Ein ukrainischer Soldat sitzt in einem Unterschlupf

Krieg gegen die Ukraine Warten auf die Munition

Stand: 02.02.2024 18:50 Uhr

Die Ukraine gerät im russischen Angriffskrieg immer mehr unter Druck. Das Problem: Es fehlt Munition. An der Front hat das bereits deutliche Auswirkungen - die Kräfteverhältnisse verschieben sich.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

Direktorin Swetlana Perepadya führt durch die Behandlungsräume. Zahnarzt, Hals-Nasen-Ohrenarzt, Gynäkologie: Die Poliklinik in dem kleinen Dorf Schewtschenkowe in der Ostukraine ist erstaunlich gut ausgerüstet. Sie sei nicht nur für das kleine Örtchen wichtig, sondern für die gesamte Region, erklärt Perepadya.

"Zu uns kommen Patienten aus Dworitschna, das schon nicht mehr existiert, aus Kupjansk, aus Isjum und benachbarten Bezirken, um behandelt zu werden. Wir versorgen sie, so gut es geht im Rahmen unserer Möglichkeiten."

Perepadya und ihr Ärzteteam haben während der russischen Besatzung weitergearbeitet. Heute behandeln sie Zivilisten aus den Frontgebieten und ukrainische Soldaten.

Aber die geraten an der Front immer mehr unter Druck. Das Problem: Es fehle Artilleriemunition, erklärt der ukrainische Militärexperte Andrij Kamarow. "Wir haben eine ziemlich schwierige Situation. Wenn wir sparsam sind, kann die Munition noch etwa anderthalb Monate ausreichen", sagt er. Die Russen hätten schon erhebliche Kräfte in kritische Bereiche der Front gebracht und in diesen Bereichen mit der Aufklärung begonnen. "In Awdjiwka, der Region Kupjansk oder Lyman. Der Feind kann bald anfangen, sehr stark zu drücken, und dann wird es kritisch."

"Nie wieder unter russische Besatzung"

Die Klinik von Perepadya liegt nur etwa 30 Kilometer entfernt von Kupjansk. Wegen der Frontnähe hätten viele Menschen die Region verlassen. Auch aus dem Ärzteteam seien viele nach Charkiw oder in die Westukraine gegangen, erzählt sie.

Gynäkologin Tatjana Holdun erinnert sich nur ungern an die Zeit unter russischer Besatzung. Sie hofft, dass die ukrainische Armee die russischen Truppen aufhalten kann. "Ich habe große Angst, sie noch einmal wiederzusehen. Eine weitere Besatzung überlebe ich nicht. Wir haben alle Angst und hoffen, dass unsere Armee uns beschützt und rettet. Nie wieder will ich unter russische Besatzung."

Auswirkungen an der Front bereits spürbar

Doch im Abnutzungskrieg haben die russischen Truppen einen Vorteil. Russland hat viel in die Verteidigung investiert und seine Produktionskapazitäten vor langer Zeit erhöht. Und es werde offenbar zuverlässig mit Artilleriemunition beliefert, unter anderem aus Nordkorea, kritisiert der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.

Die Auswirkungen zeigten sich mittlerweile deutlich an der Front, sagt der amerikanische Militäranalyst Michael Kofman. "Russland hat die Initiative entlang des größten Teils der Frontlinie und einen erheblichen Feuervorteil. Die Ukraine braucht aus meiner Sicht etwa 3.000 Schuss Artillerie pro Tag, hat aber wahrscheinlich nicht mehr als 2.000. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass die US-Hilfe im Moment auf Sparflamme läuft."

Verzögerte Hilfe aus den USA und der EU

Im US-Kongress werden weitere Ukrainehilfen seit Wochen blockiert. Aber auch die EU konnte ihr Versprechen bisher nicht einlösen. Eine Million Artilleriegranaten wollte man für die Ukraine produzieren. Pünktlich kommt aber wohl nur etwas mehr als die Hälfte.

Russland hingegen ist immer wieder in der Lage, selbst massive Verluste auszugleichen und den Abnutzungskrieg weiter zu führen.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 02.02.2024 17:03 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 02. Februar 2024 um 06:12 Uhr.