Ein durch einen russisches Angriff zerstörtes Wärmekraftwerk (Aufnahme vom 12. April 2024)

Abwehr von russischen Angriffen "Zerstört, weil vier Raketen gefehlt haben"

Stand: 18.04.2024 13:21 Uhr

Die Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel zeigt vielen Menschen in der Ukraine, wie effektiv Abwehrsysteme sein können. Doch die Ukraine hat zu wenig davon. Präsident Selenskyj fühlt sich von den Verbündeten im Stich gelassen.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

An einer Bushaltestelle im nordukrainischen Tschernihiw fangen Passanten den Moment mit ihren Handys ein, als russische Raketen im Zentrum der Stadt einschlagen. Ein Geschoss rauscht über die Köpfe der Menschen hinweg. Sie schmeißen sich auf den Boden.

Mit drei Raketen hat Russland angegriffen. 17 Menschen sind dabei getötet und 60 verletzt worden. Die ukrainische Flugabwehr konnte die Raketen nicht abfangen - wie so oft.

Feuerwehrleute stehen vor einem zerstörten Haus

Feuerwehrleute stehen vor einem zerstörten Haus in Tschernihiw.

Forderung nach weiteren "Patriot"-Systemen

Zuletzt erinnerte der Abgeordnete Oleksij Hontscharenko in Straßburg bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates daran: "Vor einigen Tagen wurde eines der größten ukrainischen Wärmekraftwerke durch russische Raketen zerstört, weil der ukrainischen Luftabwehr vier Raketen fehlten, um den russischen Angriff zu stoppen", erklärte er.

Es seien elf russische Raketen gewesen, von denen sieben abgefangen worden seien, da die Ukraine über entsprechende Geschosse verfügt habe. "Dieses Kraftwerk hat Millionen gekostet und wurde zerstört, weil vier Raketen gefehlt haben." Die Ukraine würde nicht viel verlangen, rief der Abgeordnete aus der ukrainischen Opposition. Nur um sieben "Patriot"-Flugabwehrsysteme würde die Ukraine bitten, sagte Hontscharenko. "Bitte machen Sie das jetzt", verlieh er seiner Forderung Nachdruck.

Karte Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Militärexperte: Potenzial für mehr Waffen

Die Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel zeigt vielen Menschen in der Ukraine, dass ein effektiver Schutz gegen Raketen und Drohnenangriffe möglich ist. Die Verzweiflung im Land wächst auch angesichts der schwierigen Lage an der Front.

Militärexperte Taras Tschmut sieht auch die Verbündeten der Ukraine in der Pflicht. "Sowohl die NATO als Bündnis als auch die einzelnen Mitglieder könnten mehr tun." Sie alle hätten das Potenzial dazu, mehr Waffen und mehr Geld zur Verfügung zu stellen. "Die Wirtschaft Europas ist um ein Vielfaches stärker als die Russlands. Mit solchen Verbündeten sollten wir diesen Krieg gewinnen. Aber wir gewinnen ihn nicht."

Selenskyj verweist auf prekäre Lage

Frustriert zeigte sich auch der ukrainische Präsident. Mehrmals hatte Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Tagen auf die prekäre Lage der ukrainischen Luftverteidigung hingewiesen. Die Unterstützung Israels bei der Abwehr von Drohnen und Raketen zeige, wozu die Verbündeten fähig seien, sagte der ukrainische Präsident. Er forderte ebenso Unterstützung für den Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung.

"Wir haben in den letzten Tagen alles Mögliche gehört. Es seien unterschiedliche Konflikte hier in Europa und im Nahen Osten, unterschiedliche Bedrohungslagen, ein unterschiedlicher Luftraum." Aber die Drohnen und Raketen seien die gleichen. "Sind die Menschenleben etwa unterschiedlich? Haben Menschen eine andere Würde? Nein, wir schätzen jedes Leben gleich."

"Westliche Raketen sind Mangelware"

Am Freitag soll der NATO-Ukraine-Rat zusammenkommen und über weitere Unterstützung zur Luftverteidigung beraten - wie von Selenskyj gefordert. Die ukrainische Flugabwehr benötige unterschiedliche Systeme, um das Land vor den kombinierten russischen Angriffen zu schützen, sagt Ilja Jewlasch, Sprecher der ukrainischen Luftwaffe.

"Westliche Raketen sind Mangelware, weil die Ukraine diese Raketen nicht selbst produziert. Leider sind wir in dieser Hinsicht auf unsere Verbündeten angewiesen", erklärt er. Die Partner wüssten, was die Ukraine brauche und welche Ressourcen dem Land zur Verfügung stünden. "Um unsere Aufgaben zum Schutz des Luftraums und der Energieanlagen effektiver erfüllen zu können, brauchen wir natürlich verschiedene Luftverteidigungssysteme."

Stromausfälle und tote Zivilisten

Eine Kombination aus verschiedenen Systemen und auch Kampfflugzeugen sei notwendig, fährt der Sprecher fort. So könnten russische Raketen und Drohnen erfolgreich abgefangen und Zivilisten und kritische Infrastruktur geschützt werden, ist Jewlasch überzeugt.

In den vergangenen Wochen aber gelang es Russland, gleich zwei große Wärmekraftwerke vollständig zu zerstören. Im ostukrainischen Charkiw haben die Menschen mit Stromausfällen zu kämpfen. Unzählige Zivilisten wurden in den vergangenen Wochen von russischen Raketen getötet oder verletzt.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 18.04.2024 09:25 Uhr