Eine Anlage zur Entnahme von CO2 aus der Luft steht im schweizerischen Hinwil (Archivbild vom 18.07.2017).

Kongress in München Wie CO2-Entnahme aus der Atmosphäre gelingen kann

Stand: 11.10.2023 13:02 Uhr

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Um das zu schaffen, müsste CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden. Dafür gibt es eine Reihe von Methoden: Bäume pflanzen, Meere düngen - oder einfach absaugen.

Von Heike Westram, br

Im Münchner Deutschen Museum findet gerade eine Fachtagung statt, der CDR-Dialog 2023. In diesem Dialog wollen Forschende mit geladenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Politik und Wirtschaft gemeinsam diskutieren, welche Methoden der CO2-Entnahme für Deutschland sinnvoll sind und wie sie möglichst schnell zur Anwendung kommen können.

CO2-Entnahme kurz erklärt

Deutschland hat beschlossen, bis 2045 klimaneutral zu sein. CO2-Ausstoß und -Einsparung müssen sich dann die Waage halten. Doch weil wir durch Landwirtschaft, im Luftverkehr, bei der Zementproduktion und in anderen Bereichen weiterhin Treibhausgase emittieren werden, ist die Klimaneutralität nur zu erreichen, wenn umgekehrt CO2 aus der Atmosphäre wieder entnommen wird. Das nennt man CO2-Entnahme oder englisch: Carbon Dioxide Removal (CDR).

Das geht und wird auch schon praktiziert, etwa durch Aufforstung: Bäume nehmen CO2 aus der Luft auf und wandeln es bei der Photosynthese unter anderem in Kohlenstoff und Sauerstoff. Im Holz ist der Kohlenstoff dann so lange gebunden, bis das Holz verbrennt oder verrottet und dabei wieder CO2 emittiert. Solange Wälder wachsen, sind sie eine CO2-Senke: Sie gleichen einen Teil des Treibhausgas-Ausstoßes wieder aus.

Verschiedene CDR-Verfahren

Riesige Sauganlagen aufzustellen, die Kohlendioxid aus der Luft filtern, ist eine andere Methode der CO2-Entnahme. Sie ist aber erst dann wirklich sinnvoll, wenn die große Energiemenge, die dafür nötig ist, über Erneuerbare Energien ihrerseits klimaneutral produziert werden kann.

Die Wissenschaft erforscht derzeit auch viele andere Verfahren, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder zu entnehmen. Ein Beispiel: Manche Mineralien nehmen CO2 auf. Bringt man sie als Gesteinsmehl auf Äckern aus, binden sie nicht nur das Treibhausgas langfristig, sondern steigern zugleich die Bodenqualität. Ein CDR-Verfahren, dass für die Landwirtschaft interessant sein könnte. Allerdings müssten die dafür nötigen Mineralien in großem Stil in Steinbrüchen industriell abgebaut werden: klimatisch mag das sinnvoll sein - ökologisch ist es bedenklich.

Potenziale, aber auch Kosten oder Risiken

Die CO2-Entnahme gibt es nicht umsonst. Mit einer Biomasse-Anlage könnte man beispielsweise Energie erzeugen, ohne fossile Energieträger wie Öl, Kohle oder Gas zu brauchen. Das bei der Verbrennung der Biomasse anfallende CO2 ließe sich sofort bei der Entstehung abspalten.

Ganz abgesehen von der Frage, wo das abgespaltene CO2 dann langfristig sicher gelagert wird, bringt jede Biomasse-Anlage auch noch ein anderes Konfliktpotenzial mit sich: Der Anbau der Biomasse - egal ob Raps, Mais oder Elefantengras -, braucht Fläche. Viel Fläche, will man wirklich spürbar negative Emissionen erzeugen.

Wie die Aufforstungsprojekte tritt die Biomasse damit in Konkurrenz zum Schutz der Biodiversität oder der Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft.

Forschungsprojekte zur CO2-Entnahme

"Es geht nicht mehr darum, ob wir Carbon Dioxide Removal praktizieren wollen - dazu haben wir uns mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität bekannt. Jetzt ist wichtig zu klären, wie wir die CO2- Entnahme gestalten", erklärt Julia Pongratz, Professorin am Department für Geografie der Ludwig-Maximilians-Universität München im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

Sie ist die Sprecherin des großen Forschungsprogramms CDRterra, in dem im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung seit 2021 mehr als 100 Forschende verschiedene landbasierte Methoden zur CO2-Entnahme untersuchen. Parallel dazu werden bei CDRmare CDR-Verfahren erforscht, die CO2 mit Hilfe von Ozeanen aus der Atmosphäre entnehmen können.

Der richtige Mix macht's

Derzeit bestehe CDR in Deutschland fast ausschließlich in Aufforstungsprojekten, erklärte Pongratz in einem Interview mit dem br. Doch nicht nur der dafür notwendige Flächenverbrauch macht Wissenschaftlern Sorge. Längst sorgt der Klimawandel mit anhaltenden Dürreperioden dafür, dass das Kohlendioxid in Wäldern nicht mehr sicher gespeichert ist: Jeder Waldbrand macht jahrzehntelanges Wald-Wachstum in kurzer Zeit zunichte.

Ziel des derzeitigen CDR-Dialogs 2023 ist es, zusammen mit Politik und Wirtschaft die richtige Mischung verschiedener Verfahren zur CO2-Entnahme zu finden. "Wir benötigen ein Portfolio an verschiedenen CDR-Methoden - denn jede hat nur ein begrenztes Potenzial und ihre eigenen Herausforderungen, wie Zielkonflikte mit der Nahrungsmittelproduktion oder Risiken bezüglich ihrer Permanenz", erläutert Pongratz.

Die Gesellschaft als Ganzes muss entscheiden

Und weil CDR hohe Kosten - ökologischer, gesellschaftlicher und finanzieller Art - mit sich bringt, ist es den Forschenden wichtig, dass alle Bereiche an einem Strang ziehen: "Damit eine breite Anwendung von CDR sozial, ökonomisch und ökologisch verträglich wird, müssen alle Beteiligten zusammenkommen - Politik, Wirtschaft, Forschung und Bildung", heißt es in dem Aufruf zum CDR-Dialog 2023.

Verzweifeln nütze nichts, verdeutlicht Pongratz: "Wir haben ein gravierendes Problem, das wir lösen müssen. Wir haben eine große Verantwortung. Auch meine Generation hat noch substanziell dazu beigetragen, dass jetzt so viel Treibhausgase in der Atmosphäre sind. Und wir müssen jetzt der nächsten Generation auch das Handwerkszeug mitgeben, damit sie das lösen kann. Und das treibt mich an. Das macht mich jeden Tag glücklich, dass ich da mitwirken darf."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Bayern 2 am 11.10.2023 in seiner Sendung "IQ - Aus Wissenschaft und Technik" um 18:05 Uhr