Ein Mähdrescher ist auf einem Weizenfeld in Leuthen im Brandenburger Spree-Neiße-Kreis im Einsatz.
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Krieg gegen die Ukraine Wie China und Russland die Agrarmärkte in Griff nahmen

Stand: 18.07.2023 06:00 Uhr

Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine sind die Preise für Nahrungsmittel dramatisch gestiegen, heißt es. Doch der Preisanstieg begann viel früher und China spielte eine wesentliche Rolle.

Von Nadja Armbrust und Josef Streule, BR

Am 24. Februar 2022 marschieren russische Truppen in die Ukraine ein. Die Welt ist alarmiert: In vielen Ländern droht eine Nahrungsmittelkrise. Denn die Ukraine ist einer der wichtigsten Lieferanten von Getreide. Werden Weizen oder Mais auf dem Weltmarkt knapp, müssen vor allem in ärmeren Ländern mehr Menschen hungern.

Den Hunger in der Welt bekämpfen soll die Welternährungsorganisation FAO in Rom. Seit 2019 leitet Qu Dongyu aus China die wichtige UN-Organisation. Recherchen von BR, MDR, rbb, SWR und des ARD-Studios Rom zeigen: China nutzt die FAO für eigene Zwecke. Auch im Ukraine-Krieg verhält sich Qu Dongyu keineswegs neutral.

FAO-Generaldirektor auf Linie mit Peking

Am 11. März 2022 äußerte sich Qu Dongyu erstmals - auf der Website der FAO, in einem persönlichen "Meinungsartikel". Der Artikel erschien zeitgleich in der chinesischen Parteizeitung "China Daily". Darin vermied der FAO-Generaldirektor das Wort "Krieg". Dass die Aggression von Russland ausging, erwähnte er nicht.

Stattdessen kritisierte er "finanzielle Sanktionen" des Westens gegen Russland. Die könnten die Nahrungsmittelproduktion in Russland einschränken. Das Land sei der weltgrößte Exporteur von Weizen und ein führender Hersteller von Dünger.

Qu Dongyu

FAO-Chef Qu Dongyu kritisierte den Westen für Sanktionen, die es nie gab.

Keine Sanktionen durch westliche Länder

Was Qu Dongyu nicht erwähnte: Weder damals noch heute haben westliche Länder russische Exporte von Dünge- und Nahrungsmitteln sanktioniert. Der FAO-Generaldirektor zeigte sich so ganz auf Linie der chinesischen Politik. Für Reinhard Bütikofer, Abgeordneter für die Grünen im EU-Parlament, ist das keine Überraschung. Der Politiker wurde persönlich von China sanktioniert, weil er etwa regelmäßig die Menschenrechtssituation in dem Land kritisiert.

"Chinesische Spitzenfunktionäre in solchen internationalen Organisationen hören mehr auf das Kommando Xi Jinpings als auf irgendetwas anderes", sagt Bütikofer im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Report München. "Es gibt keinen Respekt vor solchen internationalen Organisationen, sondern sie sind Mittel zum Zweck."

China und Russland verbieten Düngemittelexporte

Besonders auffällig auch: In seinem Artikel warnte Qu Dongyu ausdrücklich davor, dass die USA künftig Exporte beschränken könnten. Dies würde die Lebensmittelpreise nach oben treiben. Dabei haben die USA keine Exportbeschränkungen erlassen, weder vor noch nach dem Krieg - wohl aber China und Russland: Die beiden Länder begannen schon vor der russischen Invasion in der Ukraine, die Ausfuhr von Dünger zu drosseln, was Qu ebenfalls verschwieg.

Im September 2021 verbot China, der weltgrößte Exporteur von Phosphatdünger, die Ausfuhr dieses wichtigen Düngemittels. Im November 2021 zog Russland nach und beschränkte den Export von Stickstoff-Dünger auf sechs Millionen Tonnen. Am 2. Februar 2022, drei Wochen vor Beginn des Krieges, verbot Russland den Export verschiedener Sorten von Stickstoff-Dünger für zwei Monate ganz.

Russland ist der weltweit größte Exporteur von Stickstoff-Dünger. Unterm Strich waren durch die Exportbeschränkungen bereits vor dem Krieg rund 20 Prozent der Düngemittel-Ausfuhren nicht verfügbar.

Mehr Hunger durch chinesische und russische Exportbeschränkungen

Die Folgen trafen Landwirte weltweit. Besonders schwer zu schaffen machten die russischen und chinesischen Exportbeschränkungen allerdings importabhängigen Ländern in Afrika, erläutert Lukas Kornher vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn.

