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Ifo-Chef Fuest "Müssen uns umstellen, um Wohlstand zu erhalten"

Stand: 17.07.2023 19:10 Uhr

Wir können unseren Wohlstand nicht aufrechterhalten, wenn wir so weitermachen wie bisher, sagt der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest. Im Interview spricht er darüber, wie sich Klima und Wirtschaftswachstum vereinen lassen.

tagesschau24: Beinahe 50 Jahre lang ging es in Deutschland fast immer nur bergauf. Die Menschen haben an Wohlstand gewonnen, die Wirtschaft ist stark gewachsen. Wie ist Ihre Prognose für das aktuelle Jahrzehnt? Wird es da genauso weitergehen?  

Clemens Fuest: In Deutschland wird das Wachstum wahrscheinlich etwas langsamer ausfallen als in den Jahren davor. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Erwerbsbevölkerung sinkt. Der demografische Wandel bedeutet ja, dass wir immer älter werden und dass weniger junge Leute nachwachsen. Und eine kleinere Erwerbsbevölkerung bedeutet automatisch auch weniger Wachstum.

Wir haben außerdem vor, die CO2-Emissionen bis 2045 auf null zu reduzieren - auch das wird eher Gegenwind für das Wachstum bedeuten. Hinzu kommt noch, dass der Handel aus geopolitischen Gründen derzeit eher eingeschränkt wird - auch das wird das Wachstum etwas bremsen.

Clemens Fuest, Präsident ifo Institut, zum Wirtschaftswachstum in Deutschland

tagesschau24, 17.07.2023 09:00 Uhr

"Eine etwas mühsame Angelegenheit"

tagesschau24: Bundeskanzler Olaf Scholz sieht das etwas optimistischer. Er sieht den ökologischen Umbau als Chance für ein neues Wirtschaftswunder. Halten Sie das für realistisch?

Fuest: Die Schwierigkeit ist die, dass es nicht so ist wie zu Wirtschaftswunderzeiten in den 1950er- und 1960er-Jahren. Damals haben wir neue Fabriken aufgebaut, viel investiert und neue Produktionskapazitäten geschaffen. Das führte zu großem Wachstum. Heute bei der Dekarbonisierung tun wir Folgendes: Wir ersetzen Produktionskapazitäten, wir machen Kohlekraftwerke zu und stellen Windräder hin. Das ist gut und wichtig für das Klima. Aber es bedeutet auch, dass keine neuen Produktionskapazitäten entstehen. Und deshalb wird es auch kein Wirtschaftswunder geben.

Es wird wohl eher eine etwas mühsame Angelegenheit. Das heißt aber nicht, dass wir keinen Klimaschutz betreiben sollten. Wir haben uns die Dekarbonisierung fest vorgenommen - und das ist auch notwendig. Aber ein neues Wirtschaftswunder wird daraus nicht entstehen.

Clemens Fuest
Zur Person

Clemens Fuest ist Präsident des ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaft an der LMU München. Zuvor war er Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford und leitete das dortige Centre for Business Taxation. Seine Schwerpunkte sind Finanzwissenschaft und Arbeitsökonomik.

tagesschau24: Das heißt, Sie sind davon überzeugt, dass die Energiewende am Ende nur auf Kosten unseres Wohlstands gelingen kann?  

Fuest: So würde ich es nicht formulieren. Wenn wir nichts gegen den Klimawandel tun, dann wird ja alles nur noch schlimmer. Es ist ja nicht so, dass wir unseren Wohlstand aufrechterhalten können, wenn wir einfach weitermachen wie bisher. Und das betrifft nicht nur den Klimaschutz. Wir haben auch viele andere Ressourcenprobleme. Also müssen wir uns schon umstellen, um langfristig unseren Wohlstand zu erhalten. Aber das wird kein Spaziergang.

Das Problem ist die Politik, die mit der Botschaft kommt: "Das wird ganz einfach, das bringt ein Wirtschaftswunder." Das entspricht nicht der Wahrheit. Spätestens wenn es dann heißt: "Ihr müsst eure Gasheizung gegen eine Wärmepumpe austauschen", merken die Menschen, dass es eben doch Belastungen gibt. Also man muss schon offen und ehrlich mit den Menschen reden.

"Wir sollten uns ranhalten"

tagesschau24: Die Energiewende ist mit viel Arbeit, Zeit und Kosten verbunden. Wie viele Jahre des Wohlstandsverlusts haben wir vor uns?  

Fuest: Derzeit sagen viele Leute, es könnte zehn Jahre dauern, bis wir die größten Investitionen geleistet haben. Das hängt aber wirklich davon ab, wie wir die Energiewende gestalten. Es ist leider so, dass wir in Deutschland gerade bei den Genehmigungsverfahren sehr langsam sind. Das spricht dafür, dass diese Belastung sich etwas länger hinziehen wird.

Wenn man es langsamer macht, ist der Vorteil, dass man nicht ganz so viele noch funktionsfähige Energieerzeuger abschalten muss. Wenn Kohlekraftwerke oder Heizungen älter und anfälliger werden, ist der Verlust nicht mehr so groß, wenn man sie gegen dekarbonisierte Geräte austauscht.

Man muss aber sagen, beim Umweltschutz besteht meines Erachtens nicht die Gefahr, dass wir zu schnell sind, eher zu langsam. Wir sollten uns ranhalten. Wir sollten Lasten lieber jetzt und bald auf uns nehmen, als sie ewig vor uns her zu schieben. Das haben wir zu lange getan.

tagesschau24:  Wenn wir davon sprechen, dass das Wachstum der deutschen Wirtschaft und damit auch der Wohlstand auf dem Spiel steht, klingt das für viele Menschen sehr weit weg. Dabei betrifft das am Ende ziemlich viele Menschen. Welche Gesellschaftsgruppen denn vor allem?  

