Chinesische Autos für den Export in einem Terminal des Hafens Yantai in der ostchinesischen Provinz Shandong.
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EU erwägt Strafzölle auf E-Autos Droht ein ernster Handelskonflikt mit China?

Stand: 20.09.2023 10:47 Uhr

Die EU will chinesische Exporte von Elektroautos untersuchen. Das schürt Ängste vor einem handfesten Handelskonflikt mit der Volksrepublik - gerade in der deutschen Autoindustrie. Was wären die Folgen?

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Seitdem die Europäische Union (EU) eine Wettbewerbsuntersuchung gegen China wegen Marktverzerrungen durch Subventionen für Elektroautos angekündigt hat, wachsen die Sorgen vor einem Handelskonflikt mit der Volksrepublik. Gerade die deutschen Autohersteller fürchten sich vor denkbaren Gegenmaßnahmen, wie die "Financial Times" gestern berichtete. Doch wie wahrscheinlich ist eine Eskalation? Was wären die Auswirkungen? Und warum stehen überhaupt Strafzölle im Raum?

Verstößt China gegen die Richtlinien der WTO?

"China ist durch strategische Industriepolitik wettbewerbsfähiger geworden und drängt mit seinen Elektrofahrzeugen auf die Weltmärkte - besonders auf den europäischen, weil der amerikanische durch Zölle weitgehend abgeschottet ist", erklärt Jürgen Matthes, Experte für Handelspolitik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, im Gespräch mit tagesschau.de. Seit 2020 seien etwa die Importe chinesischer E-Autos nach Deutschland und die Zulassungszahlen hierzulande von einem geringen Niveau aus stark gestiegen. Das passiere zu einer Zeit, in der die deutsche Autoindustrie ohnehin wegen der Energiewende massiv unter Druck stehe.

"Die Europäische Kommission befürchtet durch die deutlich ansteigenden Importe aus China einen Wettbewerbsnachteil für die europäische Produktion von Elektroautos", sagt Vincent Stamer, Handelsexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Offenbar habe sie "nun ausreichend Indizien dafür, dass China gegen den fairen Wettbewerb verstößt". Das wäre Stamer zufolge der Fall, wenn die chinesischen Fahrzeuge zu Dumping-Preisen - sprich unter Marktwert - verkauft oder gezielt Exporte subventioniert werden. Beides sei nach den Regeln der Welthandelsorganistation (WTO) unzulässig.

"Das ist genau das, was es jetzt zu untersuchen gilt", ergänzt Matthes. Aufgrund der Komplexität des chinesischen Subventionssystems sei die Unterscheidung zwischen wirtschaftlich entstandener Wettbewerbsfähigkeit und künstlicher Wettbewerbsfähigkeit durch staatliche Förderungen jedoch nicht einfach. "Ob das gelingen wird, wird man sehen", so der Volkswirt. Aber: Allein die Zustimmung der Bundesregierung und die öffentlichkeitswirksame Verkündung der Untersuchung durch Ursula von der Leyen sei bemerkenswert.

Einführung der Strafzölle ist wahrscheinlich

"Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt - das verzerrt unseren Markt", hatte die EU-Kommissionspräsidentin in der vergangenen Woche eindeutig zu verstehen gegeben. Das sei nicht akzeptabel. Nach Kommissionsangaben sollen chinesische Elektroautos normalerweise rund 20 Prozent günstiger sein als die in der EU hergestellten Modelle. Mit einem Abschluss der Prüfung wird in Brüssel erst im kommenden Sommer gerechnet.

"Weil dieses Thema politisch so hoch gehängt ist, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass am Ende auch tatsächlich Strafzölle auf chinesische Autos eingeführt werden", meint IW-Fachmann Matthes. Falls es so weit komme, könnten diese "die europäischen Produzenten im Wettbewerb für eine kurze Zeit stützen", sagt Stamer vom IfW. Für Konsumenten gebe es allerdings Nachteile: Die Preise für Elektroautos aus China könnten steigen und gleichzeitig der Effizienzdruck für europäische Hersteller sinken.

Eine weitere Folge der Strafzölle wären etwaige Gegenmaßnahmen. "Es bleibt abzuwarten, wie China reagieren wird", so Matthes. Die Regierung in Peking habe sich "not amused" gezeigt. Das chinesische Außenministerium hatte den Plan der EU am Donnerstag als "blanken Protektionismus" bezeichnet. Ein Sprecher warnte, dass dieser sich "negativ auf die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU auswirken wird".

Deutsche Autoindustrie zeigt sich besorgt

"China hat bereits im Handelskrieg mit den USA gezeigt, dass es nicht vor einer Eskalation zurückschreckt", betont Stamer gegenüber tagesschau.de. Denkbare Reaktionen seien zusätzliche Zölle auf europäische Produkte oder die Exportbeschränkung von wichtigen Elektronikbauteilen für die Autoproduktion. Das würde wohl gerade die deutsche Autoindustrie hart treffen, die ein Fünftel des chinesischen Marktes beherrscht.