Dort führten die Exportrestriktionen dazu, "dass bei erhöhten Preisen Landwirte weniger Düngemittel verwenden, die Erträge dadurch in den darauffolgenden Jahren sinken, und dies erhöht den Hunger in diesen Ländern."

Exportbeschränkungen lassen Düngemittelpreise explodieren

Wie stark die Exportbeschränkungen auf die Preise durchschlagen, zeigt ein Vergleich mit der Entwicklung des Gaspreises. Der zog seit Juli 2020 an - und parallel dazu, leicht verzögert, auch der Düngerpreis. Grund dafür ist, dass die Herstellung von Dünger energieintensiv ist. Doch ab Oktober 2021, als China die Ausfuhr von Phosphat-Düngemitteln verbot, ging der Index bei Dünger steil nach oben, während der Gaspreis sogar fiel.

Der Krieg trieb dann die Preise für Gas, Dünger und Getreide weiter nach oben. Bei Düngemittel blieben sie lange vergleichsweise hoch. Das lässt sich auch dadurch erklären, dass die meisten Exportbeschränkungen bis zum Jahresende 2022 bestanden.

China und Russland schließen vor Kriegsbeginn Abkommen

Doch nicht nur bei Düngemitteln, auch bei Getreide schränkte Russland die Exporte schon vor dem Einmarsch in die Ukraine ein. Bereits im Dezember 2021 kündigte der Kreml an, ab 15. Februar 2022 nur noch acht Millionen Tonnen Weizen zu exportieren. Ein Zufall, so kurz vor Kriegsbeginn? Wohl kaum. Denn Anfang Februar 2022 trafen sich Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking. Sie beschlossen eine enge Partnerschaft - und die Lieferung von Weizen nach China.

China setzte das Abkommen am 23. Februar 2022 in Kraft. Einen Tag später begann der Krieg -und das chinesische Außenministerium informierte die Welt, dass Peking jetzt Weizen aus Russland importiert. Für Bütikofer, Europaparlamentarier der Grünen, ist das ein klares Signal: "Eine genaue Betrachtung dessen, wie China sich verhalten hat, lässt gar keine andere Interpretation zu, als dass China Russlands Aggressionskrieg nicht etwa verurteilt, sondern Vorteil daraus zu ziehen gedenkt."

China hortet Getreide

Wie viel Weizen Russland an China im vergangenen Jahr geliefert hat, darüber gibt es kaum verlässliche Daten. Laut einer chinesischen Zeitung stiegen die gesamten russischen Agrarexporte nach China im vergangenen Jahr um mehr als 40 Prozent auf sieben Milliarden US-Dollar.

Insgesamt ist China mittlerweile der weltgrößte Importeur von Nahrungsmitteln - und hat daher großen Einfluss auf die Preise. Zugleich häufte Peking große Getreidevorräte an. Wie hoch genau die sind, darüber lässt Peking die Welt im Ungewissen. Schätzungen gehen davon aus, dass China mittlerweile mehr als die Hälfte der weltweiten Getreidevorräte hortet.

Die Strategie dahinter sei, "die Ernährungssicherheit vor Ort sicherzustellen, um günstige Preise für die Bevölkerung zu garantieren", erklärt Agrarökonom Lukas Kornher. Zudem gehe es Peking darum, "Vorsorge zu treffen für Krisen." Diese Politik setzte China auch im Krisenjahr 2022 fort: Das Land importierte laut US-Angaben zwölf Millionen Tonnen Weizen - zwei Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr.

Russland baute zugleich seine Position als führender Agrarexporteur im vergangenen Jahr weiter aus. Laut Daten des unabhängigen IFPRI-Instituts legten die russischen Ausfuhren von Weizen im ersten Kriegsjahr um 10,5 Millionen Tonnen zu - deutlich mehr als zuvor angekündigt. Die ukrainischen Weizenexporte gingen dagegen um 5,3 Millionen Tonnen zurück.

Trotzdem lehnte Putin die Verlängerung des Getreideabkommens mit der Ukraine am nun vorerst ab - angeblich, weil der Westen die russischen Exporte behindert. Doch Fakt bleibt: Russische Nahrungs- und Düngemittel werden vom Westen nicht sanktioniert.

Arne Meyer-Fünffinger, ARD Berlin, tagesschau, 18.07.2023 06:10 Uhr

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 18. Juli 2023 um 21:45 Uhr in der Sendung "report Mainz".