische Unterstützung der Amerikaner steckt seit Monaten fest. In Washington ist die Ukraine inzwischen zum innenpolitischen Streitobjekt verkommen. Stand das Land vor einem Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch im Fokus, muss die Ukraine heute mehr denn je um Aufmerksamkeit, Geld und Waffen ringen. An der Front hat sich dadurch ein verheerender Munitionsmangel entwickelt.

Selbst für Minimalverteidigung kaum Munition

Unterstützer der Ukraine in Europa fordern nun, die Munitionslieferungen in Drittländer zu stoppen, zusätzliche Munition von Partnerländern zu kaufen und sich vorzubereiten, sollten die USA als Unterstützer auch in Zukunft wegfallen.

Sollten alle angekündigten Lieferungen tatsächlich eintreffen, rechnen der Militärexperte Gustav Gressel und der Datenanalyst Marcus Welsch dennoch in den ersten Monaten dieses Jahres mit einem akuten Munitionsmangel selbst für die "minimale Verteidigung", berichtet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung".

Die Ukraine versucht dem Mangel mit FPV-Drohnen zu begegnen. Experten aber streiten darüber, ob Artilleriefeuer durch die kleinen, billigen Drohnen ersetzt werden kann. An der Front in der Ostukraine stemmen sich die Soldaten derweil gegen die russische Übermacht. Sie haben nicht nur wenig Material, sondern auch weit weniger Menschen zur Verfügung. Seit Monaten klagen sie öffentlich über Müdigkeit und bitten um Ablöse.

Perspektivlosigkeit macht sich breit

In Kiew aber ist teilweise wieder Alltag eingekehrt. Die Innenpolitik ist zurück, seit Monaten wird über ein neues Mobilisierungsgesetz gestritten. Aktuell wird ein Inkrafttreten erst im April erwartet. Viele Männer haben Angst, einige verstecken sich. Die Zeit der langen Schlangen vor den Einberufungsämtern gehört der Vergangenheit an. Erschöpfung und Perspektivlosigkeit macht sich breit.

19 Prozent sind nach einer Umfrage aus dem Dezember bereit, Gebiete abzutreten, wenn es dafür eine reale Chance auf Frieden gäbe. Die gibt es aber zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Russland wolle einen Waffenstillstand, um seine Ressourcen wieder aufzufüllen, meint Ihor Schowkwa, stellvertretender Leiter des ukrainischen Präsidialamtes. "Dann führen sie ihre Aggression gegen die Ukraine fort", ist der Außenpolitiker überzeugt.

"Niemand will bis zum letzten Soldaten kämpfen"

Derweil denkt Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und langjähriger Berater der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, im deutschen Fernsehen laut darüber nach, ein Ende in diesem Krieg finden zu müssen. So etwas wie Minsk werde dabei herauskommen, meint Heusgen mit Bezug auf zwei schwache Abkommen aus den Jahren 2014 bzw. 2015, die nie umgesetzt und vor allem von Russland dutzende Male gebrochen wurden. Wiederholt der Westen seine Fehler der Vergangenheit?

"Es wird kein Minsk III geben. Niemals", sagt Schwowka. "Wissen Sie, wie viele Verhandlungsrunden es für die Minsker Abkommen gab? 185 Runden, die zu dem geführt haben, was wir jetzt haben." Die Abkommen aber hätten der Ukraine Zeit gegeben, um stärker zu werden, meint ausgerechnet der für seine Emotionen bekannte ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. "Niemand in der Ukraine will diesen Krieg bis zum letzten Soldaten kämpfen", sagte Melnyk Anfang des Monats gegenüber ntv.

"Planlosigkeit der westlichen Partner"

Der Druck auf die Ukraine steigt und macht Daria Kalenjuk Sorgen. Normalerweise kämpft Kalenjuk in Kiew gegen Korruption. Seit zwei Jahren aber betreibt sie Lobbyarbeit im Westen für einen ukrainischen Sieg. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Kalenjuk wirft den westlichen Partnerländern Planlosigkeit vor.

"Die Biden-Administration hatte keinen Plan B, sollte die Ukraine nicht nach drei Tagen untergehen", sagt sie. "Und jetzt hat sie auch keinen Plan. Die Ukraine soll nicht verlieren, Russland aber auch nicht." Die Bundesregierung würde sich an den amerikanischen Partnern orientieren und sei zu vorsichtig, meint Kalenjuk.

Verhandlungen über Sicherheitsgarantien

Vor der Münchner Sicherheitskonferenz - die am Freitag beginnt - soll der ukrainische Präsident Frankreich und Deutschland besuchen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Mit beiden Ländern verhandelt die Ukraine gerade über Sicherheitsvereinbarungen. Echten Schutz aber bietet nur eine NATO-Mitgliedschaft. "Aber bevor wir dieses Ziel erreichen, brauchen wir ein System aus Sicherheitsabkommen", sagt Schowkwa, der die Vereinbarungen mit den G7-Staaten für die Ukraine verhandelt.

Kritiker halten das bereits unterzeichnete Abkommen mit Großbritannien jedoch für schwach. Echten Schutz biete es nicht, heißt es. Es schreibe lediglich den Umfang der bisherigen Unterstützung fest. Und die hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder als zu wenig und zu langsam erwiesen.

Angst vor Verhandlungen

Um zu verhindern, dass sie unter massivem Druck an den Verhandlungstisch gedrängt wird, setzt die Ukraine auf einen Friedensgipfel, der bald in der Schweiz stattfinden soll - vorerst ohne Russland. "Russland bricht jeden einzelnen Punkt der Friedensformel des ukrainischen Präsidenten", sagt Schowka vom ukrainischen Präsidialamt. Gemeinsam mit dem Westen und den Ländern des globalen Südens müsse daher Druck auf Russland ausgeübt werden. Russland aber ist weit von internationaler Isolation entfernt.

Kalenjuk hat Angst, dass die Ukraine den Krieg verliert und warnt vor zunehmenden internen Spannungen in der Bevölkerung. Die Optimisten in Kiew und den westlichen Hauptstädten aber meinen, die Ukraine müsse nur "irgendwie" dieses Jahr überleben. Wie, das sagen sie nicht. Russlands Präsident Wladimir Putin gibt unterdessen offen zu, seine Kriegsziele in der Ukraine noch nicht erreicht zu haben.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 14.02.2024 10:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Februar 2024 um 10:41 Uhr.