So verkaufte BMW im vergangenen Jahr ein Drittel seines Absatzes in China. Bei Mercedes waren es 37 Prozent und bei Volkswagen sogar 40 Prozent. Die Wolfsburger liefern auf dem größten Automarkt der Welt mehr Fahrzeuge aus als jedes andere Unternehmen. Ein Teil dieser deutschen Autos wird dabei nach China verschifft. Gleichzeitig haben die Autobauer aber auch große lokale Produktionsstätten, die der chinesischen Regierung eine weitere Angriffsfläche bieten.

Die Subventionsuntersuchung allein trage nicht dazu bei, die Herausforderungen der Wettbewerbsfähigkeit zu lösen, kritisierte daher der Verband der Automobilindustrie (VDA). Stattdessen fordert er die Politik auf, bessere Rahmenbedingungen in Deutschland und im Rest von Europa zu schaffen. Die Branche moniert zudem, dass die EU-Kommission unter dem Druck Frankreichs gehandelt habe - mit negativen Folgen für die deutsche Wirtschaft. "Die Deutschen werden davon weitaus mehr betroffen sein als die Franzosen", sagte ein Manager eines Automobilzulieferers der "Financial Times".

Exportlizenzen für Rohstoffe als weiterer Schritt

"Die oft geäußerte Befürchtung, dass den deutschen Autoherstellern in China das Leben schwer gemacht werden könnte, halte ich für nicht besonders wahrscheinlich", sagt dagegen Matthes. Da die Autobauer in zunehmend Maße direkt vor Ort produzieren, um den chinesischen Markt zu bedienen, seien durch Maßnahmen, die ihre Absatzmöglichkeiten begrenzen, überwiegend chinesische Arbeitsplätze betroffen. "Wenn den Unternehmen Steine in den Weg gelegt werden, schadet sich China in erster Linie selbst", so der IW-Forscher.

Eine andere Möglichkeit, der europäischen Wirtschaft weh zu tun, sind laut Matthes Exportgenehmigungspflichten für bestimmte Rohstoffe, wie sie bereits im Rahmen des Halbleiter-Streits mit den USA eingeführt wurden. Seit August benötigen Exporteure spezielle Lizenzen, um die für die Halbleiter-, Telekommunikations- und Elektrofahrzeugindustrie wichtigen Metalle Germanium und Gallium an ausländische Kunden liefern zu dürfen. Einer EU-Studie zufolge stammen weltweit 94 Prozent des Galliums und 83 Prozent des Germaniums aus China. Die EU selbst bezieht 71 Prozent des Galliums und 45 Prozent des Germaniums aus der Volksrepublik.

Zwar seien die Genehmigungen bislang offenbar meist noch erteilt worden, so Matthes. "Bei EU-Strafzöllen könnte China als Vergeltungsmaßnahme aber anfangen, sie restriktiver zu vergeben und damit den Zugang zu den Rohstoffen zu begrenzen." Zudem lasse sich die Liste der Lizenzen um Seltene Erden oder wichtige Batterierohstoffe wie Lithium zusätzlich ausdehnen. "In der europäischen Industrie gibt es eine Abhängigkeit von vielen Rohstoffen aus China - gerade bei neuen Technologien und in der Energiewende", betont der Fachmann. Das sei ein großes Drohpotenzial.

Einigung im Solarstreit als Kompromiss?

"Bei einem Handelskrieg würden aber sowohl die EU als auch China verlieren", meint IfW-Experte Stamer. Dem stimmt auch Matthes zu: "Im Moment macht China kräftig Werbung für europäische Investitionen im eigenen Land, weil es der Wirtschaft nicht besonders gut geht." Eine Eskalation helfe dem chinesischen Ansehen nicht unbedingt und könne zu weiterer Vorsicht von Unternehmen führen, sich in China zu engagieren. Auch Verbraucherinnen und Verbraucher könnten dadurch abgeschreckt werden, worunter etwa die geplante Markteinführung chinesischer Elektroautos in Deutschland leiden würde.

Ein Kompromiss könnte nach Ansicht von IfW-Forscher Stamer die Lösung im Handelsstreit zwischen der EU und China um Solarzellen vor zehn Jahren sein. 2013 hatten europäische Hersteller der chinesischen Konkurrenz vorgeworfen, ihre Produkte zu Dumpingpreisen in Europa zu verkaufen. Deshalb hatte Brüssel Strafzölle in Höhe von 11,8 Prozent auf chinesische Solarmodule verhängt. "Damals konnten chinesische Produzenten die Strafzölle umgehen, wenn sie sich freiwillig an Mindestpreise hielten", berichtet Stamer.

Darauf hatten sich die EU-Kommission und Peking nach wochenlangen Verhandlungen geeinigt. "Der Hauptgrund, warum die Strafzölle nicht verlängert wurden, war die Drohung Chinas mit für die EU schmerzhaften Vergeltungsmaßnahmen", sagt Matthes. Letztlich habe der Kompromiss dafür gesorgt, dass "unsere Solarindustrie den Bach runter ging" und die chinesische Solarindustrie mittlerweile den Weltmarkt beherrscht. Dieser Fehler dürfe nicht wiederholt werden.

Alfred Schmit, ARD Schanghai, tagesschau, 14.09.2023 17:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 13. September 2023 um 12:00 Uhr.