Fuest: Das betrifft wirklich die gesamte Gesellschaft - alle Menschen, die wohnen und heizen müssen. Das haben wir gerade erst bei der Heizungsdebatte gemerkt. Und solche Anpassungen sind natürlich schwerer für Menschen, die geringere Einkommen haben.

Schwer davon betroffen sind aber auch Menschen, die in den Industrien arbeiten, die jetzt umgestellt oder abgebaut werden müssen - wie etwa die Kohleförderreviere. Da verlieren zig Menschen ihre Jobs. Oder die Automobilindustrie, das Auslaufen des Verbrennungsmotors - auch da müssen sich Leute umstellen. Einige Teile in der Gesellschaft werden nicht nur ihren Arbeitsplatz verlieren, sondern müssen auch umgeschult werden. Das kann sehr schwer und sehr belastend sein.

"Raum für neue Industrien schaffen"

tagesschau24: Der Wohlstand in Deutschland wurde vor allem von der Industrie vorangetrieben. Gerade für die wird Deutschland als Produktionsstandort aber immer unattraktiver. Viele verlagern ihre Produktion jetzt schon ins Ausland. Wird das am Ende noch mal zusätzlich Wohlstand kosten?  

Fuest: Das kann Wohlstand kosten, da müssen wir aufpassen. Nun ist es so, dass die Energiepreise in Deutschland dauerhaft höher sein werden als in anderen Regionen der Welt - dann ist es auch richtig, dass die energieintensiven Industrien abwandern.

Die Frage, die sich stellt, ist: Schaffen wir auch Neues? Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass wir Raum für neue Industrien schaffen, dass es interessant ist, in Deutschland Unternehmen zu eröffnen. Dann kann man einen Wohlstandsverlust vermeiden oder ihn zumindest begrenzen. Schwierig ist es, wenn wir zu sehr an alten Industrien festhalten oder wenn wir zu viele Fehler machen.

tagesschau24: Welche Fehler meinen Sie?  

Fuest: Ein Problem ist zum Beispiel, dass wir hier momentan sehr energieintensive Industrien fördern. Denken wir zum Beispiel an die Chipfabriken. Das tun wir, weil wir Angst haben, in Krisen keine Chips mehr zu bekommen. Aber wir müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen.

Eine geeignete Politik beinhaltet eine breite Förderung neu entstehender Unternehmen, eine breite Förderung des Mittelstands, den Abbau von Regulierungen und von Bürokratie, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Wir haben es schon in der Hand, durch entsprechende Reformen eine Deindustrialisierung und einen Wohlstandsverfall zu verhindern. Aber wir müssen wirklich etwas tun.

tagesschau24: Die Bundesregierung will den US-Hersteller Intel mit milliardenschweren Subventionen fördern. In Magdeburg soll mit dem Geld eine Chipfabrik gebaut werden. Sieht in Ihren Augen so die richtige Industriepolitik aus?  

Fuest: Ich halte das für schwierig. Das ist eigentlich keine Industriepolitik im engeren Sinne, also keine Politik, die für die Zukunft Wachstum sichert. Da geht es eher darum, eine Versicherung zu erwerben. Man hat Angst, dass irgendwann zum Beispiel aus Taiwan keine Chips mehr kommen. Deshalb subventioniert die Bundesregierung Chipwerke hier in Deutschland.

Die Frage ist allerdings: Produziert man im Krisenfall in Magdeburg tatsächlich die Halbleiter, die man braucht? Haben wir in Magdeburg überhaupt die Arbeitskräfte, die dafür nötig sind? Nur eines wissen wir heute schon: Diese Versicherung ist sehr, sehr teuer. Sie kostet zehn Milliarden Euro und bringt in der Krise nicht viel. Ich hätte es besser gefunden, wenn man die zehn Milliarden in den breiten Mittelstand in Deutschland investiert hätte.  

"Man kann diese Herausforderungen bewältigen"

tagesschau24: Noch mal zurück zum Wohlstand: Wie kann es am Ende gelingen, die Energiewende und den Wohlstand unter einen Hut zu bekommen? Und was muss die Politik ganz konkret jetzt tun?  

Fuest: Ich denke, die Politik muss ihre Hausaufgaben machen. Das heißt, die Stromtrassen bauen, die die Infrastruktur für die Stromversorgung und Energieversorgung verbessern. Das hat sich die Politik zwar schon vorgenommen, geht aber viel zu langsam. Deshalb müssen wir unsere Planungsverfahren unbedingt vereinfachen und beschleunigen.

Wir müssen allgemein gute Bedingungen dafür schaffen, in Deutschland Unternehmen zu gründen und in Deutschland zu investieren. Wir müssen den Klimaschutz vorantreiben - im Mittelpunkt steht der CO2-Preis. Da gibt es durchaus gute Nachrichten: Die Politik hat vor, den CO2-Zertifikate-Handel auf die Bereiche Verkehr und Gebäude auszuweiten. Und daran sollten wir festhalten.

Insgesamt sollte die Politik weniger kleinteilig intervenieren und mehr grundlegende Dinge tun. In Infrastruktur, Bildung, Ausbildung, Weiterbildung und Umschulung investieren. Dazu zählt vor allem auch, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Und dann kann man diese Herausforderungen meines Erachtens auch bewältigen.

Die Fragen stellte Anne-Catherine Beck, ARD-Finanzredaktion. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redaktionell bearbeitet.